Vom alten Schlag
Mit einfachster Ausrüstung bezwangen Alois Gorfer und Hermann Astfäller vor 60 Jahren die Nordwände des Ortlers und der Königsspitze.
Naturns - Schlichte Trenkerhosen, einfache Steigeisen, schwere Haken und Schrauben und ein noch schwereres Seil. Recht viel mehr stand den ehemaligen Alpinisten Alois Gorfer und Hermann Astfäller aus Naturns in ihren Jugendjahren nicht zur Verfügung. Umso beeindruckender sind aus heutiger Sicht die bergsteigerischen Leistungen, mit denen die zwei Bergsteiger vor 60 und mehr Jahren aufhorchen ließen. „Dass wir heute noch da sind und alle Auf- und Abstiege überlebt haben, ist mehr als nur Glück“, erzählten die zwei „Haudegen“ kürzlich dem der Vinschger. Alois ist mittlerweile 80 Jahre alt, Hermann wurde kürzlich 82. Wie oft sie auf dem Ortler und auf der Königsspitze waren, haben sie nicht genau gezählt: „Ich war sicher 20 Mal auf dem Ortler und 10 auf dem König“, erinnert sich Alois. Auch das Matterhorn und viele weitere Gipfel haben sie seinerzeit bestiegen. 1961, also vor genau 60 Jahren, bezwangen sie die Nordwände des Ortlers und der Königsspitze. Angesichts der damaligen Ausrüstung war das alles eher als einfach. Für die Bezwingung der Königs-Nordwand waren die zwei Naturnser an einem späten Samstagnachmittag mit einem Motorrad nach Sulden gefahren und sogleich zur Hintergrathütte aufgestiegen. Von dort gingen sie am Sonntag um 3.30 Uhr los. In den Eisschründen unterhalb der Wand verloren sie kostbare Zeit, „sodass sie erst um 6 Uhr in die Wand einsteigen konnten“, wie die „Dolomiten“ im September 1961 in der Rubrik „Der Bergsteiger“ berichteten. Um sich vor „niedergehenden Eisstücken“ zu schützen, hatten sie Steinschlaghelme aufgesetzt. Der Aufstieg war streckenweise „sehr gewagt, weil auch die Sicherheitsmöglichkeiten schlecht waren und weil weder die Eishaken noch die Felshaken gut hielten.“ Wie Hermann Christanell im Artikel schrieb, haben sie sich erst gegen Mittag aus dem gefährlichen Wandteil, der sogenannten Schlüsselstellung, herausgearbeitet. Beim Aufstieg über den oberen und mittleren Wandteil bis zur „Schaumrolle“ war die Sicherung ziemlich gut und die beiden wechselten sich ständig in der Führung ab. Die „Eisarbeit“, die sie leisten mussten, war „ziemlich kräfteraubend“. Sie mussten insgesamt rund 1.000 Eisstufen heraushauen. Rund 120 Mater unter dem Gipfel wurden sie von der Nacht überrascht. In der Wand biwakieren wollten sie aber nicht und setzten den Aufstieg daher fort, mit Hilfe von Stirnlampen und des Mondlichtes. Sie querten rechts der einstigen „Schaumrolle“ - eine 6 Meter überhängende Schneewächte - zum Suldengrat hin aus, den sie um 23 Uhr erreichten. Von dort stiegen Alois und Hermann noch zum Gipfel, machten sich dann aber sofort auf den Weg zurück in Richtung Schaubachhütte, „denn um Mitternacht und in nassen Kleidern ist es in diesen Höhen sehr ungemütlich.“ Bereits im August 1958 hatte Hermann zusammen mit einem Bergsteigerfreund aus Rabland die Similaun-Nordwand mit ihrer gefürchteten Gipfelwächte bezwungen. Rückblickend auf die teils waghalsigen Auf- und Abstiege mit der seinerzeit nur notdürftigen Ausrüstung räumen Alois und Hermann ein, „dass wir manchmal schon etwas verrückt waren und nicht selten mehr als nur einen Schutzengel hatten.“ Zu Beginn der 1960er Jahre begann für beide der sogenannte „Ernst des Lebens“. Alois musste 1962 zum Militär und wurde später Bodenleger. Er hat diesen Beruf über 40 Jahre lang ausgeübt. Hermann wurde Tischler und blieb seinem Beruf ebenfalls ein Leben lang treu. Dem Staat hatte er als junger Bursche insofern ein Bein gestellt, als er trotz dreimaliger Musterung für den Militärdienst als untauglich befunden wurde: er brachte „zufällig“ nur 48 Kilogramm auf die Waage und das war für einen 165 Zentimeter großen Mann zu wenig. Für ihre einstige Leidenschaft des Bergsteigens haben die beiden seinerzeit fast alles gegeben: „Mit dem ersten Geld, das wir verdienten, kauften wir Schuhe, Haken und ein Seil.“ Das war nicht einfach, denn ein normaler Monatslohn belief sich auf 42.000 Lire. „Und dass man den Lohn auch sofort bekam, war alles andere als sicher“, erinnert sich Alois.