Schlanders trauert
Claudia Pichler: „Gewalt gegen Frauen geht uns alle an.“
Schlanders - Der Mord an der 21-jährigen Celine Frei Matzohl hat die Bevölkerung der Gemeinde Schlanders und darüber hinaus in Trauer, Ohnmacht, Wut und Sprachlosigkeit versetzt. der Vinschger sprach mit Claudia Pichler vom Verein „Donne contro la violenza – Frauen gegen Gewalt“.
der Vinschger: Seit bestätigt wurde, dass Celine ihren Ex-Freund und mutmaßlichen Mörder bereits im Juni wegen Gewalt und Drohung angezeigt hatte, stellen sich viele die Frage: Reichen die gesetzlichen Bestimmungen des sogenannten „Codice Rosso“ zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aus, um betroffene Frauen wirklich zu schützen?
Claudia Pichler: Auch uns Vereinsfrauen vom Verein „Donne contro la violenza – Frauen gegen Gewalt“, welche den Frauenhausdienst Meran führen, hat die Nachricht vom Mord an Celine mit großer Traurigkeit, Bitterkeit und Wut erfüllt. Um auf Ihre Frage zum „Codice Rosso“ zu antworten: die gesetzlichen Bestimmungen des „Codice rosso“ reichen sicher nicht in jedem Fall aus, um die Frauen genügend zu schützen. Neben oder zusätzlich zu den rechtlichen Schritten, die eine Frau in einer Gewaltsituation einleiten kann, gibt es noch verschiedene andere Möglichkeiten der Unterstützung, wie die vorübergehende Unterbringung an einem sicheren Ort wie z.B. in einem Frauenhaus.Die richtigen Anlaufstellen, um individuelle Hilfestellungen für die einzelne Frau zu finden, sind die Frauenhausdienste, die ein großes Fachwissen und sehr viel Erfahrung mit Frauen in Gewaltbeziehungen haben und gemeinsam mit ihr, einen sicheren Weg aus der Gewaltsituation finden können.
Es hat den Anschein, als hinkten der Gesetzgeber und die Sicherheitsbehörden oft hinterher. Es wird sozusagen zugewartet, bis das Schlimmste passiert.
Das Problem sind weniger die fehlenden Gesetze, als die Schwierigkeiten und Mängel in der Umsetzung. Die Anzeige alleine reicht nicht aus. Die Justiz und die Sicherheitsbehörden müssen in der Lage sein, in jedem einzelnen Fall eine schnelle und zuverlässige Risikoeinschätzung vorzunehmen. Um eine Gefahreneinschätzung machen zu können, braucht es grundlegende Kenntnisse über die Risikofaktoren und über die Dynamik in Gewaltbeziehungen. Dafür wären verpflichtende Fortbildungen und Schulungen aller Dienste und Behörden, die mit dem Thema Gewalt gegen Frauen in Kontakt kommen, notwendig, die wir schon länger fordern. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen involvierten Diensten. Nicht zuletzt geht es oft auch darum, die Einschätzung der von Gewalt betroffenen Frauen ernst zu nehmen und ihre Glaubwürdigkeit nicht in Frage zu stellen.
Was sollen bzw. können Frauen tun, die von ihren Partnern geschlagen und bedroht werden?
Jede Frau kann von Gewalt in der Beziehung betroffen sein, unabhängig von Alter, sozialer Stellung oder Kultur. Gewalt beginnt nicht erst bei physischen Übergriffen, sondern bereits sehr viel früher bei Abwertungen, Kontrolle, Isolation, verbaler oder psychischer Gewalt. Es ist wichtig, den Mut aufzubringen, sich frühzeitig Hilfe zu suchen. Von Gewalt betroffene Frauen sind nicht alleine und es ist möglich, eine Gewaltbeziehung in Sicherheit zu verlassen. Die Frauenhausdienste können den Frauen wichtige Informationen geben und sie auf dem Weg aus einer gewalttätigen Beziehung unterstützen.
Der Mord an Frauen ist leider nur die Spitze des Eisbergs. Inwieweit ist die Gesellschaft insgesamt gefordert, um die ausufernde Gewalt an Frauen zu bekämpfen?
Gewalt gegen Frauen beginnt nicht bei einem Mord, sondern schon sehr viel früher bei frauenverachtenden und diskriminierenden Strukturen, ungleichen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen, ungleichen Chancen zwischen Frauen und Männern. Oftmals wird angenommen, es bestehe inzwischen eine Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen gegenüber Männern. Dem ist jedoch nicht so. Viele typische Frauenberufe sind schlecht bezahlt und Frauen befinden sich nach wie vor sehr oft, aus unterschiedlichen Gründen, in finanzieller Abhängigkeit von ihren Partnern. Neben dem politischen Willen etwas zu ändern muss auch ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden. Dafür braucht es breit angelegte und kontinuierliche Schulungen und Präventionsprojekte. Außerdem müssen Männer ihre Stimme gegen Gewalt an Frauen erheben, denn ohne deren Beitrag werden wir nie eine Veränderung herbeiführen können.
Wenn man hört oder wahrnimmt, dass eine Frau möglicherweise von ihrem Partner oder Ex-Mann geschlagen wird, verschließen viele beide Augen und sagen: Das sind ihre privaten Probleme, das geht uns nichts an. Ist diese Einstellung falsch?
Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Problem und es geht uns alle etwas an. Bei Gewalt handelt es sich nicht um einen Konflikt zwischen zwei gleichwertigen Partnern, sondern um eine Situation wo eine Person Macht über die andere ausübt. Wir sprechen hier von Menschenrechtsverletzungen und Straftaten, die nicht privat bleiben dürfen.
Reicht das Schul-Präventionsprojekt ISN? (ISN steht für „Ich sag NEIN“)
Neben dem ISN bieten wir verschiedene Präventionsprojekte an. Das ISN richtet sich nur an die Mädchen und wir wissen, wie wichtig es ist, dass auch die Buben sich mit dem Thema auseinandersetzen.
Leider sind Gewaltpräventionsprojekte nicht in den Schulprogrammen implementiert, also werden sie nicht regelmäßig und strukturiert angeboten. Wir sprechen hier von Themen, bei welchen viele der Ansicht sind, dass sie innerhalb der Familie angesprochen werden sollten, also zur familiären Erziehung gehören sollten. Dies behindert leider oft die Einführung von Präventionsprojekten in die Schulprogramme. Wir sind hingegen der Meinung, dass Gewalt ein gesellschaftliches Thema ist und es deshalb Aufgabe der Schule ist, diesbezüglich Präventionsarbeit zu leisten.
Was kann der Beirat für Chancenbeirat bzw. die Gemeinde unternehmen, um dieses Ereignis aufzuarbeiten?
Der Mord an Celine ist, in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher Form, ein traumatisches Ereignis für die ganze Dorfgemeinschaft. Die Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik liegt im Aufzeigen der gesellschaftlichen Verantwortung, in der Sensibilisierung der gesamten Bevölkerung, um die Ursachen für Femizide an den Wurzeln zu bekämpfen. Auch das Bereitstellen von Ressourcen zur Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen gehört zu den wichtigen Aufgaben der Politik.
Was kann jeder und jede von uns tun, um Gewalt gegen Frauen vorzubeugen?
Es geht in erster Linie darum hinzusehen, die Gewalt zu erkennen und zu thematisieren. Dies gilt sowohl auf kollektiver wie auch auf individueller Ebene, in unserem privaten als auch in unserem beruflichen Umfeld. Auf kollektiver Ebene besteht Prävention von Gewalt im Aufdecken und Ankämpfen von Frauenfeindlichkeit- und Verachtung, im Erkennen von ungleichen Machtverhältnissen und Abhängigkeiten so wie im kritischen Hinterfragen von Rollenbildern. Wir alle, Frauen und Männer, können zu Multiplikator/innen und Botschafter/innen gegen Gewalt an Frauen werden. Auf individueller Ebene bedeutet es, Frauen, die von ihren Gewalterfahrungen erzählen, vorurteilsfrei zuzuhören, sie ernst zu nehmen und ihnen zu glauben. Weiters ist es wichtig, sie an eine Beratungsstelle der Frauenhausdienste zu verweisen. Der nächstgelegene Frauenhausdienst für den Vinschgau ist der Frauenhausdienst Meran. Der Frauenhausdienst Meran ist telefonisch unter der kostenfreien Nummer 800 014 008 rund um die Uhr zu erreichen. Es ist auch möglich, persönlich in die Beratungsstelle nach Meran, in die Freiheitsstr. 184/A zu kommen. Außerdem sind wir seit Anfang dieses Jahres auch in Schlanders, und zwar an jedem letzten Donnerstag im Monat von 09.00 bis 11.00 in der Göflanerstraße 28. Es ist auch möglich, ohne vorhergehende Terminvereinbarung vorbei zu kommen.