Barbara Balldini ist Kabarettistin, Autorin, Sexualpädagogin, Lebens- und Soza ialberaterin sowie Wirtschafts- und Organisationstrainerin.

Guter Sex, was ist das?

Interview mit der Sexualpädagogin Barbara Balldini

Publiziert in 26 / 2018 - Erschienen am 24. Juli 2018

Vinschgau -  Sex betrifft jeden Menschen. Dennoch scheint die Sache nicht ganz so einfach zu sein. Auch wenn sich jeder seine Theorien zur Sexualität selbst entwirft, bleiben doch viele Fragen und auch Probleme offen. der Vinschger führte daher ein Gespräch mit Barbara Balldini, einer Expertin in Bezug auf Sexualität.
Balldini ist vielen Südtirolerinnen und Südtirolern als Sexualtherapeutin und über ihre Kabarettprogramme bestens bekannt. 

der Vinschger: Barbara, du beziehst dein Wissen nicht nur aus Büchern, sondern schöpfst aus den Erfahrungen deiner Praxis und aus eigenen Erfahrungen und kannst daher völlig authentisch sprechen. Mit welchen Fragen kommen die Menschen hauptsächlich in deine Praxis?

Barbara Balldini: Das Thema „Libidoverlust“ (Lustverlust) ist wohl das häufigste Thema in meiner Praxis. Diese betrifft nicht nur Frauen, sondern vermehrt Männer. Immer mehr Frauen beklagen sich, dass ihre Partner sprichwörtlich „den Schwanz einziehen“, wenn es um Sex geht. 

Sind es eher Männer oder Frauen, die in deine Praxis kommen?

Hauptsächlich Männer. Dies hat mich zu Beginn sehr überrascht. Dann wurde mir klar, dass Männer kaum mit anderen Menschen über ihre sexuellen Probleme sprechen, evtl. mit ihrem Arzt. Dieser kann ihnen nur Medikamente verschreiben, aber für die inneren Probleme des männlichen Wesens sind sie nicht ausgebildet. 

Sind auch Jugendliche in deiner Praxis?

Selten. Sehr selten. Jugendliche informieren sich heute fast ausschließlich übers Internet. 

Was ist deiner Meinung nach guter Sex?

Wenn die Menschen danach rundum zufrieden sind und entspannt. 

Was sollen Frauen und Männer tun, um guten Sex genießen zu können?

Frauen sollten ihren Körper, so wie er ist, bedingungslos annehmen. Nur wer sich und seinen Körper mag, wird auch guten Sex haben können. Egal, wie alt oder rund man ist – guter Sex beginnt mit körperlichem Selbstbewusstsein. Männer sollten sich nicht nach Bildern im Kopf orientieren und das Ziel – den Orgasmus – nicht allzu wichtig nehmen. Es geht um das DU und die Freude aneinander. 

Welchen Einfluss haben Erziehung und eigene gute bzw. schlechte Erfahrungen auf unser Sexleben?

Einen nicht zu unterschätzenden, riesengroßen Einfluss. So wie uns unsere Eltern das Miteinander vorgelebt haben, ob sie sich in den Arm genommen und geküsst haben, macht viel mit unserer eigenen Liebes- und Sexualfähigkeit. Die guten und schlechten Erfahrungen in unserer eigenen Sexualbiografie sind natürlich ausschlaggebend dafür, wie wir aufeinander zugehen. Männer haben heute viel mehr Angst vor Frauen – und gehen daher nur noch zögerlich Beziehungen ein. Umgekehrt ist das Männerbild bei Frauen auch nicht überall das Beste. 

Welches sind die schwerwiegendsten Fehler in der Erziehung zu einer positiven Sicht auf Sexualität?

 Wenn alles, das mit Körperlichkeit zu tun hat, mit „Pfui“ behaftet ist. Wenn z.B. kleine Mädchen mit ihrer Vagina spielen und man ihnen sagt: „Pfui, geh dir die Hände waschen!“ Allein diese Aussage führt dazu, dass weibliche Wesen glauben, dass das, was sie zwischen den Beinen haben, ekelig sei. Oder wenn Eltern bei körperlichen Fragen unsicher werden. Diese Un-
sicherheit führt dazu, dass Kinder/Jugendliche glauben, hier gehe es um etwas „Schlimmes“. Wenn Sexualität und Körperlichkeit etwas „Schmutziges“ sind, wie soll man sich dann damit frei, froh und unbefangen fühlen? 

Welche Rolle hat die kirchlich vermittelte Sexualmoral auf dein Leben, bzw. auf das Leben deiner Klienten gehabt?

Ehrlich gesagt hatte ich in jungen Jahren große Schwierigkeiten mit der kirchlichen Moral und fühlte mich ständig als „Sünderin“. Das ist heute zum Glück gänzlich anders. Auch meine Klienten fühlen sich oft „schuldig“, wenn sie ihr Sexualleben so gestalten, wie sie es möchten – schließlich „sieht Gott alles“. 

Welche Rolle spielt die Angst für ein zufriedenes Sex-Leben?

Eine immens große Rolle. Grundsätzlich haben wir beim Sex immer Angst vor irgendetwas. Zum Beispiel, dass wir nicht schön genug sind, nicht ausdauernd genug, nicht sexy genug, nicht entspannt genug, nicht enthemmt genug, und und und. 

Wie wichtig ist Sex für ein zufriedenstellendes und glückliches Leben?

Es kommt auf den Sex darauf an. Schlechter, unpersönlicher Sex, wo es nur um schnelle Befriedigung geht, macht nicht wirklich glücklich. In dem Fall geht es auch ohne Sex. Dann erfreut man sich an der Natur, an gutem Essen und netten Menschen. Sex wird oft überbewertet. Kein Wunder, wenn wir täglich damit konfrontiert werden auf unangenehme Weise. 

Wie finden Mann bzw. Frau zu ihrer persönlichen Form sexuellen Lebens?

Grundsätzlich würde ich sagen: Weg von Klischees! Es geht in erster Linie um ein Gegenüber und nicht um Stellungen und Technik. Wenn wir uns wirklich auf das DU einlassen und uns selbst hingeben können, voller Vertrauen in Offenheit und Liebe, dann ist das die schönste Form von Sexualität. 

Stimmt es, dass viele Frauen durch den Sexualakt überhaupt nicht zum Orgasmus kommen, sondern eher durch Selbstbefriedigung?

Stimmt nicht ganz. Beim Geschlechtsverkehr allein kommt so gut wie keine Frau zum Orgasmus. Laut neuester Studie sind es 4% der europäischen Frauen und 0,03% weltweit. Wenn die Dame jedoch „oben“ sitzt, kann sie mit ihrer Klitoris am Mann reiben und so zum Höhepunkt gelangen. Oder wenn er sie „von hinten“ nimmt, und dabei den „A-Punkt“ erwischt, der sich direkt beim Muttermund Richtung Bauchdecke befindet, könnte es auch gelingen. 

Aus welchen Gründen könnten Menschen Sex wollen?

(lacht) – der wohl schönste Grund könnte sein, weil zwei Menschen sich lieben und einander nahe sein wollen. Dann wohl auch darum, weil man „spitz ist, wie Nachbars Lumpi“, oder weil sich einfach eine passende Gelegenheit bietet. Ein anderer Grund könnte sein, weil man das Gegenüber rattenscharf findet und neugierig ist, wie es sich wohl auf sexueller Ebene anfühlt. Oder auch einfach deshalb, weil man was erleben will und an Grenzen stoßen möchte. Viele Menschen wollen Sex, weil sie sich einsam fühlen und ungeliebt. Wir alle sehnen uns letztendlich nach dem perfekten Gegenüber. 

Ist Sex nicht auch „erotisches Kapital“, mit dem sich ein Tauschhandel inszenieren lässt?

Ja klar ist er das. Wir haben nicht selten deshalb Sex, weil wir uns im Gegenzug etwas davon versprechen, bzw. erwarten. Wir Frauen wissen nur allzu gut, wie schief der Haussegen hängt, wenn ER keinen Sex hat.  Wir wissen aber auch, dass wir fast alles von IHM haben können, wenn er sexuell befriedigt ist.

 Welche Sexmythen gehören auf den Müllhaufen der Geschichte?

Dass Männer z.B. nur das Eine wollen und immer können, dass Frauen treuer sind als Männer, stimmt auch nicht, sie machen es nur geschickter, dass man aus Pornos lernen kann. Wenn schon lernen, dann, wie man es NICHT macht. Weitere Mythen sind, dass Frauen nur kuscheln und schmusen wollen, dass Männer mehr Lust auf Sex haben als Frauen und dass es nicht auf die Größe ankommt. Leider doch. Wem es allerdings daran mangelt, der sollte mit anderen Feinheiten punkten. 

Welchen Einfluss haben Medien und Pornografie auf das Verständnis von Sex?

Leider, leider einen viel zu großen. Damit werden jedoch Erwartungen aufgebaut, die letztendlich zu Stress und Frustration führen. 

Was sollen Jungen und Mädchen am Beginn einer sexuellen Beziehung beachten?

 Sie sollten aufhören, sich nur am Äußeren zu orientieren, sich viel Zeit lassen und keinem Gruppendruck unterliegen. Gut ist, wenn sie sich vorher über alle Arten von Verhütung, bzw. Geschlechtskrankheiten informieren. Die „Pille danach“ ist z.B. kein zu empfehlendes „Verhütungsmittel“, wie leider viele glauben. 

Was machen sie oft falsch?

Viele junge Menschen glauben, dass Pornografie „echt“ sei, obwohl sie beim Anschauen eines Krimis schon wissen, dass die Leichen nicht tot sind. Außerdem gehen sie es oft viel zu schnell an und lassen sich zu wenig Zeit, weil sie Angst haben, dann in der Clique nicht mehr „in“ zu sein. Oft liegen auch die Erwartungen an das Gegenüber viel zu hoch, da kann dieses dann nicht mithalten. 

Was ist der Preis für guten Sex?

Der Neid der anderen.

Wie finde ich den richtigen Partner, bzw. die richtige Partnerin?

Als Buddhistin würde ich sagen: „Gutes Karma“.  Viele Menschen finden ihn heute tatsächlich über das Internet.

Wie kann ich es anstellen, wenn ich mein Sexleben verändern möchte?

Nun, da kommen wir an einem Gespräch mit dem Gegenüber nicht vorbei. Dazu gehört allerdings richtig viel Mut und Offenheit und natürlich die richtige Wortwahl. Bei keinem Thema wird soviel geschwiegen und gelogen wie beim Thema Sexualität. Wir haben leider bis heute keine Sprache dafür und leider auch nicht gelernt, überhaupt „darüber“ zu reden. 

Sind nicht die Frauen eigentlich die wahren Meisterinnen und Herrscherinnen des Sex?

Gut erkannt! Das sind sie. Leider tun sich viele aber immer noch schwer, diesen inneren Tiger los zu lassen. Wir Frauen schweigen viel zu viel und lassen „es“ geschehen.  Kein Wunder, dass Männer so oft im Dunklen tappen und überhaupt keine Ahnung davon haben, was Frauen wirklich wollen. Männer lieben selbstbewusste, unkomplizierte, erfahrene Frauen im Bett. 

Die sexuellen Erwartungen von Männern und Frauen sind oft doch grundverschieden. Wie sollen sie da zu einer gemeinsamen Einstellung kommen?

Ganz klar: Reden, reden, reden. Anders geht’s nicht. Wenn er  z.B. Oral- und/oder Analverkehr wünscht und sie das unter Umständen machen würde, dann muss SIE ihm sagen, unter welchen. Und wenn sie das nicht will, darf sie ihn nicht als „Perversen“ oder „Schwein“ abstempeln, sondern auch seine Wünsche ernst nehmen und ihm erklären, wie sie sich dabei fühlt und warum sie es nicht möchte. Grundsätzlich ist es wie bei allen Dingen: nicht alle Wünsche gehen immer in Erfüllung.

Sind Klitoris, Vagina und Penis nicht immer noch Begriffe, die man nicht gerne ausspricht?

Ja leider! Entweder haben wir häufig nur kindliche oder ordinäre Wörter dafür. 

Gibt es Sex ohne Liebe?

Ja klar gibt es das. Häufiger, als man denkt und häufiger als früher. Genauso gibt es auch Liebe ohne Sex. Und diese Paare können auch glücklich sein. 

Es wird heute sehr viel über sexuelle Belästigung gesprochen. Was ist für dich sexuelle Belästigung?

Wenn man(n) ein „Nein“ nicht akzeptiert und mich weiter bedrängt und belästigt. Aber grundsätzlich war ich immer froh darüber, dass Männer auf mich reagiert haben und mich sexy fanden. Das war gut für das Ego. Wozu auch investieren wir Frauen soviel in unser Aussehen und die Optik? Als Frau – also ich – konnte dann entscheiden, was ich mit all diesen Angeboten mache. Im Übrigen wusste ich mich immer zu wehren, wenn es mir zu weit ging und mir einer dumm kam. Notfalls auch lautstark. 

Friedrich Haring
Friedrich Haring
Vinschger Sonderausgabe

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