Eine Gratwanderung
Neues Buch über Karl Felderer trägt starke Vinschger Handschrift.
Vinschgau - Auf 456 Seiten wird im neuen Buch „Karl Felderer. Eine Gratwanderung“ die Persönlichkeit und das Schaffen des Südtiroler Heimatdichters beleuchtet. Felderer war aber nicht nur der Verfasser des Bozner Bergsteigerliedes „Wohl ist die Welt so groß und weit …“, sondern er war auch Alpinist, Fotograf, politischer Aktivist, Gastwirt und Umweltschützer. Herausgegeben wurde der Band, der mit 93 Schwarz-Weiß-Fotografien von Karl Felderer aus den 1920er Jahren bestückt ist, darunter auch etliche aus dem Vinschgau, vom Alpenverein Südtirol. Das Buch trägt eine starke Vinschger Handschrift. Zwei der drei Autoren, nämlich Manuel Maringgele aus Kastelbell und Ivan Stecher aus St. Valentin a. d. H., die zusammen mit Alex Lamprecht aus dem Dorf Weitental im Pustertal die Biografie verfasst haben, sind Vinschger. Ebenso aus St. Valentin stammt Hansjörg Stecher, der Leiter des Buchprojektes. „Karl Felderer. Eine Gratwanderung“ ist die erste Publikation des Verlages „Menschen Bilder“, den Hansjörg Stecher vor einiger Zeit in Innsbruck gegründet hat. Vielen ist er aufgrund des Dokumentarfilms „Das versunkene Dorf“ bekannt, den er zusammen mit Georg Lembergh gedreht hat. Karl Felderer, geboren am 17. Mai 1895 in Margreid und gestorben am 3. März 1989 in Bozen, „steht im Alpenverein für Heimatliebe, Natur und Alpinismus“ schreibt der AVS-Präsident Georg Simeoni im Vorwort. Felderer, Verfasser der „heimlichen Landeshymne“ Südtirols, sei einer der ersten Kritiker des überbordenden Tourismus gewesen, „der heute als Übertourismus in aller Munde ist“. In den 1920er und 1930er Jahren wandte sich der Alpinist und Landschaftsfotograf immer stärker dem Nationalsozialismus zu. In der Zeit der Option warb er offen für die Umsiedlung ins Deutsche Reich und wanderte selbst 1940 nach Innsbruck aus. Nach seiner Rückoption baute sich Felderer als Gastwirt in Gröden ein neues Leben auf und engagierte sich fortan für Heimat- und Umweltschutz, trat aber auch für das Deutschtum in Südtirol ein und kritisierte die Auswüchse des Tourismus. Auf die Frage, ob Karl Felderer ein Nazi war, antwortet der Verleger Hansjörg Stecher: „Er war kein ideologischer Rassist oder ein überzeugter Antisemit, aber wenn man sich seine Texte ansieht, wie beispielsweise das Gedicht ‚März 1938‘, in dem Felderer den ‚Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich verklärt oder sein Optantengedicht, mit dem er die ‚Treue zu Deutschland’ beschwört, so sprechen diese Texte schon eine eindeutige Sprache.“ Felderer sei eine widersprüchliche Persönlichkeit gewesen. „Auf der einen Seite hat er Mitte der 1920er Jahre mit dem Bozner Bergsteigerlied eine Hymne auf seine Heimat geschrieben, auf der anderen war er nur anderthalb Jahrzehnte später bereit, Südtirol im Rahmen der Option zu verlassen. Aber Felderer war in der Optionszeit kein Getriebener, sondern ein Treiber“, so Hansjörg Stecher. Die Heimat habe in Felderers Leben überhaupt eine große Rolle gespielt, als Autor des Bergsteigerliedes, als Landschaftsfotograf, bei der Option sowie als Heimat- und Umweltschützer. Felderers Widersprüchlichkeit zeige sich auch insofern, als dass er als Gastwirt vom aufkommenden Fremdenverkehr profitierte, ihn aber vehement kritisierte, als er sah, welche Auswüchse er zusehends annahm. Stecher: „Wenn man Felderers Texte aus den 1970er Jahren heute liest, in denen er den Tourismus kritisiert, könnte man meinen, sie sind von heute. Die Aktualität ist erstaunlich. Aber auch als Umweltschützer war Felderer ein Visionär. Man denke nur, wie er gemeinsam mit Luis Trenker bei der großen Kundgebung des AVS 1985 lautstark gegen die Erschließung der Confinböden protestiert hat. Umso erschreckender ist es, dass wir 40 Jahre später noch immer um dieses Naturjuwel kämpfen müssen.“ Das Buch wolle nicht an Felderers Mythos weiterstricken, „sondern setzt sich kritisch mit seinem komplexen Lebensbild auseinander, das in vielerlei Hinsicht die wechselvolle Geschichte Südtirols im 20. Jahrhundert spiegelt“, so die drei Autoren. Nicht nur Felderers Leben sei eine Gratwanderung gewesen, sondern auch der historische Zugang zu dieser Person. Großen Dank zollen die Autoren dem Alpenverein Südtirol, den Sponsoren und allen, die zum Gelingen des Buchprojektes beigetragen haben. Das Buch ist im lokalen Buchhandel erhältlich oder kann online (www.menschenbilder.at) bestellt werden. Im Rahmen der Erstvorstellung am 22. November am Sitz des AVS in Bozen wurde auch eine kleine Felderer-Ausstellung eröffnet. Für Musik sorgte eine AVS-Singgruppe aus dem Unterland und als moderner Kontrapunkt dazu trat der gebürtige Matscher David Frank mit seiner Band auf. Das Trio, bestehend aus David Frank, Magdalena Oberstaller und Marc Perin, spielte unter anderem auch das Südtiroler Heimatlied in einer neuinterpretierten Form. Diese Darbietung gehörte zu den Höhepunkten des Abends.