Pfarrer Georg Johann Martin

Brücken bauen

Pfarrer Georg Johann Martin im Interview

Publiziert in 29 / 2017 - Erschienen am 5. September 2017

Prad - 12 Jahre lang hat Georg Johann Martin in der Gemeinde Prad als Pfarrer gewirkt. Seit dem 1. September ist der gebürtige Kastelbeller Dekan des Dekanates Klausen-Kastelruth. Für den
der Vinschger  war Georg Johann Martin fast 12 Jahre lang für die Rubrik „A Pillele fir di Seal“ zuständig. Im folgenden Interview spricht er über seine Arbeit in der Gemeinde Prad, seine neue Herausforderung, den Priestermangel, über die Kirche, die Marienerscheinungen in Prad, die Bedeutung des Betens, das Zölibat und weitere Themen.

der Vinschger: Was ist der stärkste Eindruck, den Sie von der Gemeinde Prad mitnehmen?
Georg Johann Martin: Das Vertrauen der Leute, das sie mir entgegengebracht haben. Und die Stütze und Mithilfe der vielen Freiwilligen in den Pfarreien. Ohne Freiwillige geht es nicht. Am Anfang meiner Tätigkeit war alles neu und ich stand wie ein Ochs vor dem Berg. Mit der Zeit aber ist viel Positives gewachsen. Aus vielen Begegnungen und Gesprächen entstand gegenseitiges Vertrauen.

Was werden Sie am meisten vermissen?
Viele liebe Leute.

Es ist Ihnen gelungen, mit Ihrer nicht immer konventionellen Art vor allem auch junge Menschen anzusprechen. Wo liegt das Geheimnis dafür?
Der Inhalt der Botschaften, die wir als Priester vermitteln, ist immer derselbe und soll es auch bleiben. Es sind die Formen, die wir verstärkt ändern sollten. Wenn jemand ständig nur alte Texte vorliest, wird er auf wenig Verständnis stoßen. Wenn es aber gelingt, den Inhalt in anderen Formen an die Menschen zu bringen, hören einem diese plötzlich zu und verstehen, worum es eigentlich geht.

Wie sehen solche neuen Formen aus?
Sie können sich zum Beispiel in der Musik äußern, in der Art, wie man Botschaften sprachlich vermittelt, oder dadurch, dass man ganz einfach neue Wege sucht und auch geht. Als Beispiel dafür kann ich etwa die Anbetungswoche, die Bittgänge, die Bibelrunden, die Drei-Kirchen-Wallfahrt, die Friedhöfewallfahrt, die Fastenfreitage nennen, die ich vor Jahren eingeführt bzw. umgestaltet habe. Es kommt aber leider auch vor, dass sich Menschen gegen neue Formen wehren.

Wie gehen Sie mit solchen Leuten um?
Ich versuche, auf sie zuzugehen und sie zur Mitarbeit zu motivieren. Je höher die Zahl der Mitarbeitenden ist, umso weniger Kritiker und ­Nörgler gibt es. Manche sagen, dass ein Priester eigentlich nicht viel zu tun hat: „Er zelebriert die Messe und hat seine Arbeit damit schon getan.“

Ist dem nicht so?
Ganz und gar nicht. Viele wissen überhaupt nicht, wieviel Arbeit zusätzlich zur eigentlichen Seelsorge anfällt. Ich denke etwa an die unzähligen Einzelgespräche, die Bürokratie, die Verwaltungsarbeit und viele weitere Arbeiten, die getan werden müssen. Auch der Haushalt kommt oft dazu, sprich Kochen, Waschen usw., was ich übrigens auch gerne tue.   

Besteht da nicht die Gefahr, dass man sich in solchen Arbeiten verrennt und die eigentliche Aufgabe als Priester in den Hintergrund gerät?
Die vielleicht wichtigste Aufgabe eines Priesters sehe in der persön­lichen Freundschaft zu Jesus Christus und zweitens im Bau von Brücken. Brücken zwischen Menschen und Brücken zwischen Menschen und Gott. Vieles, was zusätzlich auf uns Pfarrer zukommt, sollten wir abgeben. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig die Mitarbeit von Laien und Freiwilligen ist. Der Pfarrer sollte sich auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren. Er soll zuhören, Begegnungen und Gespräche suchen, Kranke salben, Sterbenden beistehen. Alle Christen sind aufgerufen, Brücken zu bauen. Der derzeitige Papst Franziskus ist ein außergewöhnlich großer Pontifex, also ­Brückenbauer.

Werden Priester nicht auch oft überfordert?
Auch wir Pfarrer sind nur Menschen. Es schadet nicht, wenn man zum Beispiel einmal ein Glas zu viel erwischt. Überzeugt bin ich auch, dass es notwendig ist, sich selbst zu schützen und zu trennen. Trennen zwischen Menschen, die es gut mit einem meinen, und solchen, die einen nur „aussaugen“. Was ebenfalls gut tut, ist das private Zusammensein unter Pfarrern. Es ist schön, wenn man sich unter Kollegen treffen und zwanglos austauschen kann. Sehr wohltuend sind Herzensfreundschaften und ein guter Halt zu Hause.

Was halten Sie vom Vorschlag, verheiratete Diakone zu Priestern zu weihen?
Ich bin dafür. Auch Frauen sollten meiner Meinung nach zu Priesterinnen geweiht werden können.

Das Problem des Priestermangels ist eines der Hauptprobleme der Kirche. Gibt es ein Patentrezept für die Lösung dieses Problems?
Nein, das gibt es nicht. Ich persönlich habe zu diesem Thema eine Einstellung, die wohl vielen nicht gefällt, von der ich aber überzeugt bin. Wenn sich die Priester auf ihre ureigenen Aufgaben besinnen und ihnen aller unnötige Ballast abgenommen wird, gibt es nicht zu wenige, sondern zu viele Priester. Es wäre zum Beispiel sinn- und auch wertvoller, weniger Gottesdienste zu feiern, diese aber so zu gestalten, dass mehrere Pfarreien eingebunden werden und so auch die Gemeinschaft erstarkt.

Die Pfarreien werden landauf landab zu immer größeren Seelsorgeeinheiten zusammengeführt. Wie schätzen Sie diese Entwicklung im Vinschgau ein?
Es kann leicht dazu kommen, dass es im Vinschgau in 10 bis 15 Jahren nur mehr 3, oder gar nur mehr einen Seelesorgebezirk gibt. Dann werden der zuständige Pfarrer bzw. 2 bis 3 Geistliche von der Töll bis zum Reschen auf- und abfahren müssen.

Was gibt Ihnen Kraft, wenn Sie schlecht drauf sind?
Was immer hilft, ist das Gebet. ­Früher habe ich oft geschimpft und heimlich geflucht, aber das führt zu nichts. Damit vergiftet man nur sich selbst. Dasselbe gilt auch für den Umgang mit den Mitmenschen. Wir sollten nicht übereinander ­schimpfen und uns gegenseitig kritisieren, sondern beten und uns gegenseitig segnen. Alle dürfen ­segnen, nicht nur die Priester.

Als Sie am 15. August von den ­Pfarreien Prad-Agums und Lichtenberg als Pfarrer verabschiedet wurden, fiel u.a. eine außergewöhnlich große Zahl an Ministranten auf.
Der Ministrantendienst ist für Buben und Mädchen eine gute Gelegenheit, dem Glauben, dem Christsein und der Kirche näher zu kommen. In den Pfarreien Prad und Lichtenberg gibt es zum Glück und dank engagierter Eltern sehr viele Ministrantinnen und Ministranten. Für die meisten gilt es als cool, diesen Dienst versehen zu dürfen. Leider gibt es aber auch Eltern, die ihre Kinder überhaupt nicht oder nur selten ministrieren lassen.

Für einigen Wirbel in der Gemeinde Prad, aber auch in Medien sorgten vor einigen Jahren angebliche Marien-Erscheinungen, die sich im Kiefernwald in der „Kultur“ zugetragen haben sollen. Noch heute pilgern regelmäßig Menschen zum vermeintlichen Erscheinungsort.
Ich persönlich bin diesem Phänomen von Anfang an mit Skepsis begegnet. Hier geht es wohl weniger darum, „dass dein Reich komme“, sondern „dass mein Reich komme“. Ich halte es grundsätzlich für verwerflich, wenn Leute in Not ausgenutzt werden, in welcher Form auch immer.

Viele Menschen finden in der Kirche offensichtlich keine zufriedenstellenden Antworten auf ihre Fragen und wenden sich zum Beispiel Sekten, spirituellen Bewegungen oder anderen Glaubensrichtungen zu.
Wenn wir den Glauben bei der Tür hinauslassen, kommt der Aberglaube über das Fenster herein.

Hat ihr Wechsel ins Eisacktal mit Karriere zu tun?
Nein. Es ist eine neue Herausforderung mit neuen Aufgaben.

Was wünschen Sie ihrem Nachfolger Florian Öttl?
Dass er Arbeiten abgibt, dass er sich helfen lässt und dass er trotz aller Verpflichtungen Zeit für sich selbst und für das Zusammensein mit seinen Pfarrerkollegen findet.

Josef Laner
Josef Laner
Vinschger Sonderausgabe

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