Das salomonische Urteil

Publiziert in 21 / 2005 - Erschienen am 4. November 2005
Schlanders - „Der kaukasische Kreidekreis“ wurde am 20. Oktober im Kulturhaus Karl Schönherr in Schlanders vom „Freien Theater Bozen“ aufgeführt. Über 100 Zuschauer verfolgten das Meisterwerk des großen deutschen Schriftstellers Bertolt Brecht, das von den Schauspielerinnen und Schauspielern hervorragend gespielt wurde. Man muss dem Urteil des schlitzohrigen Bettlers und Ex-Gauners Azdak von Herzen zustimmen, obwohl es rechtlich falsch ist. In seinem „Kaukasischem Kreidekreis“ stellt Brecht die biblische Geschichte des weisen Salomon auf den Kopf und gerechtfertigt dies sozialkritisch. Bei ihm ist die richtige Mutter des Kindes die hartherzige Frau des Gouverneurs, die im Kriege zwar ihre Kleider in Sicherheit bringt, ihr Kind aber liegen lässt. Die Magd Grusche rettet das Kind, das als Erbe getötet werden soll, vor den Verfolgern. Nach ihrer Rückkehr verlangt die leibliche Mutter ihr Kind zurück, um sich das Erbe zu sichern. Grusche ist dazu nicht bereit und der Rechtsstreit gerät vor den schlauen Richter Azdak. Die Probe des „Kreidekreises“ ergibt, dass die Pflegemutter die „richtige“, die leibliche Mutter dagegen die „falsche“ Mutter ist. So verliert die leibliche Mutter durch ihre Unmütterlichkeit das moralische Recht auf ihr Kind; der Zuschauer ist damit einverstanden. Das Bühnenbild für den „Kaukasischen Kreidekreis“ ist schlicht und funktionell; die Kostüme von Anna Kalatosishvili getreu im grusinischen Stil. Die teils beißend sarkastischen, teils humorvollen Szenen sind im Legendenstil aneinandergereiht, ein Sänger und Geschichtenerzähler begleitet durch die einzelnen Szenen. Ein langatmiger Mittelteil klärt den Zuschauer über die Geschichte des Richters Azdak und seiner amoralischen, selbstsüchtigen Züge auf. Mit knapp drei Stunden Spieldauer scheint das Stück für das heutige Theaterpublikum zu lang geraten. Trotzdem gab es viel Applaus für die Schauspieltruppe des „Freien Theaters Bozen“, allen voran für Gabriele Langes als die Magd Grusche, Peter Schulze-Sandow als der Richter Azdak, Markus Fisher als Sänger und Erzähler, Britta Benedetti als die Frau des Gouverneurs. Die nächste Aufführung im Vinschgau findet am 10. November um 20 Uhr in der Aula Magna von Mals statt. Die ersten zehn Anrufer beim „Der Vinschger“ (Tel.: 0473 621715) erhalten je eine Freikarte für die Aufführung in Mals.
Ingeborg Rainalter Rechenmacher
Ingeborg Rainalter Rechenmacher

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