Über Chancen, Herausforderungen und Probleme: Martells Erster Bürger spricht Klartext.

Was Martell bewegt

Visionen, die Zukunft des „Paradiso“, touristische Chancen, Herausforderungen für die Landwirtschaft und mehr: BM Georg Altstätter im Interview.

Publiziert in 15 / 2024 - Erschienen am 27. August 2024

MARTELL - Seit 2010 fungiert Georg Alt-stätter als Bürgermeister von Martell. Dass er im Jahr 2024 sich noch Gedanken über eine vierte Verwaltungsperiode machen kann, hätte er damals bei seinem Amtsantritt wohl nicht gedacht. Aber auch abseits einer potenziellen Wiederkandidatur hat der oberste Bürger der knapp 850-Seelengemeinde freilich so einiges zu erzählen. Vieles bewegt das Martelltal, vieles brennt unter den Nägeln. Über Ideen und Visionen, dem verlassenen Hotel „Paradiso“, anstehende Projekte, das Dilemma Großraubtiere, die Biathlon-EM und vieles mehr: der Vinschger hat Georg Altstätter zum Bürgermeister-Gespräch gebeten.

der Vinschger: Im kommenden Frühjahr stehen die Gemeinderatswahlen auf dem Programm. Zuletzt galt eine Mandatsbeschränkung von drei Verwaltungsperioden, damit hätten Sie nicht mehr kandidieren dürfen – wäre da nicht das neue Staatsgesetz, das unter anderem vorsieht, dass es bei Gemeinden mit einer Bevölkerung von unter 5.000 keine Beschränkung mehr gibt. Dies dürfte von der Region übernommen werden. Sind Sie schon im Wahlkampfmodus?

Georg Altstätter: Vor die Entscheidung im Regionalrat hinsichtlich des Wahlgesetzes nicht steht, ist es schwierig, etwas zu sagen. Noch vor einem Jahr habe ich damit gerechnet, dass es definitiv die letzte Verwaltungsperiode ist. Nun hat sich so einiges geändert. Ich hoffe, es wird alsbald eine Entscheidung fallen. Die Situation ist so momentan nicht einfach. Es braucht so schnell wie möglich Sicherheit. Weil so ist es auch schwierig einen potenziellen Nachfolger zu finden. Wenn es möglich ist und ein Konsens innerhalb der Partei da ist, dann stelle ich mich gerne nochmal zur Verfügung. Ich bin 55 Jahre alt und fühle mich noch fit, das Amt für weitere fünf Jahre auszuüben.

In Martell ist seit jeher ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen. Wie steht es in Sachen Abwanderung?  

Die Tendenz zeigte zuletzt generell weiter nach unten, aber weniger als noch vor Jahrzehnten. Dass die Bevölkerungszahl sinkt, dem können wir schwer entgegensteuern. Aber ohne Zuwanderung würde diese so gut wie überall sinken. Dies hat in erster Linie mit dem demografischen Wandel zu tun. Die Zuwanderung ist im Tal rar, weil eben auch die vielen Arbeitsplätze fehlen. Zuletzt konnten jedoch einige Akzente gesetzt werden, etwa durch die Wobi-Wohnungen. Von Abwanderung war Martell schon immer betroffen, viele junge Menschen bleiben nach ihrem Studium im Ausland. Die Abwanderung hat jedoch im Vergleich zu früher abgenommen. Ein Konzept um dem Bevölkerungsrückgang entgegenzuwirken ist es, Wohnraum zu schaffen.

An heißen August-Tagen ist hier einiges los. Das idyllische Tal zieht derzeit zahlreiche Touristen an. Was sagen Sie zum Südtiroler Bettenstopp?

Die ganze Diskussion in Sachen Overtourism ist auf das Martelltal bezogen ein Witz. Wir haben wir 14.500 Hektar Fläche und knapp 70.000 Nächtigungen. Der Bettenstopp für Gebiete wie Martell ist ein totales No-Go. Auch ein Verkehrsproblem – was meist ohnehin größtenteils hausgemacht ist – gibt es in Martell nicht wirklich. Einzig im August ist ein höheres Verkehrsaufkommen zu beobachten, das ist aber auch der einzige Monat, wo die Betriebe halbwegs ausgelastet sind und gut arbeiten können. Es braucht also sicher nicht weniger Tourismus in Martell, sondern mehr. Es ist hier noch viel Luft nach oben.

Insbesondere ins Hintermartell strömen viele Tagestouristen. Da kann es mit Parkmöglichkeiten schon mal eng werden, teils musste die Straße gesperrt werden. Gibt es Bestrebungen, mehr Parkplätze zu schaffen?

Ich sehe fast keine Möglichkeit, da noch etwas zu tun. Das Einzige wäre eine Tiefgarage, was aber auch kostenmäßig kaum Sinn macht, für diese paar Tage, an denen die Plätze überfüllt sind. Zuletzt entstanden bereits zahlreiche Parkplätze, allein im Talschluss gibt es rund 300. Eine Lösung muss es sein, mehr auf Busse zu setzen. Die Menschen müssen zum Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bewegt werden.

Das Mobilitätskonzept ist Ihnen seit jeher ein Anliegen. Wie kann dies verbessert werden?

Derzeit fahren stündlich Busse ins Tal und wieder hinaus. Eine Vision ist es, künftig zu bestimmten Tageszeiten alle 30 Minuten eine Verbindung anzubieten. Wenn wir von Mobilitätskonzepten, Klimawandel und Nachhaltigkeit sprechen, muss in einem Schutzgebiet wie Martell mehr passieren. Da muss man auch das Land mal kritisieren und in die Pflicht nehmen. Neben mehr Verbindungen sollten auch Elektro- oder Wasserstoffbusse, so klimaneutral wie möglich, in den nächsten Jahren ein Thema werden. Darauf wollen wir hinarbeiten. Dem Land muss das Schutzgebiet und die Leute, die darin leben, etwas wert sein. Dies könnte auch wunderbar mit weiteren touristischen Aufwertungen verbunden werden. Eine Idee hier wäre zum Beispiel, dass es in den Bussen Informationen gibt. Geht es am Zufrittstausee vorbei, gibt es direkt Infos an Bildschirmen im Bus. Das gibt es in jeder großen Stadt, warum soll es bei uns nicht auch möglich sein.

Marteller und auch Gäste von außerhalb, die im hinteren Tal unterwegs sind und auf das „Hotel Paradiso“ stoßen, fragen sich immer wieder: Was passiert mit diesem lang verlassenen Gebäude?

Wir sind ständig in Kontakt mit Landesämtern und dem Besitzer, der Brauerei Forst. Diese wäre auch bereit, das Gebäude zu veräußern. Aber für einen Kauf müssen die urbanistischen Voraussetzungen geschaffen werden, potenzielle Käufer müssen wissen, was getan werden kann, welche Nutzung möglich ist. Das ist Aufgabe des Landes, auch ein Denkmalschutz stand bereits im Raum. Ideal wäre meiner Ansicht nach jedenfalls ein Gastbetrieb. Wir brauchen keine 500-Betten-Burg, aber ein Leitbetrieb am Talschluss würde ganz Martell aufwerten. Wir haben als Gemeinde in Hintermartell beste Infrastrukturen und Voraussetzungen geschaffen, neue Stromleitungen, Glasfaser, Löschwasserleitungen etc. Zuletzt wurde auch die Brücke hin zum „Paradiso“ zusammen mit der Wildbauchverbauung erneuert.

Kritik herrscht auch an der bereits vor vielen Jahren erneuerten, aber leerstehenden Borromeo-Hütte, nahe der Kehren im Talschluss. Was tut sich hier?

Die Hütte ist ebenfalls im Besitz der Forst. Es ist ein großer Wunsch, dass hier etwas weitergeht, seien es Ferienwohnungen oder eine andere Form der Bewirtschaftung. Die Brauerei Forst wäre durchaus gewillt, etwas daraus zu machen, die Suche nach möglichen Partnern läuft.

Wie geht es mit dem Projekt Seerundweg weiter?

Langsam, langsam möchten wir die komplette Umrundung am Zufrittsee realisieren. Durch Brücken entstand zuletzt ein Teil des Weges entlang des Sees vom „Hotel zum See“ weg, demnächst soll der Weg weiter bis zur Aussichtsplattform beim „Alpengasthof Zufritt“ gemacht werden, dann etwas weiter in Richtung Staumauer. Der letzte Teil bis zur Mauer dürfte aufgrund des felsigen Geländes aber sehr kostenintensiv werden, da ist eine Million Euro schnell weg. Nichtsdestotrotz soll der Rundweg die nächsten Jahre realisiert werden. Es wäre eine weitere große touristische Aufwertung.

Welche weiteren großen Projekte stehen derzeit an?

Derzeit wird das neue Schulhaus mit Kindergarten errichtet, die Gesamtkosten belaufen sich auf über 5 Millionen Euro. Ober der Schule befinden sich 3 Wohnungen. Das Haus soll mit Beginn des Schuljahrs 2025/2026 bezugsfertig sein. Auch die Trinkwasserleitung zum Sonnenberg wird momentan erneuert, die Kosten belaufen sich auf etwa eine Million. Größere Umbauarbeiten werden auch beim Biathlonzentrum gemacht. Durch die Europameisterschaft gab es hierfür eine Finanzierung von rund 80 Prozent. So wird beim Startgelände eine Art Stadel errichtet, für die Unterbringung der gesamten Container. In den nächsten Jahren stehen auch die Verbauung des Saugbaches und die Sanierung der Kirchenorgel an.

Was konnte zuletzt verwirklicht werden?

Viele Projekte konnten in den vergangenen Jahren fertiggestellt werden, darunter zahlreiche größere, wie die Sanierung und Erweiterung des Gemeindehauses, das Jugendhaus und das E-Werk Grogg oder die Neugestaltung des Nationalparkhauses culturamartell. Mehrere Photovoltaik-Anlagen mit insgesamt 200 Kilowatt wurden auf öffentlichen Infrastrukturen errichtet, Anlagen mit weiteren 200 kW folgen bis Sommer 2025. Auch für die Sicherheit auf den Straßen wurde wiederum viel getan, so wurden unter anderem Steinschlagnetze errichtet. Die Straßenbeleuchtung wurde an gefährlichen Punkten mit LED ausgestattet, auch die Zebrastreifenbeleuchtung funktioniert nun an vielen Übergängen mit LED-Technik. Nicht zuletzt konnte der Gefahrenzonenplan erfolgreich realisiert werden.

Sie haben das Jugendhaus Grogg, das im Herbst vergangenen Jahres eröffnet wurde, angesprochen. Wie wird dieses Selbstversorgerhaus angenommen?

Wir sind sehr zufrieden. Die bisherige Auslastung hat alle Erwartungen übertroffen. So kann es weitergehen.

Wie geht es der Landwirtschaft im Beerental?

Die Erzeugergenossenschaft MEG hat sich glücklicherweise in den vergangenen Jahren wieder stabilisiert und steht finanziell auf guten Beinen. Erdbeeren und Nischenkulturen sind für unsere Landwirte ein wichtiges Standbein. Mittlerweile werden rund 400.000 Kilogramm produziert. Die Erdbeeren sind auch für den Tourismus wichtig, es ist ein Alleinstellungsmerkmal. Zwischen Landwirtschaft und Tourismus können gute Synergien entstehen. Es braucht aber auch generell neue, innovative Modelle für die Marteller Produkte, sowohl was den Anbau betrifft, als auch im Hinblick auf die Vermarktung. Mit den Nationalpark-Produkten sind wir auf einem guten Weg, aber noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Unsere Bauern haben es ohnehin nicht leicht, zwischen den Wetterbedingungen und Schädlingen gibt es viele Herausforderungen, oft ist heutzutage die Hofnachfolge ein Problem, hinzu kommen die Großraubtiere.

Wie sehr ist Martell vom Großraubwild betroffen?

Sehr. Bär und Wolf bedrohen massiv unsere Almwirtschaft, immer wieder kommt es zu Rissen. Da muss sich etwas tun. Ich habe Angst, dass es bald keine Nutztiere mehr auf den Bergen geben wird. Der Herdenschutz, wie er von vielen propagiert wird, funktioniert meiner Meinung nach in so weitläufigen Gebieten wie es sie im Martelltal gibt, nicht.

Ein freudigeres Ereignis steht mit der Biathlon-EM bevor. Was erwartet Martell vom 27. Jänner bis zum 2. Februar?

Das wird ein Großereignis, auf das sich nicht nur das ganze Martelltal freut. Die Vorbereitungen laufen schon lange auf Hochtouren, bei den Wettkämpfen sind täglich rund 200 Freiwillige im Einsatz, mindestens. Auch Hunderte Fans aus nah und fern werden ins Martelltal strömen. Es wird ein absoluter Höhepunkt in unserer Sportgeschichte und so eine Biathlon-EM ist im Vinschgau sicherlich einmalig.

Michael Andres
Michael Andres

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