“Keine Transitstrecke über den Reschenpass.”

Publiziert in 10 / 2004 - Erschienen am 20. Mai 2004
[F] Seit dem Jahr 2002 leitet ein Mann, dessen Schwiegervater ein gebürtiger Vinschger war, die Geschicke des Landes Tirol. Die Rede ist von Herwig van Staa. Der Schwiegersohn des legendären Landesvater Eduard "Walli" Wallnöfer wird vielleicht in dessen Fußstapfen treten. Doch einfach wird es nicht. Alois Partl und Wendelin Weingartner haben es auch versucht, aber einen Typ wie den "Walli" wird es nur einmal geben, auch in Tirol. Interview: Andreas Raffeiner, Foto: Markus Giesinger [/F] “Der Vinschger”: In diesen Tagen jährte sich der 15. Todestages Ihres Schwiegervaters Eduard Wallnöfer. Der "Walli" war ja ein Südtiroler, ein Vinschger. Wie steht es mit den Beziehungen zu Südtirol und in Besonderem zum Vinschgau? Herwig van Staa: Zu Südtirol habe ich eine ganz besondere Beziehung. Die Kontakte auf politischer Ebene zu Südtirol sind von größter Bedeutung. Deshalb lege ich großen Wert darauf, den ständigen Dialog mit den politischen Vertretern in Südtirol zu pflegen. Noch wichtiger sind aber die persönlichen Kontakte zwischen der Bevölkerung des Bundeslandes Tirol und den Menschen in Südtirol. Deshalb fahre ich auch gerne privat nach Südtirol und besonders gerne natürlich auch in den Vinschgau, der Heimat meines Schwiegervaters Eduard Wallnöfer. Wallnöfers große Liebe galt neben seiner Heimat Südtirol auch den Schützen. Böse Zungen behaupten, es war seine Privatarmee. Was halten Sie von den Schützen? Sind sie nach Ihrer Meinung noch zeitgemäß und wie wichtig sind Ihnen in einer so schnelllebigen Zeit wie der heutigen überhaupt Bräuche und Traditionen? Die Schützen haben in unserem Land stets eine wichtige Rolle gespielt – mussten sie einst unser Heimatland vor den Feinden verteidigen, so stehen sie heute für den Erhalt von Werten, Tradition und kulturellem Bewusstsein. Nur wer zu sich selbst und seinen historischen Wurzeln steht, kann neuen Entwicklungen offen und aufgeschlossen begegnen, ohne Gefahr zu laufen, die eigene Identität zu verlieren. In dieser Hinsicht kommt den Schützen auch heute noch eine große Bedeutung zu. Darüber hinaus tragen sie sehr viel zum Zusammenhalt in den Gemeinden und zur kulturellen Vielfalt unseres Landes bei. Der Transit wird von der österreichischen Bundesregierung nicht als Problem in dieser Form wahrgenommen. Das Land Tirol, südlich wie nördlich des Brenners, stöhnt und leidet unter dem Transit. Herr Landeshauptmann, sind Sie der Meinung, dass es eines Tages auch zu einer Blechlawine im West-Ost-Gefälle kommt und somit auch der Vinschgau zum Verkehrsknotenpunkt wird? Die Gesundheit der Menschen muss Vorrang vor dem freien Warenverkehr haben. Für diesen Grundsatz setzte ich mich permanent ein. Um dieses wichtige Prinzip auch international umzusetzen und auch um eine Reduktion der Belastungen durch den Transitverkehr zu erreichen, brauchen wir Verbündete – nicht nur in Österreich, sondern auch über unsere Grenzen hinaus. In Österreich sind die Interessen natürlich regional verschiedene. Die Bundesregierung und vor allem Verkehrsminister Gorbach zeigt aber großes Verständnis für die Tiroler Situation und hat unsere Position in der letzten Zeit stark unterstützt. Ist daher die Nähe der Berge und damit der Bau bzw. die Ausdehnung hochrangiger Straßen- und Schienennetze in den Alpen nicht die Basis für die touristische und wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen? Tirol wird keine neue Transitstrecke durch unser Land zulassen. Das gilt sowohl für die Strecke über den Fernpass und den Reschenpass als auch für die Strecke über den Felbertauern. Deshalb wird es auch keine Unterstützung Tirols für den Bau der Allemagna geben. Falls diese Straße auf italienischer Seite gebaut wird, wird sie aber sicher nicht auf Tiroler Seite herauskommen. Um kurz beim Verkehr zu bleiben: den Transport auf den Schienenweg umzusatteln ist ein sehr langes und schwieriges Unterfangen. Die Transitgegner und Umweltschützer laufen Sturm. Was gedenken Sie zu tun, um unsere Gesundheit und die unserer Kinder zu schützen? Ist der Brennerbasistunnel, auch wenn er den Vinschgau topografisch gesehen gar nicht betrifft, der richtige Weg? Es gilt weiterhin meine Überzeugung, dass die Ware von der Straße auf die Schiene muss in dem Ausmaß wie es möglich ist. Und dazu muss die Infrastruktur von München bis Verona entsprechend ausgebaut werden. Wir in Tirol bauen ja bereits mit dem Bund die Unterinntalstrecke mit einem Kostenaufwand von fast zwei Milliarden Euro und der Brennerbasistunnel ist das unverzichtbare Herzstück dieser Strecke! Wir werden es gemeinsam schaffen, diesen Tunnel zu errichten. Ein Blick nach Innsbruck, nach Wien: Wird Österreich sich rund zwölf Jahren nach der Streitbelegung immer noch so stetig um das oft als zehnte Bundesland bezeichnete Südtirol kümmern? Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich sehr zukunftsorientiert, zugleich aber auch sehr traditionsbewusst bin. Daher hat für mich die Präambel der Tiroler Landesordnung immer eine besondere Bedeutung gehabt, weil sie Maximen vorgibt, an die ich zutiefst glaube. Deshalb ist für mich die in der Präambel festgeschriebene "geistig-kulturelle Einheit des ganzen Landes" nicht eine leere Formel, sondern nach wie vor Richtschnur und Verpflichtung. Südtirol hat für Österreich europapolitische Priorität. Österreich wird seine Schutzmachtfunktion auch weiterhin wahrnehmen. Die Südtirolautonomie hat für ganz Europa Vorbildcharakter. Viele sehen die Europaregion Tirol als einen Wunschtraum. Können diesem Land im Alpenraum angesichts kleineren und größeren Reibereien Überlebenschancen eingeräumt werden, man denke an den Streit, ob am Bozner Siegesplatz erklärende Tafeln angebracht werden sollen oder nicht und an das Referendum von 2002 über die Namensgebung des besagten Platzes. Ihr Statement dazu? Nord-, Ost- und Südtirol sowie das Trentino bilden einen historisch gewachsenen Kultur- und Wirtschaftsraum, für den sich durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und das Wegfallen der Grenzen neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit bieten. Eine Europaregion Tirol muss mit Leben und Inhalten gefüllt werden, wirtschaftliche und kulturelle Akzente dieser "Europaregion" müssen im Denken der Bevölkerung verankert werden. Oder ist der Traum bereit, Realität zu werden? Die EU-Familie ist im Mai um zehn weitere Mitglieder gewachsen. Sehen Sie die EU-Osterweiterung als Chance oder wird es bis heute noch unbeschreibliche und noch gar nicht durchdachte Probleme geben? Ich bin überzeugt davon, dass die Osterweiterung ein Erfolg wird. Es wird bestimmt Probleme und Schwierigkeiten geben, aber im Gesamten sind die Vorteile sicher wesentlich größer. Ich hoffe, dass es uns in Zukunft gelingt, die Menschen mehr für die europäische Integration zu begeistern. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass es auch bei den Menschen in den Beitrittsländern große Ängste gibt. Die europäische Integration ist die wesentlichste Voraussetzung für die langfristige Sicherung des Friedens in Europa. Wer Landeshauptmann wird, der wählt sich einen Beruf aus, der mehr als ein klassischer Acht-Stunden-Job ist. Man ist nahezu den ganzen Tag, ob bei Festen, Bällen, Einweihungen und beispielsweise bei der Siegerehrung bei Gesamttiroler Landesmeisterschaften im Ranggeln, für das Land also, im Einsatz. Braucht man da in diesem Arbeitsgebiet überhaupt Faktoren wie Coolness und Selbstbewusstsein? Das Amt des Landeshauptmannes ist eine sehr verantwortungsvolle und schöne Funktion, die ich mit vollem Einsatz und mit meiner ganzen Kraft und meinem ganzen Wissen leidenschaftlich gerne ausübe. Die unzähligen Begegnungen und Gespräche mit Menschen sind sehr wichtig und machen diese Funktion so interessant. Und woher, Herr Landeshauptmann, nehmen Sie die Kraft, damit fertig zu werden? Die Kraft bekomme ich aus den vielen Begegnungen mit den Menschen. Südtirol wird nach außen oft als starkes Land hingestellt. 25.000 einheimische Familien leben in unserer Heimat an der Armutsgrenze, am Existenzminimum. Zieht da die Devise starkes Land, starke Wirtschaft, starke Menschen noch? Südtirol ist ein starkes Land und eine der Vorzeigeregionen in ganz Europa. Die Südtirolerinnen und Südtiroler haben bei der vergangenen Landtagswahl in eindrucksvoller Art und Weise den erfolgreichen Kurs der Südtiroler Volkspartei und des Landeshauptmannes Luis Durnwalder bestätigt. Dies ist vor allem einer konsequenten und handlungsfreudigen Politik zu verdanken, die Südtirol zu einer der Vorzeigeregionen Europas macht. Herr Landeshauptmann, wie erörtern und verfolgen Sie die politischen Begebenheiten in Südtirol? Ich bin im ständigen Dialog mit den politischen Vertreten Südtirols und verfolge natürlich das aktuelle politische Geschehen. So habe ich mich auch über die Wahl von Elmar Pichler-Rolle zum neuen Obmann der Südtiroler Volkspartei gefreut. In meiner Funktion als Landesparteiobmann der Tiroler Volkspartei habe ich auch umgehend Kontakt mit ihm aufgenommen und ihn zu einem Besuch in Tirol eingeladen. Ich wünsche ihm viel Erfolg für diese verantwortungsvolle Aufgabe. Zugleich hoffe ich auch, dass der intensive Kontakt zwischen der Tiroler Volkspartei und der Südtiroler Volkspartei weiter fortgesetzt wird und unsere Landesteile ihre gemeinsamen Anstrengungen, sowohl wirtschaftlich als auch kulturell, fortführen. Sein Vorgänger Siegfried Brugger war stets ein Mann des Ausgleichs und führte die Sammelpartei der Südtiroler zu großen Wahlerfolgen. Er leistete hervorragende Arbeit für das Land und für die Partei, und er war als Obmann auch stets ein verlässlicher und kompetenter Ansprechpartner. Eine persönliche Frage zum Abschluss. Gibt es ein Lebensmotto, welches Sie prägte oder zu dem gemacht hat, was Sie jetzt sind? Mein politisches Motto lautet: Ich sage das, was ich denke und ich tue das, was ich sage. Handschlagqualität, Wahrhaftigkeit und Solidarität sind Grundprinzipien in der politischen Arbeit.

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