Andreas Jung, Karin Tschurtschenthaler und Roman Altstätter (v.l.) bei der EX-IN-Vorstellung im Treffpunkt „sein“ in Mals (Paulihof).
Beim Austauschtreffen am Sitz der Bezirksgemeinschaft in Schlanders.
Bernadette und Fabian umrahmten die Projektvorstellung im Treffpunkt Mals mit Musik.
Albin Kapeller

Experten aus Erfahrung

Menschen mit psychischen Erkrankungen werden zu Beratern für andere Betroffene ausgebildet.

Publiziert in 21 / 2019 - Erschienen am 12. Juni 2019

Mals/Schlanders - Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, muss vieles durchstehen, mitmachen und über sich ergehen lassen. Es sammeln sich bei den Betroffenen Erfahrungen an, die zumeist ungenutzt bleiben, die aber in der Beratung und Begleitung anderer Betroffener wertvoll und hilfreich sein können. Das ist der Grundgedanke, der hinter der EX-IN-Ausbildung steht. EX-IN ist die englische Abkürzung für „Experienced Involvement“, also Experte aus Erfahrung. Bei der EX-IN-Ausbildung geht es darum, Menschen mit einer psychischen Erkrankung spezifisch auszubilden, damit sie als Experten aus Erfahrung andere Betroffene und entsprechende Dienste beraten und begleiten können. Zu der Gruppe von Personen aus ganz Südtirol, die kürzlich unter der Leitung von Andreas Jung erstmals zu „EX-IN-Genesungsbegleitern/innen“ ausgebildet wurden, gehören auch einige Vinschger. Was es mit dieser besonderen Ausbildung auf sich hat und welche Chancen sich daraus ergeben, wurde am 27. Mai im Treffpunkt „sein“ in Mals
(Paulihof) und zwei Tage später auf Einladung des Psychiatrischen Dienstes und der Sozialpsychiatrie der Bezirksgemeinschaft in Schlanders aufgezeigt. Karin Tschurtschenthaler, die Direktorin der Sozialdienste der Bezirksgemeinschaft, und der Strukturleiter Roman Altstätter stimmten bei der Veranstaltung in Mals darin überein, dass das EX-IN-Projekt in der Beratung und Begleitung psychisch kranker Menschen eine Bereicherung für die Betroffenen und Dienste sei kann und soll. Altstätter sprach von einer „neuen Dimension“. Der EX-IN-Trainer Andreas Jung aus Marburg in Hessen, der die einjährige, aus 12 Modulen bestehende Ausbildung in Südtirol geleitet hat, stellte das EX-IN-Projekt im Detail vor und berichtete von persönlichen Erfahrungen. Er litt nicht nur unter Alkoholsucht, sondern auch an Schizophrenie. Er hatte Angstzustände, hörte Stimmen, traute sich nicht mehr aus dem Haus, verlor die Arbeit, wurde obdachlos und wurde zwangseingewiesen. Von der Einnahme von Medikamenten wollte er zunächst nichts wissen, hat diese Einstellung aber später geändert. Mittlerweile befürwortet Andreas Jung einen begrenzten Einsatz von Psychopharmaka. 

„Hoffnungslose Fälle gibt es nicht“

Die Ausbildung zum EX-IN-Genesungsbegleiter habe ihm viel gebracht: „Ich habe gelernt, mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und meinen Weg zu gehen. Ich spürte die Genesung und hatte das Gefühl, dass die Krankheit wie Schlacke abfällt. Endlich hatte meine Erkrankung einen Sinn.“ Mittlerweile geht Andreas Jung als EX-IN-Genesungsbegleiter einer bezahlten Halbzeitbeschäftigung nach. Es freue ihn, als „Experte aus Erfahrung“ tätig sein zu können: „Ich kann den Betroffenen Mut machen und ihnen sagen, dass auch in ganz finsteren Stunden Hoffnung auf Besserung besteht. Es gibt keine hoffnungslosen Fälle.“ Jung sprach sich dafür aus, Personen mit einer EX-IN-Ausbildung als Berater bzw. Begleiter für andere Betroffene einzustellen. Albin Kapeller aus Taufers im Münstertal gehört zu jenen Personen, welche die Ausbildung absolviert haben. „Diese Ausbildung hat mir geholfen, zu mir zu finden. Ich merkte, dass ich nicht allein bin“, sagte er. Er habe erfahren, „wie Emotionen und Gefühle frei wurden.“ Bei der Diskussion im Treffpunkt „sein“ wurde auch auf die Bedeutung dieser Struktur als Ort der Begegnung und des Austausches hingewiesen. „Auch solche, die glauben, gesund zu sein, sollen hierher kommen“, hieß es. Der Treffpunkt „sein“ ist ein Ort, an dem man „einfach sein kann“, ganz ohne Druck. Geöffnet ist er montags, dienstags, donnerstags und freitags von 9 bis 14.30 Uhr. Wie schon in Mals informierte Andreas Jung auch beim Austauschtreffen in Schlanders über das des EX-IN-Projekt un die EX-IN-Ausbildung. Grundsätzlich hielt er fest, „dass wir von einem reinen Fürsorgemodell wegkommen und uns vermehrt in Richtung eines Teilhabemodells bewegen sollten.“ Ausgebildete Betroffene sollten nicht als Konkurrenz zu den „Profis“ gesehen werden, sondern als Ergänzung und Bereicherung: „Also kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander.“

An Genesung mitarbeiten lassen

Ein ausschließlich professionelles Hilfssystem hält Jung nur für sehr begrenzt wirksam. Nicht viel hält er auch von der Hospitalisierung psychisch kranker Menschen in großen Strukturen. Es sollte vielmehr versucht werden, „Betroffene an ihrer Genesung mitarbeiten zu lassen.“ Auch das Erzählen der eigenen Genesungsgeschichte kann hilfreich sein. Mehrere Vertreter und Vertreterinnen des Psychiatrischen Dienstes und der Sozialpsychiatrie der Bezirksgemeinschaft begrüßten das EX-IN-Projekt und die damit verbundenen Ansätze in der Beratung und Begleitung von Menschen mit
psychischen Erkrankungen.

Josef Laner
Josef Laner

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