Zwei Ausschnitte aus dem originalen Schriftstück; Titelfoto aus dem Buch „Übergänge – Aus dem Tiroler Tagebuch eines Bergvagabunden, Schmugglers und Suppenfechters – 1945/46“ (Rudi Wagner, Frasnelli-Keitsch Verlag 1996; Umschlaggestaltung: Dominikus Ander
Zwei Ausschnitte aus dem originalen Schriftstück; Titelfoto aus dem Buch „Übergänge – Aus dem Tiroler Tagebuch eines Bergvagabunden, Schmugglers und Suppenfechters – 1945/46“ (Rudi Wagner, Frasnelli-Keitsch Verlag 1996; Umschlaggestaltung: Dominikus Ander

„Wir fürchten uns nicht vor der Finanzwache“

Eine Schmugglergeschichte der besonderen Art aus der k.k.-Zeit

Publiziert in 11 / 2017 - Erschienen am 30. März 2017

Schlinig/Burgeis - „...daß eine Schmugglerbande durch das Schlinigtal von der Schweiz her im Anzug sei.“ So beginnt ein Bericht der k.k.-Staatsanwaltschaft Bozen vom 25. Jänner 1884. Unter dem Titel „Geschehen im Schlinigertale im Jahre 1883“ werden die Geschehnisse rund um eine Schmugglerbande und deren Aktivitäten geschildert. Der originale Bericht wurde in einem Haus in Burgeis gefunden. Othmar Pider, Oswald Strobl und Renato Ferrai haben den Bericht, der eigentlich eine Anklageschrift ist, abgeschrieben und in die heutige Sprache übersetzt.

Rohstoff für Romane und mehr

Schon allein aus den ersten Seiten der Geschichte, die sich vor nunmehr 134 Jahren zugetragen hat, ließe sich ausreichend „Rohstoff“ für einen außergewöhnlichen Schmugglerroman gewinnen oder für ein besonderes Theaterstück. Zwischen den Zeilen des an und für sich nackten und trockenen Berichts der k.k.-Staatsanwaltschaft lässt sich vieles herauslesen. So etwa die Tatsache, dass Schmuggler oft in großen Gruppen unterwegs waren und sich entsprechend stark fühlten. Außerdem konnten sie auf den Rückhalt der Bevölkerung setzen. Mit den geschmuggelten Waren konnte die Not ganzer Dörfer gemildert werden. Es verwundert daher nicht, dass ganze Dörfer wie Pech und Schwefel zusammenhielten und zusammenstanden, wenn es darum ging, die „Schwärzer“ zu schützen, zum Beispiel vor der Finanzwache. Nachfolgend veröffentlichen wir einige Auszüge (in kursiver Schrift) aus dem &uu ml;bersetzten Bericht.

Bei den Schlinigerwänden in den Hinterhalt gelegt

Am Anfang heißt es: „In Folge dessen wurde in der Nacht vom 29 auf den 30 Oktober 1883 eine Patrouille bestehend aus dem Finanzwachmann, Rezitierten Josef Hamm, dem Finanzwach Oberaufseher Adolf Rossi und Alois Schütz sowie dem Finanzwach Aufseher Josef Telser in das Schlinigtal entsendet, welche bereits am 30 Oktober morgens zu hinderst im Tale eintraf und sich dortselbst bei den so genannten Schlinigerwänden in der Hinterhalt legten. .... Zwischen 4 und 5 Uhr Abends kam nun wirklich eine Schwärzerbande in der Anzahl von ca. 30 Köpfen worunter sich auch zwei Frauen auserkoren befanden, von der Schweiz her gegen die Schlinigerwand ausgemacht. Sämtliche trugen Gepäck, einer war mit einem Gewehr versehen die übrigen hatten Bergstöcke. Die Patrouille ging der Schwärzerbande entgegen und die Aufforderung ‚halt zu machen’ wurde unter verschiedenen Antworten z.B. ‚wir lassen uns nicht aufhalten’, &sbquo ;wir fürchten uns nicht vor der Finanzwache – u.s.w.’ nicht respektiert.“

Zwei Schwärzer samt dem Gepäck abgefangen

Die Schmugglerbande zog sich daraufhin zwar zunächst wieder in Richtung Schweiz zurück, kehrte dann aber um und marschierte in Richtung Schlinig: „In der Nähe der Schliniger-Wand gelang es der Finanzwache zwei Schwärzer und zwar den Johann Blaas und Josef Moriggl von Burgeis samt dem Gepäck abzufangen und später wurde dann auch noch Florian Hohenegger, welcher sein bereits verstecktes Gepäck holen wollte das jedoch die ­Finanzwache zu sich genommen hattet, aufgegriffen. Die übrigen Schmuggler entkamen und zogen vor der Finanzwach-Patrouille gegen Schlinig, nachdem sie noch zuvor die Aufforderung machten, daß sie schon wieder kommen die Gefangenen holen werden.“

Rund 20 Mann mit Hacken, Pickel und Stöcken

Als die Finanzwache mit den drei Gefangenen bei den so genannten Wiesen vor Schlinig eintrifft, spitzt sich die Lage zu. Der Patrouille kam „wirklich eine Truppe Männer, circa 20 an der Zahl, vom Dorfe her entgegen, welche mit verschiedenen Instrumenten (wie) als Hacken, Pickel, Stöcken u.s.w. bewaffnet waren. Sie forderten nun die Finanzwache unter verschiedenen Drohungen z.B daß sie dieselben vernichten werden u.s.w. auf, die Gefangenen freizugeben. Die Aufforderung der Patrouille, auseinander zu gehen, widrigenfalls sie von der Waffe Gebrauch machen müssten, wurde dahin beantwortet, daß sie schon auch bewaffnet wären.“

Eine „zweite lärmende Rotte“

Wie es weiter heißt, bekam die „Truppe Männer“ zusätzlich Unterstützung: „Nach einem kurzen Zeitraume von 10-20 Minuten erschien noch eine zweite lärmende Rotte von welcher auch manche bewaffnet waren, und beide Rotten geeinigt suchten nun die Patrouille und die Gefangenen zu umringen und unter der Drohung ‚lasst die Gefangenen los, sonst schlagen wir euch tot’ verlangten sie die Freigebung der festgenommen Schwärzer. Da sich die Finanzwache dieser bedeutenden Übermacht nicht gewachsen sah und von der Waffe keinen Gebrauch machen wollte, um so weniger da die Rottierer sich aufführten daß sie schon auch schießen würden, so wurden die Gefangenen freigelassen, und gleichzeitig bemächtigten sich einige von der Rotte auch der ­Gepäcke, welche die Gefangenen bei sich hatten, und die Patrouille musste unverrichteter Sache abziehen, nachdem ihr noch gedroht wurde, dass sich keiner meh r in Schlinig blicken lassen dürfe, sonst werde keiner mehr ganz durch das Tal hinaus kommen.“

„Sonst kommt keiner mehr ganz durch das Tal hinaus“

In den weiteren Ausführungen des Berichtes wird zu untermauern versucht, dass die geschilderten Geschehnisse auch die Kriterien der Straftat der „Zusammenrottung“ erfüllen. Die Finanzwachmänner hätten nämlich behauptet, „daß sich unter den Rottierern nicht nur die unter der Schwärzerbande befindlichen gewesen sein dürften, sondern daß sich von der Zusammensetzung auch noch andere beteiligt haben müssen, weil die Rotte jedenfalls zahlreicher als die Schwärzerbande war.“ Zumal es „bei den obwaltenden schwirigen Verhältnissen nicht gelungen ist, sämtliche Rotterer oder doch wenigstens die Mehrzahl derselben mit einiger Bestimmheit zu nominieren, so sprechen doch gegen die Angeklagten so große und so schwerwiegende Verdachtsmomente, daß man mit berechtigender Überzeugung deren Beteiligung annehmen muß, trotzdem für gleich ihre Gesinnungsgenossen ent schieden leugnend sind.“

„Nicht gelungener Alibibeweiß“

Im weiteren Verlauf der Anklageschrift versucht der Staatsanwalt nachzuweisen, dass sich 11 Männer an der „Rottierung“ beteiligt hätten. Einer davon ist ­Mathias Hohenegger. Zwei Finanzwach-Oberaufseher hätten ihn „mit Bestimmtheit als einer der 1. Rotter asialisiert, der übrigends auch unter den Schmugglern beobachtet wurde.“ Sein „angestrebter Alibibeweiß“ sei ihm „in keiner Richtung gelungen, indem sich sein Vater der Außsage entschlagen hat und er von niemanden auf den sogenannten Multenwiesen am 30. Oktober 1883 gesehen wurde wo er den ganzen Tag beschäftigt gewesen sein will.“ In fast allen Fällen gibt es Zeugen. Allerdings „ist die Wahrheitsliebe der aufgerufenen Entlastungszeugen in ein zweifelhaftes Licht gestellt, und mit Recht bemerkt die Gendarmerie in ihrem diesbezüglichen Rapporte, daß die Angaben der Schliniger in dieser Affaire wohl wenig oder gar kein en Glauben verdienen, weil sie sich nur gegenseitig heraushelfen wollen.“ Vom Schmugglergang sei schon Tage zuvor in Schlinig gesprochen worden. Hier ein weiteres von vielen Details: ­„Johann Blaas muß als Pfründner der Gemeinde Schlinig von Haus zu Haus in die Verpflegung gehen und war gerade am 24. bis 31. Oktober 1883 den Brüdern Theiner am oberen Klosterhofe zu Amberg in Kost und Quartier. Am Sonntag den 29. Oktober hörte er schon um ¾ 3 Morgens, daß die Brüder bereits auf waren und er dachte sich gleich, daß man zu einem Schmugglergange aufbreche...“.

„Anklage gerechtfertigt“

Abschließend hält der Staatsanwalt fest: „Es erscheint somit wenigstens in Betreff der 11 Angeklagten die Zusammenrottung festgestellt und auch die erhobene Anklage gerechtfertigt.“ Wie das Geschworenengericht in dieser Causa geurteilt hat, ist nicht bekannt. Vielleicht schlummert der Urteilsspruch in einem Archiv oder auf dem Dachboden eines alten Hauses in Schlinig oder Burgeis.

Josef Laner

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