„Wie soll ich mit meinen Kindern Weihnachten feiern?“

Publiziert in 45 / 2010 - Erschienen am 15. Dezember 2010
Weihnachten steht vor der Tür: Das Fest der Geburt Jesu. Das Fest des Friedens, des Innehaltens, des Lichtes. Das sollte Weihnachten sein. Es gehört auch dazu, dass die Menschen sich beschenken und einander die Hände reichen. Zum „Fest der Hektik“ ist es in den vergangenen Jahren beinahe verkommen. Aber es gibt auch eine andere Seite: Was tut eine junge Mutter an Weihnachten mit zwei minderjährigen Kindern, die täglich seit einiger Zeit jeden Euro zweimal umdrehen muss, bevor sie ihn ausgibt? Es folgt eine wahre Geschichte aus dem Vinschgau. Um diese Familie zu schützen, bleibt sie vollkommen anonym, die An­gaben beschränken sich demnach auf das Wesentlichste. von Daniela di Pilla Stocker „Wenn die Kinder in ein Jugendzentrum gehen wollen, da fange ich schon zu rechnen an“, sagt die Frau dem „Vinschger“. Aber etwas sollen sie auch tun dürfen, „Sie können auch nicht tageweise zu hause bleiben, nur, weil uns das Geld überall fehlt.“ Die junge Mutter ist berufstätig, arbeitet in einem Teilzeit-Verhältnis, wie viele andere Frauen auch. Seit Jahren ist sie geschieden. Ihr Ex-Mann lebt im Ausland. Seit einiger Zeit bekommt sie keine Unterhaltszahlungen mehr. Ihr Ex-Mann ist arbeitslos geworden. „Bis gestern konnten wir ein halbwegs normales Leben führen“, erzählt die Frau. Dann, von einem Tag auf den anderen, ein schriftlicher Bescheid, der das Leben dieser alleinerziehenden Mutter schlagartig verändern sollte. „Seither schlafe ich nicht mehr gut, morgens, wenn ich aufwache, plagt mich immer nur der eine Gedanke, wie soll ich die Miete zahlen, wo kann ich heute günstig einkaufen…“ Neue Winterreifen brauchte sie auch noch. Sie fährt ein kleines Auto, aber auch das kostet. „Und dann die Rennereien, ins Ausland, nach Bozen, nach Meran, zu ­Theiner (Landesrat Richard Theiner, Anm. d. Red.), ja sogar beim Durnwalder bin ich gewesen. Das musst du einmal mitmachen, da bist so gegen 5 Uhr unten, dann wartest du, bis du dran kommst, dann dauert das Gespräch drei Minuten“. Sie konnte offenbar gar nichts erzählen, denn der Landeshauptmann hatte gleich eine Antwort parat: „Dafür haben wir ja die Ämter“. Das sei ernüchternd für sie gewesen, das wusste sie bereits, das von den Ämtern. Sie ist ja seit Monaten bei den Ämtern unterwegs mit wenig Erfolg. Die finanzielle Sozialhilfe konnte ihr ein bisschen helfen, die sogenannte Vorschussstelle noch nicht, da diese noch auf einen wichtigen „Wisch“ warte. Sie lebt bescheiden, in einer Mietwohnung, mit dem Notwendigsten eingerichtet. Kalt war es dort beim Gespräch. Sie entschuldigt sich dafür, aber auch das Heizen sei nicht umsonst. Die Kinder sind außer Haus, so konnte die Journalistin einige Stunden bei ihr bleiben. Die Frau erzählte von sich, von ihrer Kindheit, von ihrer missglückten Ehe, von ihren Sorgen und Nöten, von ihrer existentiellen Not. Wut kommt auf, gleich danach werden die Augen glasig, sie kämpft mit den Tränen, sie läuft unruhig hin und her, sie ist ziemlich aufgewühlt. Erst später beruhigt sie sich. Sie könne einfach nicht verstehen, warum unbürokratische Hilfe nicht möglich sei oder zumindest bei ihr nicht. Und doch ist sie bereit zu kämpfen, ihre zwei Kinder sind das Ein und Alles. Verständlich. „Wie soll ich mit meinen Kindern Weihnachten feiern?“ fragt sie sich wie in einem Selbstgespräch. Ja, die Kinder wüssten Bescheid über die Situation, aber es sind doch Kinder, sagt sie. Sie ist traurig, sie steckt damit die Journalistin an. Diese geht benommen weg nach einer kurzen aber innigen Umarmung mit dieser hilflosen Frau, die nur eines will, ihre Kinder glücklich ­machen, besonders an Weihnachten, was jede andere Mutter auch will. Die Journalistin steigt vermeintlich aus dieser Geschichte aus, als sie sich in das Auto setzt und losfährt. Aber diese Geschichte hat Spuren hinterlassen und musste erzählt werden. Gerade jetzt, an Weihnachten. Ein Lichtstrahl für die junge Familie Gute Nachrichten hat die junge Mutter erst seit wenigen Tagen von der Schuldnerberatung der Caritas erhalten, diese kann ihr unbürokratisch vorerst finanziell unter die Arme greifen. „Der Vinschger“ hat dort nachgefragt, wie es im Vinschgau aussehe mit aufkommender Armut. Petra Priller, die langjährige Leiterin der Schuldnerberatung der Caritas, sagt, dass es sich dabei nicht um ein vereinzeltes ­Phänomen im Vinschgau handle, sondern um ein landesweites. „Jährlich beraten wir landesweit über 1.100 Personen und Familien. Über 1.000 Familienangehörige sind direkt oder indirekt mitbetroffen, vor allem Kinder.“, so die Leiterin. Die existentielle Not hat zugenommen. ­Alleinerziehende haben es dabei besonders schwer, denn mit einem Einkommen ist es heutzutage sehr schwierig, alle Lebenshaltungskosten zu decken. Wenn außerordentliche Spesen dazukommen, ist die Not groß. Außerdem von Armut betroffen sind vor allem kinderreiche Familien, Rentner und Rentnerinnen mit einer Mindestpension, aber auch Einwanderer und Einwandererinnen.. „Früher kamen die Leute zu uns, weil sie die Raten der Eigentumswohnung nicht mehr bezahlen konnten, heute kommen sie zu uns, weil sie unter anderem nicht bis ans Monatsende kommen, die Stromrechnung nicht mehr begleichen können und Mietenrückstände haben.“, sagt Priller. .
Daniela di Pilla

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