Anja Kirig
Martin M. Lintner
Gusztáv Kovácz
Francesca Rigotti
Günther Andergassen
Ilija Trojanow
Abt Markus Spanier hieß die Teilnehmer willkommen.

Schlüsselbegriff Vertrauen

Ohne Utopie keine Zukunft. Europa als Vereinigungs- und Integrationskraft.

Publiziert in 13 / 2019 - Erschienen am 9. April 2019

Marienberg - Das Benediktinerstift Marienberg bietet jährlich rund 50 Teilnehmern aus Wirtschaft, Politik, Kirche und Kultur den idealen Rahmen, über ein bestimmtes Thema nachzudenken und darüber zu diskutieren. Namhafte Referenten bieten mit ihren Vorträgen jeweils die Grundlage für kontroversielle und tiefgehende Diskussionen. Für die heurige 24. Auflage der Gespräche, die vom 28. bis zum 30. März stattgefunden haben, hatte das Kuratorium der Marienberger Klausurgespräche ein Thema gewählt, das die Zukunft zum Inhalt hatte. Bei den „Perspektiven der Zuversicht“ standen Begriffe wie Hoffnung, Europa, Megatrends und Utopien im Mittelpunkt der Überlegungen.

„Mit Zuversicht verbinden wir Hoffnung“

Zu Beginn der Tagung ging der Präsident des Kuratoriums, Günther Andergassen, auf diese Begriffe ein. „Ja, mit Zuversicht verbinden wir Hoffnung, Zukunftsglaube, Lebensfreude, Optimismus, Fortschrittsglaube, Daseinsfreude, Lebensbejahung, Glaube an das Gute, Heiterkeit, Zufriedenheit, positive Lebenseinstellung. Wir verbinden mit Zuversicht auch Vertrauen. Dieses Vertrauen ist der Kern aller Gesellschaft, und je komplexer eine Gesellschaft wird, desto wichtiger ist diese geheimnisvolle Ressource.“ Den Reigen der Vorträge eröffnete P. Martin M. Lintner, Professor für Moraltheologie an der Phil.-Theol. Hochschule in Brixen, mit Überlegungen zum Thema „Hoffnung“. Eingangs betonte Lintner: „Weil die Zukunft offen vor dem Menschen liegt mit all den vielen Möglichkeiten, werden in sie auch viele Hoffnungen projiziert, weil die Zukunft aber ebenso auch unbekannt und nicht vollkommen planbar ist, bewirkt sie auch Unsicherheit und Angst.“

„Zukunftsbeziehung der Hoffnung“

Laut Lintner gibt es verschiedene Weisen, sich auf die Zukunft zu beziehen: Prognosen, Planungen, Utopien, Apokalypse. All diesen Schlagworten steht die „Zukunftsbeziehung der Hoffnung“ entgegen; sie ist ein Hineinblicken in die Zukunft und sie grenzt sich unter anderem von der Akopalyptik ab, „weil die Welt nicht vernichtet wird, um einen radikalen Neuanfang zu ermöglichen, sondern das Neue bereits mitten in der Welt wirkt und die Welt verwandelt“. Der große Theologe der christlichen Hoffnung ist laut Lintner der Apostel Paulus. „Er lebt schon ganz in der Zeit zwischen der Auferstehung Jesu und dem Wiederkommen des Herrn, auf das Paulus mit all seinen Kräften hofft und worauf er auch die Christen immer wieder verweist.“ Entscheidend sei bei Paulus, dass das Wiederkommen nicht mit der Vernichtung des Gegenwärtigen einhergeht, sondern mit seiner Vollendung, weil das, was bei der Wiederkunft Christi offenkundig wird, durch sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung bereits begonnen hat. Lintner: „Man kann die Hoffnung als innere Kraft des Glaubens bezeichnen, denn der Glaube wird durch die Hoffnung fähig, die Verborgenheit Gottes im Hier und Jetzt nicht als Abwesenheit misszuverstehen, sondern als tragenden Grund und als Verheißung der nicht fassbaren Fülle im Vertrauen auf seine Treue anzunehmen. In der Hoffnung findet der Gläubige die Kraft, auch in der äußersten Dunkelheit auszuhalten – ohne zu verzweifeln oder zu resignieren.“

Ist die EU (noch) ein Hoffnungsprojekt?

Mit einem ganz anderen Thema beschäftigte sich Gusztáv Kovácz: „Ist die EU (noch) ein Hoffnungsprojekt? Oder: Was muss Europa tun, um als Hoffnungsprojekt wahrgenommen zu werden?“ Kovács ist Rektor der Bischöflichen Theologischen Hochschule Pécs in Ungarn. Kovácz erzählte mehrere „kleine Geschichten aus dem Alltag“, um somit den Zuhörern einen Eindruck zu vermitteln, welche Hoffnungen die Menschen hatten und welche Enttäuschungen sie vor und nach den großen gesellschaftspolitischen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte erfuhren. Trotz all dieser – auch negativer – Erfahrungen stehen die Ungarn heute mehrheitlich positiv zur EU. Kovácz: „Man spricht heute viel von einem gespaltenen Europa. Das sehe ich nicht so.“ Europa habe vielmehr eine enorme Vereinigungs- und Integrationskraft, unter anderem auch deshalb, weil „Europa die Fenster in die Welt“ öffnet. Die Europäische Union ist für Kovácz ein Hoffnungsprojekt, wobei er vor allem auf den „kleinen Raum“ setzt. „Es geht darum, ob wir die Zukunft gemeinsam gestalten können, vor allem im kleinen Bereich: in unserem Dorf, in unserer Stadt, in der Familie, mit den Freunden.“

Neue Trends und Innovationen

Die Politologin Anja Kirig ist als Trend- und Zukunftsforscherin tätig. Im Kloster Marienberg setzte sie sich mit dem Thema „Wie Megatrends neue Unternehmenskulturen fördern“ auseinander. Neue Strukturen und Voraussetzungen verändern merkbar das Wirtschaften und Handeln sowie das Miteinander und die Kommunikation. Technologische Innovationen haben neben den Megatrends einen zusätzlichen enormen Einfluss auf jene Entwicklungen – sie beschleunigen den Wandel. Die Digitalisierung verändert das Wirtschaftssystem und Hierarchiestrukturen. Mit kleinen, neuen Unternehmenskulturen aus beispielsweise der Start-Up-Szene kommen auch neue Ideen von Führung in die Wirtschaftszentralen. Ein Führungsstil aus flachen Hierarchien, Achtsamkeit und Resonanz wird künftig mehr denn je notwendig.

Raum für Altes und Neues 

Francesca Rigotti, Philosophin und Professorin an der Universität von Lugano, sprach bei den Klausurgesprächen zum Thema „Die Zukunft mit dem Salz der kulturellen und technologischen Zweisprachigkeit würzen“. Ausgehend von einem gelehrten Abschweifen über den „Sinn der Würze in der Philosophie“, und zwar als Wirklichkeit und als Metapher, hat Rigotti durch Beispiele und Analogien ihre Vision einer „wohlschmeckenden dennoch nicht salzigen Zukunft“ dargestellt. Sie sprach von einer Vision, „in der dem Alten und dem Neuen Raum gegeben wird, der Schnelligkeit und der Langsamkeit, der schnellen Intuition und der besonnenen Reflexion.“ Rigotti schwebt eine Zukunft vor, in der die Einführung des Neuen nicht zu einer verwerflichen Beseitigung des Alten führt, weil es eben alt ist.

„Ohne Utopie keine Zukunft“ 

„Ohne Utopie keine Zukunft“: So lautete der Titel des Vortrages von Ilija Trojanow. Trojanow, Schriftsteller, Übersetzer und Verleger, wurde in Bulgarien geboren, ist in Deutschland und Kenia aufgewachsen und lebt heute in Wien. Trojanow ist der Ansicht, dass uns die Zukunft abhanden gekommen ist. „Das Dogma der Alternativlosigkeit des herrschenden Systems hat zu einer Lähmung der progressiven, innovativen, kreativen Energien geführt. Wir sind erstarrt irgendwo zwischen ,Weiter so‘ und ,Fahren auf Sicht‘, obwohl wir wissen, oder zumindest ahnen, dass wir entschiedene Visionen benötigen, wollen wir die zunehmenden ökologischen und sozialen Krisen überwinden.“ Der Referent betonte, dass uns das utopische Denken helfen müsse, die entscheidenden Fragen zu stellen. Er zitierte Carl Zuckmayer, der sagte: „Die Welt wird nie gut, aber sie könnte besser werden.“ Für Trojanow ist die Utopie ein „Rezept der radikalen Andersartigkeit – ohne Utopie droht Hoffnungslosigkeit“.

„Pflicht zur Zuversicht“

Zukunft, Hoffnung, Utopie – Begriffe, die in einer Welt des populistischen Pessimismus fehl am Platz scheinen. Günther Andergassen zitierte in diesem Zusammenhang den Zukunftsforscher Matthias Horx, der in seinem Plädoyer für eine rebellische Gelassenheit angesichts einer Epidemie der Angst sogar „die Pflicht zur Zuversicht“ anmahnte. Andergassen: „Ja, wir brauchen Mut und Vertrauen in das Handlungsvermögen einer Gesellschaft – aber auch in unser eigenes. Mut, uns mehr der Wachsamkeit und Achtsamkeit uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber zu öffnen und uns weniger der Angst hinzugeben.“ So gesehen haben die 24. Marienberger Klausurgespräche, die vom Journalisten Otwin Nothdurfter moderiert wurden, durchaus „Perspektiven der Zuversicht“ aufgezeigt: für etwas zu stehen, für ein gutes Leben für alle – als konkrete Utopie einer Zivilisation.

Redaktion

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