Der Fotograf PeterZiegler machte im Schnalstal Aufnahmen von Menschen und Landschaft, insgesamt an die tausend Fotos. Hier Petra und Johann Tappeiner im Oberniederhof in Unser Frau.

Ötzis entfernte Kusinen

Publiziert in 23 / 2002 - Erschienen am 5. Dezember 2002
[F] "Abenteuer Menschheit" lautet der Titel einer Serie über die Ursprünge der Menschheit im Wochenmagazin “stern”. Der langjährige Stern-Journalist Peter Sandmeyer und der Fotograf Matthias Ziegler bereisten China, Samoa, Alaska, den Dschungel Venezuelas und Südtirol auf der Suche nach den Vorfahren des modernen Menschen. Eine dieser Reisen führte sie ins Schnals-tal. In einem Gespräch mit dem “DerVinschger” erzählen die Eltern Sarahs, Petra und Johann Tappeiner, wie diese Serie entstanden ist. [/F] Der “stern” erscheint in einer Auflage von über einer Million. Der Werbeeffekt der Serie “Abenteuer Menschheit” in Deutschland und Österreich für den Tourismus in Südtirol und im Schnalstal ist sicher nicht zu unterschätzen. Zumindest macht der Artikel neugierig auf Unser Frau, dem kleinen Abbild Europas. Auf diesen Nenner bringt der Autor Peter Sandmeyer seine im “stern” am 28. November erschienene Reportage über die “Weißen Neger vom Schnalstal”. Außerdem gelingt es den Schnalsern, auch wenn hier der Zufall Regie führte, die Geltschermumie Ötzi immer mehr für sich zu vereinnahmen und sie in den Köpfen der Touristen mit dem Schnalstal in Verbindung zu bringen. Im Frühsommer diesen Jahres steht ein Journalist des “stern” in der Eingangshalle des Archeoparks in Unser Frau im Schnalstal. Dort lernt er zufällig Petra Tappeiner kennen, im Gepäck noch nicht mehr als die Idee, Ötzi zur Hauptfigur einer der sechs Artikel der Serie über das "Abenteuer Menschheit" zu machen. Da ihr Mann Johann Tappeiner alte Weiderechte im Ötztal besitzt, für die sich der Journalist besonders interessiert, kommen sie ins Gespräch. Peter Sandmeyer, begeisterter Hobby-Seemann und langjähriger Mitarbeiter des Sterns, nimmt sofort Kontakt mit Johann auf, fragt, ob er auch noch einen Fotografen schicken könne, um sich im Schnalstal nach prägnanten Motiven umzuschauen. "So hat alles angefangen, mit Zufällen, nichts war von vornherein geplant, nur dass Ötzi in dieser Artikelserie Europa repräsentieren soll." Dass der Schnalser Biobauer Johann Tappeiner und seine Tochter Sarah in der Stern-Serie eine zentrale Rolle spielen sollten, war noch nicht abzusehen. Gleichzeitig muss es den Journalisten Sandmeyer fasziniert haben, dass er in Unser Frau auf die gebürtige Berlinerin Petra trifft, die mit einem möglichen Nachfahren Ötzis verheiratet ist, mit dem sie auf dem siebenhundert Jahre alten Oberniederhof aus Überzeugung und äußerst erfolgreich einen innovativen Bio-Hof führt. Biografische Besonderheiten, die Sandmeyer in seinem Artikel dann auch eingehend beschreibt. Die Philosophie, wie sie ihren Hof bewirtschaften, ihren Mut zu Neuem, der, indem er scheinbar paradox auf Altes, Traditionelles zurückgreift, Innovation bewirkt. Zuerst aber kam der Fotograf Peter Ziegler, um sich zwei Tage lang nur umzusehen und sich mit Landschaft und Menschen vertraut zu machen. Danach der Journalist, der mit Johann lange Interviews führte und Wanderungen unternahm. Ihn interessierte vor allem, so Petra, warum sich Menschen in solch merkwürdigen Gegenden angesiedelt haben, sei es in Samoa, in Tansania oder eben im Schnalstal, wie sie dorhin gekommen sind und wie sie heute dort leben. "Die Idee, unsere DNA zu untersuchen und mich in seine Reportage einzubauen, kam Peter Sandmeyer, während wir vor unserem Hof miteinander redeten," erzählt Johann. Innerhalb von drei Stunden setzte Sandmeyer seine im Gespräch geborene Idee in die Tat um, telefonierte mit der Stern-Redaktion, mit Professor Peter Forster in Cambridge, der an einem umfangreichen Projekt zur genealogischen Herkunft der Menschheit arbeit, und besorgte in der Apotheke Speichelröhrchen für die DNA-Tests. Die Untersuchungsergebnisse Peter Forster und Bryan Sykes, einem der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Genforschung, der schon die DNA Ötzis untersuchte, belegte die Verbindung zwischen Johann und Ötzi. Genealogisch betrachtet ist Johann ein entfernter Vetter Ötzis, seine Vorfahren gelten als die ersten Ackerbauern, die vor rund 8000 Jahren von Anatolien nach Nordeuropa aufbrachen. Petras Urahnen hingegen gehören zu den ersten "modernen Menschen", die bereits vor 40.000 Jahren noch neben den Neandertalern Europa besiedelten. Die direkten Nachfahren Ötzis aber leben heute überwiegend im Mittelmeerraum. Folgt man der genealogischen Spur aller Europäer, führt sie nach Ostafrika, der Wiege der Menschheit. Von dort ausgehend, gleichsam in einem unvorstellbaren Zeitsprung von zwei Millionen Jahren, gelangt man erneut auf den Oberniederhof in Unser Frau. Im Artikel des “stern” wird die Lebensweise Ötzis derjenigen Johanns gegenübergestellt und nach Gemeinsamkeiten gesucht. Ebenso wie Ötzi rund sechs Prozent aller Europäer repräsentiert, die die mütterliche Linie seines Erbcodes tragen, repräsentieren Johann und Petra das heutige Europa, wie in einer Art von Mikrokosmos, der die Herkunft der Europäer im Kleinformat abbildet. Im Dezember wird das Buch zur Artikelserie erscheinen, das, wie Johann Tappeiner beurteilt, auf jeden Fall interessanter sein wird, sowohl hinsichtlich der Fotos als auch hinsichtlich des Textes. Aufwändiger gestaltet und wissenschaftlich fundierter vertiefen darin die “stern”-Autoren Sandmeyer und Teja Fiedler ihre Entdeckungsreisen. Im Kapitel über das Schnalstal wird auch der Schnalser Künstler Hansi Platzgummer eine Rolle spielen, mit dem Sandmeyer längere Interviews geführt hat. Auf dem Umschlagbild des Buches "Wunder Menschheit" steht Sarah Tappeiner erneut im Mittelpunkt. Doch damit nicht genug: Ein Brettspiel, ähnlich dem der "Siedler von Catan", kommt ebenfalls in der Vorweihnachtszeit auf den Markt. Auch das Stern-Abonnement wird mit dem Konterfei Sarahs beworben. Insgesamt also eine großangelegte Vermarktungsstrategie. Auf die Frage, ob Sarah dafür etwas bezahlt bekomme, sagt Petra Tappeiner: "Nichts, rein gar nichts." "Wir haben von der Entstehung des Artikels insgesamt profitiert, zwar nicht materiell, aber durch die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit und durch Begegnung mit dem Journalisten und dem Fotografen", ergänzt Johann. Dass sich Matthias Ziegler auch für Greenpeace engagiert und Dritte-Welt-Projekte unterstützt, machte die Begegnung nur noch interessanter. So erlebte er als den spannendsten Teil der aufwändigen Vorarbeiten für den “stern”-Artikel die Arbeit mit dem Fotografen, der für diese in sechs Teilen erschienenen Serie 300.000 km zurücklegte. Eine Woche im September war er mit ihm von morgens bis abends unterwegs. Als feststand, dass Johann Teil dieser Geschichte wird, brachen sie zu den Schalensteinen ins Finailtal auf. "Allein an diesem Tag", erzählt er, "hat Matthias Ziegler fünf bis sechs Stunden laufend fotografiert, eine Nylontasche voller Filmrollen. Insgesamt an die tausend Bilder, von denen der “stern” die Rechte für vierhundert Fotos gekauft hat." Aber nicht nur der Aufwand, den der Fotograf betrieb, beeindruckte Johann, sondern auch die Art und Weise wie er sich den Menschen, die er fotografierte, näherte. "Bis er nicht eine Art Beziehung zwischen sich und dem Modell aufgebaut hatte und bevor er sich nicht sicher war, dass diejenigen, die er porträtieren wollte, wirklich damit einverstanden waren, hat er kein Foto gemacht." Welche Bilder der Stern dann auswähle, darauf habe der Fotograf keinen Einfluss mehr. Auch dass Sarah auf das Titelbild käme, hörten sie erst zwei Tage vor Erscheinen der Zeitschrift. Matthias Ziegler habe zwar Sarah oft fotografiert, weil sie ihn, wie er sagte, als Fotografen fasziniere, aber weder der Journalist noch der Fotograf hätten zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass sie es "bis aufs Titelblatt schaffen würde".
Stefan Schwienbacher

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