Nicht Bares, sondern Naturalien
Publiziert in 36 / 2010 - Erschienen am 13. Oktober 2010
Vinschgau/Bozen – Im Stromsektor herrscht derzeit an mehreren Fronten Hochspannung. Es stehen zum einen Gerichtsverhandlungen ins Haus und zum anderen wird in den Bezirken zurzeit ein neues Modell der Beteiligung der Gemeinden am Stromgeschäft vorgestellt. Ein Modell allerdings, das „nur“ fixe Geldsummen vorsieht, und keine Naturalien, sprich kein Strombezugsrecht. Der Vinschger Landtagsabgeordnete Sepp Noggler wittert hinter dem Ganzen ein „Scheingeschäft“, bei dem einmal mehr auf das Prinzip „divide et impera“ (lateinisch für „teile und herrsche“) gesetzt wird.
von Sepp Laner
Hatte das Land ursprünglich geglaubt, das Problem der Mitbeteiligung der Gemeinden dadurch zu lösen, dass die Gemeinden 20 % der SEL Holding-Anteile bekommen, so ist dieser Vorschlag längst versandet. Sepp Noggler: „Das wäre für die Gemeinden nie und nimmer eine Garantie gewesen, um dauerhaft zu gesicherten Einkünften zu kommen, denn wer weiß schon, ob überhaupt und wie viel an Gewinn Jahr für Jahr ausgeschüttet wird - 2009 zum Beispiel hat die SEL AG überhaupt keine Gewinnausschüttung gemacht - oder wie viel für Abschreibungen und für Defizite von Tochtergesellschaften der SEL Holding hergenommen wird. Außerdem gäbe es das Problem des Ankaufs der Anteile.“
Battisti Matscher tingelt
mit Tabellen durch das Land
Zurzeit tingelt Wilfried Battisti Matscher, der geschäftsführende Präsident des Gemeindenverbandes, mit Tabellen durch das Land, um den Gemeinden ein neues Modell schmackhaft zu machen. Das Modell sieht vor, dass die Südtiroler Gemeinden aufgrund bestimmter Kriterien jährlich fixe Beiträge bekommen sollen. Noggler befürchtet, dass das Modell am 28. Oktober bei der Vollversammlung des Gemeindenverbandes zur Abstimmung gelangen könnte. Er wolle die Gemeinden zwar in keiner Weise bevormunden, rät ihnen aber, „sich nicht kaufen zu lassen.“ Das Ganze rieche nach einem „Scheingeschäft“, denn das Geld, das den Gemeinden auf diese Weise gegeben wird, „könnte wieder im Zuge der Gemeindenfinanzierung durch die Hintertür abgezwackt werden.“ So zum Beispiel werden die Gemeinden heuer über 30 Millionen Euro weniger Zuweisungen vom Land bekommen, „ein kleiner Ersatz, welcher jedoch die Mindereinnahmen keinesfalls wettmacht, könnten da die Battisti-Millionen sein.“ Die Gesamtsumme, die laut Modell pro Jahr den Südtiroler Gemeinden zufließen soll, beläuft sich auf rund 10,6 Millionen Euro, über 1,5 Mio. davon würden in den Vinschgau kommen.
Das große Manko in diesem Modell sieht Noggler darin, dass die Gemeinden ganz nach „Vogel friss oder stirb“-Manier mit bestimmten Summen ruhig gestellt werden sollen, „während das Land weiterhin den Löwenanteil aus dem Stromgeschäft einstreicht.“ Allein im Jahr 2009 seien allein über Konzessionsgebühren, Steuereinnahmen und weiteren Einkünften ca. 60 Millionen Euro in den Landeshaushalt geflossen zuzüglich zu den hunderten von Millionenerlösen aus der künftigen Stromproduktion.
„60 Millionen Euro
mit den Händen im Sack“
„’Und des olls mit di Händ in Sock’, wie es der frühere Grauner Bürgermeister Albrecht Plangger zu sagen pflegt“, so Noggler. Er befürchtet, dass sich nun auf Landesebene genau das abspielt, was mit dem so genannten Vinschger Stromkrieg verhindert konnte, „nämlich dass die Gemeinden mit Geld gelockt werden, am Ende aber doch nur mit Brosamen dastehen, weiterhin Bittsteller bleiben und keine direkte Beteiligung, also ein verbrieftes Recht auf Strombezug bekommen.“ Die Größe von Albrecht Plangger sieht Noggler darin, „dass er den Mut und die Weitsicht hatte, ein verlockendes Geldangebot aus Bozen auszuschlagen und auf eine Mitbeteiligung an der Reschenstauseekonzession zu pochen.“ Vor allem dank des Zusammenhaltes aller Gemeinden im Bezirk sei es gelungen, 8 % Beteiligung an der Reschen-Konzession zu erstreiten. Noggler: „Es ist ein Unterschied, ob der Vinschgau mehr oder weniger von Landes-Gnaden jährlich fixe Summen bekommt - es gibt immer wieder Wahlen und einen Landeshauptmannwechsel wird es früher oder später auch geben -, oder ob wir als Gemeinden selbst Miteigentümer der Kraftwerksanlagen sind, den Strom direkt beziehen und ihn für die Dauer der Konzession, also 30 Jahre lang, selbst verbrauchen, vermarkten und möglicherweise auch verteilen können.“
Ohne Stromproduktion
keine Stromverteilung
Sollte das derzeitige Modell des Gemeindenverbandes tatsächlich zur Umsetzung kommen, „sehe ich für eine eigenständige Stromverteilung im Vinschgau pechschwarz.“ Warum? Sepp Noggler: „Nur wenn wir selbst Strom produzieren, macht es Sinn, das Verteilernetz zu erwerben und die Verteilung mit Hilfe einer gemeindeübergreifenden Genossenschaftsstruktur laut Modell der beiden Abgeordneten Noggler-Schuler - etwa dem Vinschgauer Elektrizitätskonsortium VEK - und der damit einhergehenden steuerrechtlichen Vorteile selbst in die Hand zu nehmen.“ Nur so könne es gelingen, den Bürgern und Betrieben den Strom endlich zu günstigeren Tarifen anzubieten. Von vorneherein defizitär wäre es, „Strom zu verteilen, ohne selbst über Strom zu verfügen.“
Abgesehen davon, dass die im Modell vorgeschlagenen Beitragssummen an die Standort- und Ufergemeinden sowie an die „stromlosen“ Gemeinden mehr als diskutabel seien - „für die Gemeinde Kastelbell-Tschars zum Beispiel ist mit 270.000 Euro eine sehr hohe Summe vorgesehen, während für andere Gemeinden nur relativ kleine Beträge bekommen würden“ -, sei auch zu befürchten, dass bei der Finanzausstattung der Gemeinden in Zukunft gekürzt wird. Das Vorgehen nach dem Grundsatz „divide et impara“ werde geschickt genutzt: „Die Gemeinden werden auseinander dividiert und bleiben weiterhin am Gängelband des Landes hängen“, so Noggler. Und er wird noch klarer: „Wenn die Gemeinden zumindest einigermaßen finanziell unabhängig wären, würde kein Bürgermeister mehr in aller Herrgottsfrüh losfahren, damit er um 6 Uhr vor der Tür des Landeshauptmannes anstehen kann.“ Diesem würde auch ein bestimmtes Maß an Macht abhanden kommen.
Am Ende nur eine „Nullrunde“?
Die Befürchtung, dass das Gemeindenverbands-Modell am Ende auf eine „Nullrunde“ hinauslaufen könnte, teilt auch Andreas Tappeiner, Bürgermeister von Laas und Vizepräsident der Bezirksgemeinschaft Vinschgau. Den Bürgermeistern im Vinschgau stellte Wilfried Battisti Matscher die Tabellen am 29. September am Sitz der Bezirksgemeinschaft in Schlanders vor. Tappeiner dazu: „Die für den Vinschgau vorgesehene Gesamtsumme in Höhe von über 1,5 Mio. Euro pro Jahr ist zwar ansehnlich, doch wir sind uns als Bürgermeister darin einig, dass wir nicht bares Geld wollen, sondern die Naturalien, sprich das Strombezugsrecht.“ Langfristig sei dies mit Abstand der bessere und sicherere Weg. Ganz in diesem Sinne habe sich bei einem weiteren Treffen, das am 5. Oktober am Sitz der Bezirksgemeinschaft stattgefunden hat, auch Albrecht Plangger ausgesprochen, der innerhalb des „Runden Tisches Energie“ die Hydros-Gemeinden vertritt.
Was Noggler im Falle der Gutheißung des neuen Modells noch befürchtet, ist der Umstand, dass sämtliche Eingaben und Rekurse zurückgezogen werden müssten. Das wäre im Besonderen für den Vinschgau gravierend, zumal die Gemeinden Martell, Laas und Latsch über das VEK gegen die Vergabe der Marteller Stausee-Konzession rekurriert haben.
„Bevor die Frage der Beteiligung nicht in unserem Sinn gelöst ist, ziehen wird den Rekurs sicher nicht zurück“, kündigt Tappeiner an. Auf den Kompromissvorschlag, wonach die Gemeinden Martell, Laas und Latsch mit 12 % an der Konzession beteiligt werden sollten und das VEK zusätzlich mit 6 % habe es bislang von politischer Seite noch keine Reaktion aus Bozen gegeben.
Apropos Rechtstreitigkeiten: Mitte Oktober soll das Verwaltungsgericht über einen Rekurs der Grünen im Landtag befinden. Die Grünen hatten in demonstrativer Eintracht mit dem eingeschworenen SVP-Abgeordneten-Duo Sepp Noggler und Arnold Schuler die Offenlegung sämtlicher SEL-Verträge verlangt. Noggler: „Es wird sich bald zeigen, ob das SEL-Haus auf gutem Fundament steht oder ob es an den Grundfesten zu wackeln beginnt.“
Vielleicht noch brisanter: Am 4. November soll das Gericht über einen Rekurs der Etschwerke AG entscheiden. Darin wird nicht nur die Vergabe von Konzessionen angefochten, sondern das Vergabenverfahren selbst. Zu Deutsch: Darf das Land Schiedsrichter und Spieler in einem sein?
„Mit Speck fängt man Mäuse“
Nicht verkneifen kann sich Sepp Noggler eine Bemerkung zum Tag der offenen Tür im Kraftwerk Glurns, zu dem unlängst die SELEDISON AG eingeladen hat: „Anstatt an günstigere Tarife zu denken, pflegt man mit viel Geld, das aus der Wasserkraft kommt und Steuergeld ist und somit eigentlich uns allen gehören müsste, fleißig das eigene Image und bietet Gratis-Bier und Würste an. Teure Werbemaßnahmen kommen noch dazu. Schon im Volksmund heißt es: Mit Speck fängt man Mäuse.“ Noggler hätte sich erwartet, „dass auf den teils abwertenden Worten des Präsidenten der SEL AG Klaus Stocker den ehemaligen ‚sturen’ Bürgermeistern gegenüber zumindest einer der jungen Bürgermeister aufgestanden wäre und gesagt hätte: ‚Ohne den sturen Einsatz unserer Vorgänger würde der Vinschgau in punkto Wasserkraft erneut leer ausgegangen sein!’“
Josef Laner