Neue (Lern-)Wege gehen

Publiziert in 45 / 2008 - Erschienen am 17. Dezember 2008
Die Schullandschaft im Vinschgau ist sehr lebendig und bunt. Neben vielen anderen Ini­tiativen setzen in keiner anderen Talschaft so viele Schulen neue Lernformen, bzw. reformpädagische Ausrichtungen um, hier nimmt der Vinschgau eindeutig eine Vorreiterrolle ein. Einige Projekte von Schulen, die ihren Unterricht überdacht und teilweise ganz neu definiert und entwickelt haben, sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. von Andrea Perger Grundschulen Goldrain, Tarsch und Prad An allen drei Schulen werden die Kinder nicht wie bisher in Klassen, sondern jahrgangsübergreifend in Stamm­gruppen unterrichtet, die zwei bis drei Jahrgänge umfassen. So wird vermehrt das Lernen der Kinder voneinander gefördert. Leistungsstärkere Kinder werden zusätzlich gefördert, leitungsschwächere Kinder erfahren Unterstützung. Der Unterrichtstag beginnt meist mit dem Morgenkreis als Einstieg und endet mit dem Schlusskreis. In diesen Gesprächskreisen werden Anliegen der Kinder besprochen, Unterrichtsthemen entwickelt, Arbeiten präsentiert und ganz bewusst demokratische Spielregeln und das Moderieren der Gruppe durch die Kinder selbst geübt. Den Großteil der Unterrichtszeit arbeiten die Kinder dann in Freiarbeit, jedes Kind hat die Möglichkeit sein eigenes Lerntempo zu finden, sowie seine Interessen und Fähigkeiten einzubringen. Dabei steht das handlungsorientierte und fächerübergreifende Lernen im Vordergrund. Großer Wert wird auf das Erlernen von sozialen und methodischen Fähigkeiten, wie etwa dem Präsentieren, dem Organisieren, dem Zusammenarbeiten mit anderen und weiteren wichtigen Schlüsselkompetenzen gelegt. Die Kinder sollen dabei Leistungsmut entwickeln, also erkennen, dass Leistung etwas Positives, Schönes ist und dass jeder individuelle Stärken hat. Das Modell rückt die Individualität des Kindes in den Mittelpunkt, wobei dies aber in einem Wechselspiel mit dem Gemeinschaftsleben erfolgt. Oft kämpfen reformpädagogische Schulen gegen das Vorurteil, dass dort Willkür herrsche, die Kinder machen dürften, was sie wollen und deshalb nichts lernen würden. Das können die reformpädagogischen Grundschulen klar von sich weisen, Leistung ist notwendig, wird erbracht, präsentiert und entsprechend gewürdigt. Marion Wellenzohn, Lehrerin an der Grundschule Goldrain sieht für sich den Erfolg dieses Modells vor allem daran, dass sie sich in der neuen Lehrerrolle wohl fühlt, sie ist jetzt nicht mehr reine Wissensvermittlerin, das Zwischenmenschliche erhält einen viel größeren Stellenwert. Das steigert die Motivation und Freude am Beruf. Die Entwicklungen und Fortschritte der Kinder freuen sie besonders. Als Team habe man sich darauf geeinigt, einen neuen Weg zu gehen, alte Muster aufzubrechen und den Unterricht sowie das Schulleben komplett umzugestalten. Das war vor 4 Jahren, doch die Entwicklung ist nicht abgeschlossen, immer wieder wird angepasst, auf die aktuellen Bedürfnisse abgestimmt. Somit wird die Schule selbst zur lernenden Organisation. Unterstützt werden die ­Schulen auf ihrem Weg von ­Christian Laner vom Pädagogischen ­Institut sowie der wissenschaftlichen Begleitung durch die Uni Wien. Montessori-Schulen in Schlanders Im sechsten Schuljahr gibt es heuer Montessori-Klassen an der Grundschule Schlanders und seit diesem Schuljahr, als Fortsetzung auch einen Montessori-Zug an der Mittel­schule. Der Unterricht wird nach dem didaktischen Konzept von Maria Montessori gestaltet, der Grundgedanke des Konzepts wird mit dem Motto „Hilf mir, es selbst zu tun“ zusammengefasst. Im Zentrum steht die Freiarbeit, die täglich 2-3 Stunden umfasst und in der jedes Kind im individuellen Lerntempo nach einem individuellen Lernplan arbeitet. Dabei stehen den Kindern vorbereitete Lernumgebungen mit Montessori-Materialien zur Verfügung. Diese kindgerecht aufbereiteten Lernmaterialien unterstützen das „entdeckende Lernen“. Wichtig ist auch die Elternarbeit, Eltern werden involviert, bei regelmäßigen Versammlungen informiert und helfen z.B. bei der Vorbereitung der Materialien. Infoabend zur Montessori-Schule am 19.Dezember um 19 Uhr in der Aula Magna der Grundschule Schlanders. Weitere Informationen unter folgenden Adressen: http://www.blikk.it/angebote/reformpaedagogik/rpg3000.htm (Blog) http://www.blikk.it/angebote/reformpaedagogik/infothek.htm (Reform­pädagogik) Dort können sich alle Interessierten mit der Szene in Süd­tirol auseinandersetzen. Zusätzlich noch ein Hinweis: es wurde ein Netzwerk der reformpädagogischen Schulen gegründet. Beteiligt sind Prad, Latsch (mit den beiden Grundschulen), St. Martin in Passeier, Tramin. Weitere Schulen kommen später dazu. Handelsoberschule und Sportoberschule Mals An der Handelsoberschule und an der Sportoberschule Mals wurde im Schuljahr 2006/07 in den Abschlussklassen der offene modulare Unterricht eingeführt. Mittlerweile ist das Projekt auf die 4. Klassen dieser beiden Schultypen ausgedehnt worden. Auch hier wird der Lernende als Individuum ins Zentrum gerückt. Neben fachlichem Wissen erwirbt er gezielt individuelle Kompetenzen wie etwa Teamfähigkeit, Fähigkeiten zu präsentieren, diskutieren, moderieren und vieles mehr. Die SchülerInnen werden ermutigt, eigene Lernwege zu finden und kreative Lösungsstrategien zu entwickeln. Dazu werden die Inhalte der einzelnen Fächer in Module unterteilt. Zudem werden die Inhalte eines jeden Moduls in Leistungsstufen gegliedert, und zwar in das verpflichtende Basiswissen und wahlweise in Orientierungswissen und Spezialwissen. (Basiswissen: Inhalte, die unbedingt beherrscht werden müssen, damit das Modul als absolviert gilt, Orientierungswissen: wahlweise, aber für höhere Bewertungen notwendig und Spezialwissen: wahlweise, für die Höchstbewertung notwendig, für SchülerInnen mit besonderen Neigungen und Interessen). Die Einteilung, die logisch nachvollziehbar ist, wird offengelegt und die SchülerInnen können selbst bestimmen, wie intensiv sie sich mit einem Thema auseinandersetzen möchten. Die Inhalte werden dabei so aufbereitet, dass die SchülerInnen sich diese eigenständig aneignen können. Im Unterricht nehmen die Lehrpersonen die Rolle des Beraters, Choachs und Lernpartners ein, der bei Fragen und Schwierigkeiten als Ansprechpartner und Experte da ist. Klare, konsequente und verbindliche Strukturen und Regeln sorgen dabei für Orientierung. Die Verantwortung für den Lernerfolg liegt maßgeblich in den Händen der einzelnen SchülerInnen, wie wohl überall, nur wird dies hier durch die Unterrichtsorganisation ganz klar betont. Insgesamt verlangt dieses Modell den Lernenden und den Lehrenden viel ab, eröffnet aber für beide Seiten völlig neue Möglichkeiten. Weitere Infos: http://www.claudiavonmedici.com Neben den hier vorgestellten Modellen, werden auch an anderen Schulen neue Lernformen umgesetzt. An der Fachschule für Hauswirtschaft in Kortsch etwa, läuft das Projekt „Neues Lernen“. Auch hier wurde der Klassenverband aufgelöst und das Selbstständige Arbeiten und Lernen in Gruppen steht im Vordergrund. Dies ist nur ein weiteres Beispiel zahlloser Bemühungen die Schule „menschenfreundlicher“ zu gestalten. (Titelbild: Pressedienst der Universität Siegen) Das theoretische Modell: Aus verschiedenen reform­pädagogischen Konzepten wurden Elemente herausgegriffen und auf die jeweilige Schulsituation in Goldrain, Tarsch und Prad angepasst und umgesetzt: nach dem Daltonplan wurden an den Schulen Fachräume geschaffen, wie etwa ein Sprachraum, ein Mathematikraum und andere mehr. Dadurch sind die meisten Materialien für die Kinder frei zugänglich, anstatt in abgesperrten Kästen sicher verwahrt zu werden. Von der Pädagogik des Reformpädagogen Freinet wurden unter anderem die Demokratieerziehung, z.B. die Gesprächskreise sowie der freie Text und die Kommunikation übernommen,. So soll die Fähigkeit zur Selbstreflexion erlernt und trainiert werden. Nach dem Jenaplan wird die Struktur Schule mit den Elementen Arbeit, Gespräch, Spiel und Feier gestaltet. Eine Veränderung des Unterrichts bringt einen veränderten Bedarf der äußeren Rahmenbedingungen mit sich. Die Montessori-Materialien finden vor allem Einzug in den Mathematikunterricht. Bei der Umstellung wurden die Schulen von folgenden Gedanken geleitet: das Wohl des Kindes steht im Mittelpunkt, die Lehrpersonen sollen ihre Stärken und Fähigkeiten einsetzen können und mit dem Elternhaus soll eine enge Zusammenarbeit aufgebaut werden. Der Leitspruch stammt von T. Mann und lautet: Der Freiheit anderer Name ist Verantwortung.
Andrea Perger

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