Noch in der Nacht wurden die Zählungsergebnisse verglichen; im Bild (von links): Klaus Bliem, Leiter der Dienststelle Vinschgau des Amtes für Jagd und Fischerei, Walter Verdroß, Leiter der Forststation Mals, Barbara Folie, Leiterin der Forststation Prad, und der Revierjagdaufseher Elmar Heinisch (Mals).

„Inventur“ im Reich des Rotwildes

Publiziert in 16 / 2008 - Erschienen am 30. April 2008
Vinschgau – „Du nimmsch di Lompm, die Barbara schaug mitn Guggr, dr Luis fohrt mitn Auto und i schreib auf.“ Viel gesprochen wird nicht. Muss auch nicht, denn alle wissen, was zu tun ist. Wer zu diesem Zeitpunkt – es ist 23 Uhr - noch nichts weiß, sind die Hirsche, die in den 12 Revieren des Jagdbezirks Vinschgau und im National­park die Wälder verlassen und ins Freiland wandern, um das erste Grün zu suchen. Nicht auf das Grün, sondern auf die Zahl der Hirsche haben es in der Nacht vom 16. auf den 17. April 23 Zählgruppen mit je 3 bis 4 Personen abgesehen. Weitere 8 Gruppen spürten dem Rotwild im Nationalpark nach. Im Jagdbezirk Vinschgau wurden in dieser Nacht 2.419 Stück Rotwild gezählt. Diese hohe Zahl hat mit dazu beigetragen, dass die heurige Abschusszahl um 10 Prozent angehoben wird. von Sepp Laner „Eine Vorreiterrolle bei der Rotwildzählung hatte seinerzeit der Nationalpark Stilfserjoch eingenommen. Mittlerweile finden in ganz Südtirol Zählungen statt, im Vinschgau seit dem Jahr 2000“, sagt Klaus Bliem, der Leiter der Dienststelle Vinschgau des Amtes für Jagd und Fischerei, der die Rotwildzählungen im Jagdbezirk Vinschgau seit 2006 ko­ordiniert. Er ist es auch, der den Gruppen, die sich vor der Forst­station Mals versammelt haben, die letzten Anweisungen gibt. „Wir sind ein ein­gespieltes Team, die Zusammenarbeit des Amtes für Jagd und ­Fischerei mit dem Forstbezirk und den Jagd­aufsehern funktioniert bestens. Neu ist heuer, dass erstmals auch Vertreter des Bauerbundes zur Rotwildzählung eingeladen wurden“, sagt Klaus Bliem, zieht sich die Mütze über den Kopf, prüft den Scheinwerfer, hängt sich das Fernglas um und steigt auf die Freifläche des Jeeps. Die Bauernvertreter seien deshalb eingeladen wurden, weil in ihren Kreisen immer wieder Zweifel in Bezug auf die Glaubwürdigkeit des Zählungssystems aufgekommen waren. „Die Zählbedingungen sind heute Nacht fast perfekt“, flüstert Klaus Bliem seinen Mannen zu, die von Plawenn aus einen Teil des Jagdreviers Mals buchstäblich unter die Schweinwerferlupe nehmen: „Es ist nahezu windstill und die Mondphase ist die richtige. Zu kalt ist es auch nicht, auf den Wiesen gibt es das erste ­Grün und in höheren Lagen liegt noch Schnee.“ Alles in allem also eine fast unwiderstehliche Einladung für das Rotwild, die Wälder zu verlassen und ins Grünland zu ziehen. Während der ersten halben Stunde sieht es aber noch so aus, als würden sich die Hirsche, denen die Gruppe von Klaus Bliem auf der Spur ist, überhaupt nicht blicken lassen. Dies ändert sich aber schlagartig, als auf den Multen plötzlich eine Gruppe von 76 Stück Rotwild fast im Zeitlupentempo in einer Entfernung von etwa 300 Metern das Licht des Scheinwerfes in Form einer Lichterprozession passiert. Weitere Gruppen mit unterschiedlichen Stückzahlen werden oberhalb von Burgeis, nahe Ulten und Alsack sowie auf Wiesen und Äckern in Planeil gesichtet. Klaus Bliem, der die Hirsche mit dem Fernglas anvisiert und Stück für Stück zählt, hat kaum Zeit zum Notieren, als schon die nächste Gruppe im Scheinwerferlicht auftaucht. Auch der Fahrer zählt mit. „Schau, dahinten sind noch welche“, flüstert dieser, als er in einiger Entfernung das Aufblitzen beleuchteter Augen entdeckt. „Na, na, des isch lei a Fuchs, fohr weitr“, antwortet Klaus Bliem. Allein im Revier Mals wurden heuer 549 Hirsche gezählt, im gesamten Jagdbezirk 2.419 (siehe auch Tabelle). Um den Gesamtbestand einschätzen zu können, muss eine Dunkelziffer dazugerechnet werden. Klaus Bliem: „Diese Dunkelziffer liegt zwischen 20 und 35 Prozent. Es handelt sich um jene Hirsche, die die Wälder nicht verlassen.“ Aussagekräftig seien die Zählungen nur dann, wenn zeitgleich im gesamten Bezirk gezählt wird, „denn Hirsche sind richtige Nomadentiere, die an einem Tag in Schlanders und am nächsten schon in Mals sein können.“ Die heurige Rotwildzählung sei sehr erfolgreich verlaufen. Die Zahlen bilden immer auch eines der Kriterien, aufgrund derer die Abschusspläne ­definiert werden. Zusätzlich zum gezählten Rotwildbestand werden bei der Erstellung der Abschusspläne auch die Schäden in der Forstwirtschaft (Verbiss- und Schälschäden), die Schäden in der Landwirtschaft sowie die nachhaltige Ent­wicklung des Wildbestandes als Kriterien berücksichtigt. Bei der Sitzung der Abschussplankommission für das Jahr 2008, die am 22. April stattgefunden hat, einigte sich eine große Mehrheit der beteiligten Vertreter der Forstbehörde, des Jagdbezirkes (Bezirksjägermeister) und des Bauernbundes darauf, die Abschusszahl beim Rotwild angesichts der heurigen Zählungsergebnisse um 10 Prozent anzuheben. Gelobt wurde die Jägerschaft für die sehr gute Erfüllung des Abschussplanes 2007. Eine starke Aussagekraft über den tatsächlichen Wildbestand gewinnen die Rotwild­zählungen erst dann, wenn man die jährlichen Ergebnisse über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren miteinander vergleichen bzw. verfolgen kann. Klaus Bliem: „Erst nach solchen Zeiträumen lassen sich verlässliche Entwicklungs­tendenzen feststellen.“ Gezählt wurden in der Nacht auf den 17. April auch der Hirschbestand im Nationalpark (820 gezählte Hirsche) sowie jener im benachbarten Münstertal in der Schweiz (240 Stück). Die Zählung im Park wurde von der Parkverwaltung durchgeführt, jene in der Val Müstair bis hinauf zum Ofenpass vom Amt für Jagd und Fischerei Graubünden. Im Nationalpark ist der Rotwildbestand übrigens seit der Einführung des Systems der ­regulierten Entnahme um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Den Lebensraum für das Rotwild im Vinschgau wertet Klaus Bliem als den besten in ganz Südtirol. Im Vinschgau gebe es viel Grünland, lichte Wälder, ausgedehnte Almflächen und relativ wenige Ruhestörungen wie sie zum Beispiel am ­Arlberg in Nordtirol oder in Südtiroler Tourismushochburgen festzustellen sind. Hinzu kommen die schneearmen Winter.
Josef Laner

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