Ernst Rechenmacher im August 2006 in seinem Salon.
Der Friseurmeister Ernst Rechenmacher beim Frisieren von Ernst Schwalt im Bürgerheim. Margareth, die Frau von Ernst Schwalt, wacht darüber, dass der andere Ernst ja alles richtig macht.
So sah es im Schlanderser Ortszentrum in den 1970er Jahren aus. Ganz links ist der Salon zu sehen, in dem Ernst Rechenmacher seit 1972 frisiert.

„Ich kann nicht aus jedem einen Ronaldo machen“

Seit 1965 arbeitet Ernst Rechenmacher mit Kamm und Schere.

Publiziert in 40 / 2019 - Erschienen am 19. November 2019

Schlanders - Es sind schon einige Jahrzehnte her, als es in Schlanders noch ein Gefängnis gab. Es befand sich der Schlandersburg, die von 1859 bis 1989 Gerichtssitz war. Eine Zellentür im Innenhof erinnert noch heute an das angeschlossene Bezirksgefängnis im Erdgeschoss. Wer sich noch genau an das Gefängnis erinnert und auch an die „Wilderer, Schläger und anderen Typen“, die dort ihre Strafen absitzen mussten, ist der Schlanderser Friseur Ernst Rechenmacher. Er war ab 1973 über viele Jahre hinweg der offizielle Gefängnis-Friseur. Einmal in der Woche musste er seinen Salon im Ortszentrum für einige Stunden zusperren und den Gefangenen in der Schlandersburg die Haare schneiden. „Und das immer am Mittwoch, denn am Donnerstag wurden die Inhaftierten dem Richter vorgeführt“, erinnert sich Ernst.

„Die halbe Nacht im Knast“

Unvergessen bleibt ihm auch ein Vorfall, für den der einstige Gefängniswärter Hans verantwortlich war: Ernst war gerade dabei, einem Gefangenen die Haare zu schneiden, „als der Hans ‚auf Tournee’ ging und nicht mehr zurückkam.“ Eine halbe Nacht habe er hinter dem von außen abgesperrten Raum im Gefängnis ausharren müssen, bis der Hans endlich auftauchte und ihn befreite. „Ganz allein“ war der Gefängniswärter bei seinem Eintreffen nicht mehr. Er war zuvor offensichtlich in mehreren Gasthäusern unterwegs gewesen. Der Gefängnisfriseur war immer zusammen mit den Gefangenen eingeschlossen worden, denn sonst hätten diese versuchen können, aus dem „Tschumpus“ zu fliehen. Von Hans erzählt man sich noch heute, dass er zu „ungefährlichen“ Gefangenen aus der näheren Umgebung gesagt haben soll: „Geh nach Hause, mach die Stallarbeit und komm dann wieder.“ Auch für Gelegenheitsarbeiten soll er Gefangene kurzzeitig „entlassen“ haben. 

Im Bürgerheim und Krankenhaus

Ebenfalls regelmäßig „zu Besuch“ ist Ernst Rechenmacher seit dem fernen Jahr 1973 im Bürgerheim in Schlanders und im Krankenhaus. Er rückt immer dann mit Kamm, Schere, Rasiermesser und elektrischer Haarschneidemaschine aus, wenn er gerufen wird. Auch alte und kranke Menschen, die zuhause leben, sucht er auf Wunsch auf. Wie es der Zufall wollte, wurde Ernst kürzlich just zu einem Ernst gerufen, um diesem im Bürgerheim die Haare zu schneiden. „Das ist also eine wirklich ‚ernste’ Sache“, scherzte der Friseurmeister. Sein Kunde war Ernst Schwalt aus Kortsch, Jahrgang 1934. Über die Schulter geschaut hat dem Friseur die Frau von Ernst Schwalt, Margareth Tumler aus Göflan, die 1935 geboren ist. „Mein Mann war und ist bis heute ein echter Kavalier“, freute sich Margareth. Er war 40 Jahre lang Mitglied des Kirchenchors Schlanders und 60 Jahre bei der Musikkapelle Kortsch. Auf die Frage, wie lange sie verheiratet sind, meinte Margareth: „Lange. Das 60-Jährige jedenfalls haben wir schon vor einiger Zeit gefeiert.“

Friseur seit 1965

Seinem Handwerk als Friseur, das er von seinem um 5 Jahre älteren Bruder Josef erlernt hatte, geht Ernst schon seit 1965 nach. Josef ist übrigens erst vor kurzem nach 60-jähriger Friseurtätigkeit in Naturns in den Ruhestand getreten. Ernst hatte nach dem Abschluss der Friseur-Schule in Meran zunächst in Latsch gearbeitet, und zwar vom September 1964 bis zum Dezember 1971. Am 1. Jänner 1972 übernahm er von Natale Annovazzi den Salon im Ortszentrum in Schlanders. Natale war in den 1930er Jahren von Mantua nach Schlanders gezogen und hatte den Salon gemietet. Ernst war zunächst ebenfalls in Miete, bis er den kleinen Salon 1986 kaufte. Das, was sich in den ersten Jahrzehnten seines Wirkens vor dem Salon abspielte, ist dem Friseurmeister noch sehr gut in Erinnerung: „Die Busse fuhren mitten durch das Dorf, es gab an beiden Seiten der Straße einen Gehsteig und zu den Stoßzeiten wimmelte es nur so von Schülern.“ Einschneidend verändert hat sich die Situation Hand in Hand mit der Errichtung der Fußgängerzone im Jahr 1996.

Weiß ein Friseur wirklich alles?

Wenn in einem Dorf jemand alles über alle weiß, so ist es der Friseur. Auf diese allgemein verbreitete „Weisheit“ hat Ernst seine eigene Antwort parat: „Der Friseur soll viel wissen und doch nicht wissen.“ Natürlich werde beim Frisieren über so ziemlich alles geredet. Schwierigkeiten in der Familie werden ihm ebenso anvertraut wie finanzielle Probleme und viele andere Dinge. Auch über Politik wird gesprochen, über nette Sachen, wer mit wem wo gesehen wurde usw. Ernst geht mit dem „Gebeichtetem“ natürlich diskret um. Die meisten seiner Klienten sind übrigens Stammkunden. Auch Gäste aus Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern gehören zum Kreis der Stammkunden. Ernst: „Der erste Gang für viele Gäste ist der zum vertrauten Friseur.“

Auch das Haar spürt die Hektik

Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist das Haar vieler Menschen laut dem Friseurmeister heutzutage nicht mehr so fest: „Die Haare ‚heben’ einfach nicht mehr so gut.“ Den Hauptgrund dafür vermutet er in der Hektik, im Stress, im Gerenne, in der Ungeduld und auch in der vielen Nutzung von Handys und anderen Geräten, die Strahlungen verursachen: „Die Haare sind oft statisch stark aufgeladen.“ Ist er imstande, den Wünschen aller Kunden nachzukommen? Ernst: „Was vor allem junge Männer nicht verstehen wollen, ist es, dass ein Friseur bei bestem Willen nicht aus jedem einen Cristiano Ronaldo machen kann.“ Die Vorstellungen und Wünsche nach bestimmten Haarschnitten weichen nicht selten stark von dem ab, was machbar ist: „Die Vorstellung und die Realität sind aber zwei verschiedene paar Schuhe.“ Das treffe auch dann zu, wenn jemand eine Glatze hat und partout überzeugt ist, dass die Haare wieder wachsen, wenn er sie bei wachsendem Mond schneiden lässt. „Wenn der Glaube abnimmt, nimmt der Aberglaube zu“, scherzt Ernst.

„Solange es mich lässt“

An den Nagel hängen will Ernst die Schere und den Kamm noch nicht, obwohl er theoretisch seit 15 Jahren im Ruhestand sein könnte. Seit der Zeit, als ihm der damalige Bürgermeister Jakob Lechthaler die Lizenz zum Frisieren erteilt hatte bis heute, ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Am 14. Jänner 2020 wird er 70 Jahre alt und am 10. Februar 2020 jährt sich der Tag, seit dem er als Friseur gemeldet ist und Steuern zahlt, zum 55. Mal. An das Aufhören denkt er nicht. Er will frisieren, „solange es mich lässt.“

Josef Laner

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