Holzscheiben glühen in der Nacht
Publiziert in 5 / 2006 - Erschienen am 8. März 2006
Tartsch – Am Abend des Scheibenschlagsonntags hatte der Wind auf dem Tartscher Bühel etwas nachgelassen. Es war aber trotzdem sehr kühl. Etwa 150 Leute sind zum Scheibenschlagen gekommen, ältere und jüngere, die meisten aus Tartsch, einige von auswärts, auch aus der Schweiz. Begeistert von diesem Brauch ist Rudi Gamper, der Koordinator des Senders Bozen der RAI, der auch auf den Bühel gestiegen war.
Mit einer Haselnuss-Gerte schlagen die Leute die Scheiben, meist aus Zirmholz, in die Ferne, begleitet von einem Spruch. Auch im Dorfbuch von Tartsch sind einige Seiten dem uralten Brauch gewidmet. Darin ist der alte Reim abgedruckt, jener der Tartscher beim Loslassen der Scheibe: „O Reim, Reim! Wem soll die Scheib sein? Dia Scheib und mei Kniascheib sollen der Thresl sein! (der Name wechselt natürlich). Geaht sie guat, hat sie’s guat, geaht si nit guat, soll sie miar und mein Scheibele nicht verübl haben! Korn in der Wann’, Schmalz in der Pfann’, Pfluag in der Eard, schaug, wie mein Scheibele aussireart!“ Die Scheiben werden nicht nur der jeweiligen Geliebten, sondern auch anderen Personen des Ortes gewidmet, um diese zu ehren oder auch aufgrund aktueller Vorkommnisse ein bisschen zu necken, steht weiters im Dorfbuch.
Für den Brandschutz war die Freiwillige Feuerwehr Tartsch zuständig. Das Scheibenschlagen wird von den Tartschern seit Generationen gepflegt, wie in den Nachbarsdörfern auch. Bereits am frühen Nachmittag treffen sich Männer aus Tartsch am Bühel auf dem Platz, der Richtung Glurns schaut. Eduard Steiner, der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Tartsch, sagt dem „Vinschger“, dass das Scheibenschlagen heuer auch mit der Eisenbahnverwaltung abgesprochen werden musste. Denn gerade unterhalb des Hügels, wo die Scheiben abgeworfen werden, fährt die Vinschger Bahn vorbei. „Wir wissen, wenn der Zug vorbeifährt, da werden wir keine Scheiben loslassen“, erklärt Steiner. Aus Sicherheitsgründen. Auf dem Platz am Bühel wird Holz zusammengetragen und aufgestockt zu einem Haufen, damit am Abend das Feuer entfacht werden kann. Die „Hexe“ liegt bereits vorbereitet auf dem Boden und wartet darauf, aufgestellt zu werden. Es handelt sich dabei um ein Kreuz aus Stroh. Am 5. März war die „Hexe“ 18 Meter lang. Alle Kräfte mussten die zahlreichen Männer vereinigen, um sie hochzuziehen. Denn der Wind blies allen kräftig um die Ohren und erzeugte Widerstand. Bitterkalt sauste er von Mann zu Mann und von Frau zu Frau. Es waren nur einzelne dort. Die Wangen der wenig anwesenden Kleinkinder hatten sich dunkelrot gefärbt. Endlich steht die „Hex“. Sie scheint sich mit ihrem ganzen Stolz gegen den Wind aufbäumen zu wollen. Prächtig in ihrem Strohkleid schaut sie gegen König Ortler und hinunter zu den Glurnsern.
Um 20.10 Uhr ist es soweit. Obwohl sich der Brauch Jahr für Jahr wiederholt, bleibt er einmalig und sonderbar. Alles blickt auf die „Hex“, jeder wartet auf den spannenden Augenblick, der erste Funke sprüht über, innerhalb Sekunden brennt die „Hexe“ lichterloh. Das ist der Höhepunkt des Scheibenschlagens. Auch in den Nachbarsdörfern wird die „Hexe“ angezündet, irgendwo früher, irgendwo später. Die Holzscheiben glühen in der Nacht. Der alten Germanengöttin der Liebe und Fruchtbarkeit wird gehuldigt. Ein wenig Winteraustreiben ist auch dabei. Ein wunderschöner uralter Brauch, mystisch gefärbt, besonders auf dem Tartscher „Bichl“.
Daniela di Pilla Stocker
Daniela di Pilla