Klaus Marsoner als erster Wachkomapatient im Delphinbecken.

Für die Medizin austherapiert?

Publiziert in 30 / 2006 - Erschienen am 6. Dezember 2006
Es ist der 10. Juli 1995. Der 17jährige Klaus Marsoner aus Latsch ist mit seinem Kleinmotorrad auf dem Weg zur Arbeit. Beim Einbiegen vom Tisserweg in die Staatsstraße wird der junge Mechaniker von einem bundesdeutschen Pkw angefahren und zu Boden geschleudert. Klaus bleibt reglos liegen; alle glauben, er sei tot. Viel zu spät wird ein Rettungswagen verständigt; niemand leistet ­Erste Hilfe. Im Krankenhaus von Bozen kämpft Klaus einen Monat lang mit dem Tod; schließlich fällt er in ein Wachkoma, in dem er bis heute liegt. Von Ingeborg Rechenmacher Während der 9 Monate auf der neurologischen Station in Bozen stellt Mutter Margit immer wieder fest, dass ihr Sohn vieles mitbekommt, was um ihn herum geschieht. Er selbst ist sich seiner eigenen Hilf­losigkeit bewusst und verzweifelt fast an seelischen und körperlichen Schmerzen. Margit Marsoners einziger Wunsch ist zu diesem Zeitpunkt, dass Klaus die Chance bekommt, zuhause gepflegt zu werden. Während eines Aufenthaltes in der Uni-Klinik von Innsbruck wird Klaus zum ersten Mal in einen Rollstuhl gesetzt. Ein ergreifendes Gefühl für ­Mutter und Sohn! Die Nasensonde wird durch eine PEG-Sonde ersetzt, die die Ernährung direkt in den Magen ermöglicht. Im Krankenhaus von Hoch-Zirl wird dem jungen Patienten einige Monate später eine Bac­lofen-Pumpe implantiert: seine Extremitäten werden beweglicher, die Schmerzen gelindert und endlich entwickelt Klaus ein Tag- und Nachtgefühl. Dass sein Leben somit lebenswerter wird, ist dem Beschluss des damaligen Gesundheitslandesrates Otto Saurer und Richard Paulmichl zu verdanken, mit welchem Südtiroler Patienten in Hoch-Zirl auf Kosten des Landes Südtirol aufgenommen werden können. Im Jahr 2003 ermöglicht eine Spendenaktion der Latscher Dorfbevölkerung eine Delphintherapie in Florida. Zwei Wochen lang wird Klaus als erster Wachkomapatient überhaupt im Wasserbecken von Delphinen therapiert. Die Eltern können kleine, nur für sie erkennbare Fortschritte bei Klaus feststellen. „Er ist wie in einem Zimmer gefangen. Mit jeder erfolgreichen Therapie geht die Zimmertür einen kleinen Spalt weiter auf,“ ist sich Margit Marsoner sicher. Deshalb fährt sie seit zwei Jahren mit Klaus in ein Therapiezentrum nach Deutschland. Der Verein „Patienten im Wachkoma PIW“ organisiert dort eine Intensivtherapie für Menschen nach schwersten Traumatisierungen oder Menschen im Wachkoma und auch deren Angehörigen. „Ich war das erste Mal in einer Gesprächstherapie für Angehörige von Wachkomapatienten; das hat mir sehr gut getan,“ so Margit Marsoner. „Ich muss lernen, dem Unfalllenker zu verzeihen; er hat sich zwei Tage nach dem Unfall gemeldet und nach dem Befinden von Klaus gefragt. Dann nie wieder.“ Die Eltern von Klaus geben die Hoffnung nicht auf. „Wir vertrauen auf Gottes Hilfe und auf die Liebe, die wir ihm täglich schenken, denn die Medizin hat uns jede Hoffnung genommen. Für sie ist Klaus „austherapiert“. Keine einzige Therapie wird finanziert, sie wird privat oder aus Spendengeldern von Latscher Jugendlichen, die jedes Jahr das Fußballturnier „Budenzauber“ organisieren, bezahlt“, erzählt Margit Marsoner. Klaus ist ein junger Mann geworden, der als Mensch behandelt werden möchte. Er möchte, dass man mit ihm spricht, nicht über ihn. Er mag kein Mitleid, lieber hört er einen guten Witz. Klaus nimmt am Lebend der Familie intensiv teil; er geht mit zum Eis- oder Pizzaessen, er wird zu Hochzeiten oder Familienfesten eingeladen, er fährt auch mit ans Meer. Klaus kann sich selbst nicht steuern, obwohl er wüsste, wie. Er ist wie in einem Zimmer gefangen. Pflege heißt auch Wohlbefinden Als Mitglied des Arbeitskreises Eltern Behinderter (AEB) ist Margit Marsoner auf das Interreg-Projekt „Pflegende Angehörige – Kinästhetik für Menschen mit Behinderung“ aufmerksam geworden. Diese Fortbildung der Bezirksgemeinschaft Vinschgau und des Sozialsprengels Mittel- und Obervinschgau fand Ende November in Schlanders statt. Anhand der eigenen Körpererfahrung und in Partnerarbeit lernten die Teilnehmer die Bedeutung von Bewegung in Entwicklungs-, Gesundheits- und Lernprozessen kennen, sie entwickelten ihre persönlichen Bewegungs- und Handlungsfähigkeiten, um das Risiko von Verletzungen oder Über­lastungsschäden zu reduzieren. „Wo ist das Gewicht? Wo soll es als nächstes hin?“ sind die Kernfragen, die sich pflegende Personen stellen müssen, um in Interaktion zu kommen. „Ich fragte mich im Seminar immer wieder, wie kann ich die körpereigenen Fähigkeiten von Klaus fördern, wie kann ich rückenschonend arbeiten und wie wird eine Bewegung für uns beide angenehmer?“, so ­Margit Marsoner „Das Seminar ist als Präventionsmaßnahme für die Berufsgruppe der Pfleger und für pflegende Angehörige gedacht, um in Balance ihrer Kräfte zu bleiben,“ sagte Martha Stecher, Direktorin der Sozialdienste. „Eine Ausbildung in Kinästhetik dürfte in nächster Zukunft auch für Mitarbeiterinnen der Hauspflegedienste angeboten werden. Das Seminar hat deutlich gezeigt, wie unterschiedlich die Bedürfnisse bei der Pflege von behinderten Menschen sein können“, betonte Irmgard Ladurner, die Leiterin des Sozialsprengels Mittelvinschgau. Direktorin Martha Stecher kündigte zwei weitere Veranstaltungen für 2007 an: Am 18. Jänner spricht Dr. Brüstle in Mals über die „Ausein­andersetzung: Eltern haben ein behindertes Kind“; ein Seminar über „Musiktherapie“ mit Judith Felderer findet Ende Februar ebenfalls in Mals statt.
Ingeborg Rainalter Rechenmacher

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