Etappenziel erreicht
Publiziert in 10 / 2004 - Erschienen am 20. Mai 2004
[F] Naturns ist seit gut einem Jahr verkehrsberuhigt. Um zwei Drittel hat der Schwerverkehr im Zentrum abgenommen, um die Hälfte wurde der PKW-Verkehr reduziert. In Staben ist der Verkehr um mehr als 90 Prozent im Tunnel verschwunden. Was in Naturns “aus den Augen aus dem Sinn” ist, wird in den Nachbargemeinden zum zentralen Problem.
von Erwin Bernhart, Umfrage: Claudia Tapfer [/F]
1991 stand bereits ein fix fertiges Konzept: Töll bis Latschander. Einige Tunnels, einige Unterführungen, die Dörfer im untersten Vinschgau wären umfahren: die Tiefenthaler/Winkler Studie. Die Gemeinden waren nicht zufrieden: Algund bockte und forderte für Forst den Tunnel unterhalb von Schloss Forst. Partschins wollte eine Verlängerung der Unterführungen. In Kastelbell wurden längere Tunnels gefordert. Das Ganze scheiterte oder es zog sich in die Länge. Eine damalige Variante für Naturns, bereits im Bauleitplan eingetragen, die offene Umfahrung an der Etsch, ist auf erheblichen Widerstand, vor allem von Seiten der Bauernjugend gestoßen. BM Walter Weiss hat diese Variante befürwortet, dann eine Kehrtwende, auch aufgrund von massivem Widerstand in Form einer großen Kundgebung, um 180 Grad gemacht und sich der Tiefenthaler/Winkler Studie angeschlossen. Ergebnis heute: Naturns hat´s hinter sich. Seit gut einem Jahr wird Naturns und Staben durch zwei Tunnel umfahren.
[F] Noch zu knabbern [/F]
Abgesehen von ein paar “Kollateralschäden”, an denen die Naturnser noch knabbern. Für einen davon hat es grünes Licht von Landeshauptmann Luis Durnwalder gegeben: Die Stabener sollen ihre bustaugliche Ein- und Ausfahrt im Osten erhalten. Strittig noch sind die Art der Schranken, ob elektronisch, ob mit Schlüssel und Schloss oder ob überhaupt, und die Bestimmung, wer diese wird benutzen dürfen. Der Umbau der Einfahrt in Staben Ost könnte gar schon im Laufe des heurigen Winters über die Bühne gehen. Und ein anderer “Kollateralschaden”: Ein energischer Straßenchef Werner Stecher hat die Steine auf der Insel des Kreises im Osten von Naturns kurzerhand aufmahlen lassen: Das Wasser spuckende Schlangenauge hat sich als Gefahrenquelle entpuppt. Mancher Verkehrsteilnehmer ist aus dem Tunnel kommend schon in die Steinwüste gekracht. Folge: Schäden an der Ölwanne durch die spitzen Steine. Nicht auszudenken, wenn ein Motorradfahrer Kontakt mit den scharfkantigen Steinen aufgenommen hätte. Ein chinesischer Zen-Garten mit Muster schwebt den Naturnsern nun vor.
[F] Sich sonnen [/F]
Während in den Nachbargemeinden Kastelbell und teilweise auch in der Gemeinde Partschins die Problematik des Verkehrs und des Durchzugsverkehrs ins unmittelbare Zentrum der politischen Diskussion gerückt ist, sonnen sich die Naturnser in Zahlen und, was noch wichtiger ist, in einem neuen Wohlgefühl, von dem die Nachbargemeinden vorerst nur träumen können (siehe Umfrage). Zwei Drittel des Schwerverkehrs sind aus dem Dorf verbannt. Dieser Teil des Schwerverkehrs geht durch den Tunnel, Sattelschlepper und Anhänger sind fast zur Gänze von der Dorfstraße verschwunden. Der Personenverkehr, so in einer druckfrischen Studie von Hermann Knoflacher, wurde im Dorf glatt halbiert. Der Lärmpegel konnte um die 40% gesenkt werden. Und die Zahlen sind in Staben fast schon paradiesisch: ein Minus bei den PKW´s von 92%, bei den LKW´s von 94 % und die Anhänger und Sattelschlepper sind fast zur Gänze (99%) in den Tunnel abgeleitet.
Die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel hat sich seit 1989 um mehr als das Doppelte gesteigert und liegt bei 9%. Niederschmetternd für den Präsidenten der “Freunde der Eisenbahn” Weiss dürfte allerdings eine Knoflacher´sche Analyse sein: Aufgrund der zurückzulegenden Wege kommt Knoflacher zum ernüchternden Schluss: “Damit hat der öffentliche Verkehr praktisch keine Chance gegenüber dem Auto. Die Chancengleichheit geht bereits an den Ausgangspunkten verloren.” Ein hartes Stück Arbeit, auch für die Naturnser, auch im Hinblick auf den kommenden Zug.
[F] Keine Einbußen [/F]
Nicht bewahrheitet hat sich, dass durch den bzw. die Tunnel wirtschaftliche Einbußen zu verzeichnen wären. 70% der in der KnoflacherStudie befragten Geschäftsleute bewerten Naturns als Einkaufsort sehr gut und gut, nur 5% bewerten mit schlecht oder sehr schlecht. Ähnliche Ergebnisse sind bei der Befragung der Kunden herausgekommen. Die im Dorf gelegene Tankstelle, die größere Einbußen bei der Treibstoffausgabe zu verzeichnen hat, soll Richtung Plauser Kreuzung ausgelagert werden.
Von einer sofortigen Einführung einer Fußgängerzone hat man vorläufig Abstand genommen. Mit einer schnellen Einfühung ist man auf Widerstand gestoßen und gebremst worden. Die Kehrtwende folgte prompt. Man wolle, so Weiss, eine solche, wenn überhaupt, von unten wachsen lassen. In Knoflachers Studie: Nur eine Minderheit wünscht die Einführung einer Fußgängerzone. Rund ein Viertel der Befragten haben sich für eine solche ausgesprochen. Vor allem die Geschäftsleute sprechen sich, noch, mehrheitlich dagegen aus.
[F] Nicht stehen bleiben [/F]
“Die Verwirklichung der Umfahrungen ist ein wichtiges Etappenziel hin zu mehr Lebensqualität,” sagt der für die Gestaltung der Straßen zuständige Assessor Andreas Heidegger. Man wolle aber nicht stehen bleiben. Mittlerweile haben die Naturnser die Hauptstraße durch das Dorf neu klassifizieren lassen. Zwischen Prokulusstraße und Kompatsch ist sie Gemeindestraße. Und auf Straßen und Plätzen hat Heidegger mehrere Baustellen laufen: Unter der Straße sollen die Infrastrukturen völlig erneuert werden. Und die Oberfläche soll, abgesehen von der einzuhaltenden Kronenbreite von 5,5 Meter, ebenfalls umgekrempelt werden. Projektant ist der Schlanderser Architekt Karl Spitaler.
[F] Eine Linie angepeilt [/F]
Für die Hauptstraße hat Heidegger die Bauleitung vom Projektanten getrennt, mit Rückendeckung vom Gemeindeausschuss. Über Schwierigkeiten will sich Heidegger nicht äußern. Spitaler hat die Bauleitung bei den Infopoints und beim Burggräfler Platz. Mit einer architektonisch-künstlerischen Linie wolle man die Dorfgestaltung in Angriff nehmen. Attraktive Rad- und Fußgängerwege werden angepeilt, vor allem in Richtung Kompatsch. Zudem sollen neue Parkplätze in der Peripherie entstehen, so beispielsweise an der Prokuluskreuzung.
Das Siegerprojekt “Zeichen in der Landschaft” ist von der Baukommission vorerst abgelehnt worden. Zu ungenau seien die Angaben gewesen. Die Verwirklichung des rund 9 Meter hohen Schriftzuges “hier” und “ist” am Straßenrand beim Lanbichl wird rund 60.000 Euro kosten, so Heidegger.
Auf die Frage, wie denn die Naturnser den Nachbargemeinden gegenüber ihre “Verschönerungs”-Bautätigkeiten innerhalb des Dorfes rechtfertigen, antwortet Weiss mit einem etwas abgewandelten Spruch von Michail Gorbatschov: “Wer schläft, den bestraft das Leben.”
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Christine Pichler, Gasthaus Adler
"Man merkt, dass der Schwerverkehr stark abgenommen hat, eine verminderte Belastung untertags durch die Pkw’s ist jedoch kaum zu spüren. Am ehesten abends ist es ruhiger. Insgesamt kommen weniger Leute ins Gasthaus, ich glaube aber nicht, dass das in einem direkten Zusammenhang mit der Tunneleröffnung steht". [/K]
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Hannes Christanell, Hotel Kreuzwirt:
"Seit der Tunneleröffnung macht sich sicherlich das Fernbleiben einiger Gäste und Passanten bemerkbar. Insgesamt gesehen sehe ich es jedoch als eine große Chance zum einen für die Lebensqualität der Bürger und zum anderen sicherlich auch für eine neue Angebotsgestaltung des Betriebes." [/K]
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Franz Plack, Anrainer:
"Die Nächte sind wesentlich ruhiger geworden. Vor allem das Ausbleiben vieler Reisebusse, Lkw’s und Motorradgruppen macht sich bemerkbar. Das Pkw Aufkommen hat sich bedauerlicherweise leider nicht verringert. Häufig kann man beobachten, wie viele Einheimische, um ins Zentrum zu gelangen, mit dem Auto fahren. Die Leute sollen wieder lernen mehr zu Fuß zu gehen bzw. das Fahrrad zu benutzen." [/K]
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Heinz Platzgummer, Anrainer:
"Nach 28 Jahren, kann ich dank der Tunneleröffnung wieder das Fenster meines Schlafzimmers öffnen. Ein wahres, nicht mehr wegzudenkendes Geschenk für uns!" [/K]
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Christine Pichler, Tankstelle Shell:
"Die Treibstoffausgabe hat sich auf jeden Fall reduziert, bei den angebotenen Dienstleistungen können wir keine Einbußen feststellen. Vom gesundheitlichen Aspekt ist es jetzt sicherlich angenehmer zu arbeiten, allerdings merkt man das Fernbleiben vieler Durchzugspassanten." [/K]
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Norbert Unterholzner, Berg- und Wandersport Unterholzner:
"Geschäftlich kann ich keine Einbußen feststellen und ich bin davon überzeugt, dass das Dorf dank der Tunneleröffnung eine Aufwertung erlebte und die Lebensqualität sicherlich gestiegen ist." [/K]