Ein Schritt in die Vergangenheit?
Publiziert in 9 / 2010 - Erschienen am 10. März 2010
Burgeis – Nach dem großen Erfolg der ersten Tagungsreihe „Landwirtschaft im Oberen Vinschgau – wohin?“ an der Fürstenburg im vergangenen Jahr gab es auf Initiative von Hans Zagler kürzlich als Fortsetzung eine intensive Auseinandersetzung mit den Schwerpunkten „Erdbeer- und Himbeeranbau“ und „Getreideanbau als Alternative zur Grünlandwirtschaft“. Das Interesse der Landwirte aus dem Obervinschgau am Beerenanbau war deutlich, am Getreideanbau dafür eher mäßig; für einen voll besetzten Vortragsraum sorgte eine Schülerklasse der Fürstenburg, die die Tagung interessiert verfolgte.
von Ingeborg Rechenmacher
Im Oberen Vinschgau, der einstigen Kornkammer Tirols, ist man im Laufe der Jahrzehnte fast ausschließlich zur Grünlandwirtschaft übergegangen. Die im Sommerwind wogenden endlosen Roggenfelder, die das Gebiet bunt wie einen Fleckerlteppich gemacht haben, sind nur mehr nostalgische Erinnerung der älteren Generation.
Um 1900 betrug die Getreideanbaufläche in Südtirol noch 30.000 ha, im Jahre 1950 waren es noch 20.000 ha und bei der letzten Landwirtschaftszählung im Jahr 2000 nur mehr 243 ha, berichtete Giovanni Perathoner, Versuchsleiter der Sektion Berglandwirtschaft an der Laimburg. Die Gründe für den Rückgang des Getreideanbaus liegen auf der Hand: zu hohe Produktionskosten im Berggebiet, der Wandel von der Selbstversorgerwirtschaft zur marktorientierten Vieh- und Milchwirtschaft und die Umwandlung der Äcker in andere Kulturen dank der fortschreitenden Bewässerungstechnik. Und dabei wäre gerade der Obervinschgau prädestiniert für den Getreideanbau, der keine regelmäßige Bewässerung, dafür aber viel Wind benötigt. Eine gewinnbringende Vermarktung der Getreideprodukte sei möglich, wenn der Konsument wisse, wie viel Arbeit dahintersteckt und welche Menschen hinter den Produkten stehen, so Perathoner.
Er stellte die Hauptsorten Roggen, Weizen und Dinkel vor, gab Ratschläge zu Bodenpflege und Saatgut, sowie zur Lagerung und Backfähigkeit der einzelnen Getreidesorten.
Einen „Schritt in die Vergangenheit“ haben inzwischen einige, wenige Obervinschger Bauern gewagt, indem sie begonnen haben, kleine Flächen mit heimischem Getreide anzubauen.
So auch Cilli und Othmar Folie aus Prad. Vor 10 Jahren begannen sie mit dem Anbau von Dinkel auf einem halben Hektar Feld, um den Eigenbedarf an Getreide und Brot zu decken. Angespornt durch die gute Qualität der Backwaren und eine steigende Nachfrage wagten sie sich in die Direktvermarktung. Heute bauen Cilli und Othmar Folie vier Hektar Getreide an und sind von Wochen- und Bauernmärkten im Vinschgau vor allem im Sommer kaum mehr wegzudenken. „Wir holen aus den vier Hektar Getreideanbau die größte Wertschöpfung heraus, obwohl es mit viel Aufwand und Handarbeit verbunden ist. Aber ich weiß, dass ich hochwertige Qualität produziere und durch die kleinen Kreisläufe die Umwelt schone“, gab sich Cilli Folie den Tagungsteilnehmern gegenüber überzeugt. „Ich glaube, der Getreideanbau im Oberen Vinschgau hätte Zukunft für die Bauern und wäre eine wertvolle Bereicherung, auch für den Tourismus“, so die Vorsitzende der Vinschger Direktvermarkter.
Dass Cilli und Othmar Folie auf dem richtigen Weg sind, beweist die erfolgreiche Teilnahme am Backwettbewerb auf Europas größter Abhof-Messe im österreichischen Wieselburg. Für ihr Dinkelvollkornbrot bekamen sie den 2. Preis, zwei dritte Plätze gab es für das Leinsamenbrot und das Vinschger Roggenbrot!
Bis in die 70er Jahre habe seine Bäckerei immer einheimischen Roggen von den Müllern bekommen, erinnerte sich Peter Schuster von der gleichnamigen Bäckerei in Laatsch bei Mals.
In den darauffolgenden 25 Jahren sei kein Brot mehr mit heimischem Korn gebacken worden.
Im Jahre 1994 fiel der Startschuss für das „Vinschger Ur-Paarl“ nach dem Originalrezept der Benediktinermönche des Klosters Marienberg. Anfänglich belieferten 20, später 61 Bauern die Vinschger Bäcker mit Roggen, und das Interesse und die Akzeptanz der Kunden stieg von Jahr zu Jahr. „Seit 17 Jahren backen wir, das sind nunmehr acht Bäckereien, das Ur-Paarl ohne irgendeine Förderung“, so Peter Schuster, „ allerdings haben wir nur mehr vier Bauern als Lieferanten, die jedoch einen Spitzenertrag von 58 Zentner pro Hektar erzielen.“ Schuster zeigte sich davon überzeugt, dass die Menge von 500 Zentnern jährlich ziemlich gesteigert werden könnte, denn „bis auf den Ultner Beck verbacken wir alles im Tal.“
Wenn, dann Bio!
Der Ultner Beck Richard Schwienbacher war es dann auch, der den biologischen Getreideanbau als oberstes Gebot, ja als Selbstverständlichkeit forderte, denn gerade im Bioanbau liege das Interesse der Konsumenten. Womit die Frage auftauchte, wo der Unterschied zwischen dem biologischem Anbau und dem Anbau ohne Einsatz von Herbiziden, chemischen Düngemitteln und Fungiziden liege. „In der Zertifizierung“, so die klare Antwort von Cilli Folie, „aber die kostet“. Weitergedacht wurde auch die Problematik konventionelle Grünlandwirtschaft parallel zu biologischem Getreideanbau. „Die Lösung wäre die Bioschiene der Milchhöfe“, so die einhellige Meinung.
Der „Lootscher Beck“ Peter Schuster wartete mit einigen interessanten Eckdaten auf: Im Jahre 1994 seien den Bauern 1.000 Lire pro Kilo Roggen ausbezahlt worden, 2005 bereits 62 Cent und 2008 72,80 Cent. Heute betrage der Preis für heimisches Roggenmehl 1,09 Euro im Vergleich zum Handelspreis von 35 Cent. Und hierin stecke der Grund für das teurere Brot. „Ganz klar, dass sich das nicht alle leisten können“, so Peter Schuster.
Lust auf Beeren
Das Thema „Erdbeer- und Himbeeranbau“ wurde bei der Tagung nicht so vertieft, wie es sich die Veranstalter bzw. Teilnehmer vielleicht erwartet hätten.
Massimo Zago, Versuchsleiter an der Laimburg, stellte noch einmal die gängigen Sorten Elsanta, Marmolada, Darselect und Arosa vor.
„Die Erdbeere ist auch in marginalen Lagen interessant, stellt jedoch hohe Ansprüche an die Fruchtfolge und ist aufgrund der klein strukturierten Betriebe mit relativ hohen Fixkosten verbunden“, so Zago.
Wirtschaftlich sehr interessant sei auch die Himbeere, deren Anbau bis in Lagen von 1400 Metern möglich sei. Als besonders unempfindliche und geschmackvolle Sorten empfahl der Experte Glen Ample und Tulameen.
Peter Gamper, Geschäftsführer der MEG (Marteller Erzeugergenossenschaft) und von deren Anfang an in der Beerenberatung tätig, stellte als „eingefleischter Genossenschafter“ kurz das Genossenschaftswesen vor und warnte vor Alleingängen. „Die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei“, sagte er überzeugt.
Er machte den Anwesenden große Lust auf den bewährten Erdbeeranbau und den zukunftsträchtigen Himbeeranbau. Allerdings müsse sich der Anbau den Ansprüchen der Kultur anpassen. „In einem prädestinierten Klima und dem nötigen Kow-How in Anbau und Vermarktung produzieren wir Hochpreisprodukte höchster Qualität!“ schwärmte der Geschäftsfeldleiter der VI.P (Vinschger Produzenten für Obst und Gemüse). Er stehe allen interessierten Bauern für eine Betriebsbesichtigung und Beratung zur Verfügung.
Unter dem Motto „Jedem das Seine“ arbeitet die Obstversteigerung Egma in Vilpian. Joachim Schmuhl stellte das komplette Servicepaket der Egma GmbH vor und wies auf einen Einführungskurs am 23. März in der Geschäftsstelle hin.
Ingeborg Rainalter Rechenmacher