Drück auf die Tube ...
Publiziert in 12 / 2002 - Erschienen am 20. Juni 2002
... es ist laut, heiß und stickig; die Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Im trüben Licht herrscht Jahrmarktstimmung, dicht gedrängt stehen die Besucher, kaum eine Möglichkeit umzufallen... Der Boden klebt, Plastikbecher liegen am Boden, andere werden pausenlos wieder nachgefüllt. Die Luft ist zum schneiden, Zigarettenrauch mischt sich mit dem süßlichen Geruch von Schweiß, Bier, Red Bull und Erbrochenem. Die Stimmung ist feucht- fröhlich, kaum einer, der die Wirkung des Alkohols noch nicht spürt; die Gespräche sind dementsprechend laut, mitunter aggressiv. Einer übergibt sich am Rand der Tanzfläche, kaum jemand achtet darauf: Begleitumstände, die kommentarlos hingenommen werden. Alltag auf Bällen, Partys, Wald- und Wiesenfesten im Vinschgau.
Solche Szenen schockieren kaum noch! Zu sehr haben wir uns an exzessivem Alkoholkonsum gewöhnt. Kaum ein Maturaball, der nicht in einem Saufgelage endet, ganz zu schweigen von den sommerlichen Wald- und Wiesen-, Dorf- und Zeltfesten. “Sich (sinnlos) betrinken„ ist zum Inhalt des Samstagabends geworden. Spaß ohne Alkohol ist für viele kaum vorstellbar.
Übermäßiger Alkoholgenuss wird den Vinschgern schon lange nachgesagt und jede/r weiß, dass Wahres daran ist. Auch beim Rauchen stehen die Vinschger dem Rest der Südtiroler sicher in nichts nach. Will man den Untersuchungen glauben, sieht ein beachtlicher Teil der 15-bis 20-jährigen (für Erwachsene gibt es z.Z. keine aktuellen Untersuchungen) Alkohol, aber auch Nikotin nicht als Droge. Ihr Konsum erscheint daher ˆauch in größeren Mengen als unproblematisch.
(Laut statistischen Erhebungen rauchen in Südtirol von den 15-bis 21- jährigen 55,1% der Mädchen und 52,4 % der Buben; der Alkoholkonsum ist bedeutend höher; 87,1 % der Buben und 81,6 % der Mädchen trinken Alkohol).
Doch gerade Nikotin und Alkohol sind kein “jugendliches„ Problem: Jung und Alt sind betroffen, doch immer jünger, so hat es den Anschein, werden die Gefährdeten. Eine Umfrage an der Mittelschule von Mals ergab, dass ein Drittel der 192 befragten Schüler/innen gelegentlich, bzw. am Wochenende Alkohol zu sich nehmen, 7 davon regelmäßig. Dabei werden Bier (62,5%), Cocktails (rund 46%), Schnaps (rund 34%) und Wein (gut 18%) genossen. Getrunken wird in erster Linie bei Partys und Festen, in Pubs und im Gasthaus, aber auch zu Hause - ein Ergebnis, das sich sicher mit der Situation an vielen Schulen deckt.
Die Umfrage ergab weiteres, dass 14 der Mittelschüler/innen gelegentlich, 7 regelmäßig rauchen. Mit Drogen in Kontakt gekommen sind 3 Schüler, 6 haben diese Frage nicht beantwortet (was auch gewisse Rückschlüsse zulässt).
Drogen sind im Vinschgau schon seit geraumer Zeit ein Thema; gerade beim Konsum leichter Drogen dürfte der Vinschgau durchaus im Landestrend liegen. Die genannten Zahlen betreffen 11- bis 14-jährige Mädchen und Buben, noch kaum “aus den Kinderschuhen„. Es ist leicht, sich vorzustellen, dass die Zahlen von Lebensjahr zu Lebensjahr gewaltig ansteigen.
Doch neben Drogen, Alkohol oder Nikotin rücken zunehmend auch im Vinschgau andere Süchte wie Ess- oder Kaufsucht ins Blickfeld, ebenso “stoffungebundene„ Abhängigkeiten wie: Spiel-, Sport-, Sex-, Fernseh,- Computer-, Putzsucht... und, und, und...! Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Dinge, die gut tun, werden plötzlich zur Sucht. Statt Freude und Genuss bringen sie keine Befriedigung. Sie stellen die Menschen unter Zwang und geben keine Zeit mehr zur freien Entscheidung. Der Schritt vom Genuss zur Sucht ist oft ein kleiner!
Wann eine Gewohnheit zu problematischem Konsum und zur Sucht wird, ist häufig unklar und der Übergang fließend. Meist dauert es Jahre, bis Betroffene ihre Sucht bemerken und sie sich eingestehen.
Es scheint, dass “Suchtprävention„ aktueller denn je ist. Bereits Kindergärten und Schulen können zusammen mit dem Elternhaus in diese Richtung arbeiten, mit ihnen Vereine, Verbände, Jugendeinrichtungen und Sozialsprengel. Es geht dabei um Persönlichkeitsbildung und Le- benskompetenzförderung„ wie Stärkung des Selbstbewusstseins, der Selbständigkeit, der Beziehungs- und Liebesfähigkeit, der Lern- und Arbeitsfähigkeit und dem Erlernen von Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, sowie von Genuss- und Lebensfähigkeit. Doch Suchtprävention lässt sich nicht durch eine einmalige Aktion erreichen, sie ist ein langfristiges Bemühen.
Mütter, Väter, Großeltern, Freunde, Verwandte und Bekannte können einen Beitrag zur Suchtprävention leisten indem sie Bedürfnisse und Gefühle an sich selbst und an anderen wahrnehmen und ihnen Bedeutung schenken. Niemals werden alle Bedürfnisse im Leben eines Menschen erfüllt, wohl aber können die daraus entstandenen Gefühle ernst genommen und ausgelebt werden. Darin liegt der entscheidende Punkt. Wer seine Gefühle nicht unterdrückt, braucht nicht nach Ersatz zu suchen und kann weiterhin mit Genuss essen, ein gutes Glas Wein trinken, sportlern, fern sehen und genießen, was auch immer der Alltag bietet.
Die 20 Jugenddienste Südtirols haben - unterstützt von Südtirols katholischer Jugend - das Thema Suchtprävention im vergangenen Herbst aufgegriffen. Entstanden ist das Projekt “Voll leben„.
Ziel des Projektes war und ist es, durch vielfältige Aktionen die Lebenskompetenz und Lebenslust der Jugendlichen zu fördern:
- Die Jugendlichen zu einem bewussten Umgang mit dem Leben und mit der Droge Alkohol im besonderen zu befähigen.
- Bei den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft das Thema zur Sprache zu bringen und zu einem bewussten Umgang auf zu fordern, z.B. die Einhaltung der Gesetze.
Im Rahmen des Projektes “Voll Leben„ laufen landesweit Aktionen, und auch die Vinschger Jugenddienste sind aktiv. Die Mitarbeiter vom JUZE (Jugendzentrum) Naturns und den Jugenddiensten Mittel- und Obervinschgau luden alle Interessierten im Juni zur Wanderausstellung “Voll leben„ ein. Jugendliche aus ganz Südtirol haben sich kreativ mit dem Thema Leben und Lebenslust auseinandergesetzt. Mit Freude präsentierte die Malser Jungschar hier die Skulptur “ihres„ Snowboarders, mit der sie den 2. Platz gewonnen haben.
Zum Thema wurden drei 16 jährige männl. Jugendliche aus dem oberen Vinschgau befragt:
Der Vinschger: Jugend und Alkohol ist nicht nur im Vinschgau ein “heißes„ Thema... Wie seht ihr das Problem? Trinkt ihr?
A und B (übereinstimmend): Wir trinken regelmäßig, jedes Wochenende.
C: Da kommt so der ganze Wochenrückblick...
A: ... Wenn der Gesprächsstoff aus gegangen ist, beginnt das Trinken.
B: Zuerst wird gemütlich konsumiert, nach Mitternacht geht es in die Taverne. Da wird dann Härteres konsumiert.
A: Oft wird wirklich brutal gesoffen (lacht), Kampftrinken gibt es aber nur selten.
Wir sind aber nicht süchtig, um das klarzustellen! Unter der Woche trinke ich keinen Alkohol. Nur am Samstag wollen wir unseren Spaß haben.
B: Ich trinke nicht, weil ich cool sein oder flüchten will, sondern, weil mir der Rauschzustand einfach gefällt, am Samstag. Ich will niemanden etwas beweisen, wenn ich trinke, ich will nur meinen Spaß haben.
Ich brauche keine Begleiter, mir ist es auch scheißegal, wenn ich allein saufe.
A: In der Gruppe gefällt‚s mir jedenfalls besser, wenn die anderen auch saufen.
Was und wieviel trinkt ihr?
B: Wir trinken sicher keinen Sekt, wo das Glas 7Euro.- kostet und man zwei Flaschen braucht, bis man voll ist. Wir haben nicht das Geld, um Genießer zu sein. Daher wird in der Bar mehr konsumiert als in der Disko. Außerdem trinken wir nicht jeden Samstag bis zum Delirium, bis man in der Ecke liegt und sich übergibt. ˆAber das alles ist meine persönliche Sicht, 1000 Jugendliche denken wahrscheinlich 1000 Mal anders.
Was fasziniert euch eigentlich am Rausch?
A: Ja, die Stimmung steigt!
B: Es ist geil, alles! Der Rausch an sich ist interessant...
A: Ich bin immer viel fitter; wenn ich nicht trinke, bin ich so gegen 2 Uhr fertig, eben...
Seit wann trinkt ihr? Wann habt ihr damit angefangen?
A (lacht): Da sind uns noch keine Barthaare gewachsen...
B: So mit 13 habe ich meinen ersten Keil gehabt!
A: In der ersten Klasse Oberschule haben wir uns dann richtig zugeschüttet.
B: Also, der erste Kontakt war so mit 13. Regelmäßig dann so ab 15...
Und wie gehen eure Freunde und Kollegen mit dem Alkohol um, trinken sie auch?
B: Alle- Jaaa! Menge und Regelmäßigkeit sind ähnlich. Ob alle über den Alkolhol so denken, weiß ich nicht... Frauen trinken weniger.
Die sexuelle Hemmschwelle sinkt natürlich auch.
Und die Erwachsenen? Wie sehen sie das?
B: Wir halten uns nur an das Beispiel, das man uns vormacht... (lacht) Sauftechniken kann man auch lernen...
C: Solange du nicht zu jung bist, sagen die Älteren nichts... Außerdem trinken wir ja meist mit der Clique.
A: Es sollte nicht immer alles so dramatisiert werden, wir sagen ja auch nichts, wenn die Erwachsenen jeden Tag“ vögeln“.
Wie beurteilt ihr den Alkoholkonsum unter Jugendlichen? Ist verstärkt Prävention notwendig?
A: Nein!
M:„Voll Leben ohne Vollrausch‰“ (Präventionskampagne des Gesundheitsassessorates)- darüber amüsieren wir uns jeden Tag.
C: Vielleicht sollte man mehr kontrollieren. So nette, brave Kampagnen bringen nichts.
B: Speziell beim Alkohol nützen nette Sprüche und kurzfristige Aktionen nichts, man müsste die Volksmoral ändern und das geht sicher nicht von heute auf morgen. ˆOder vielleicht härter durchgreifen? In Norwegen z.B. kostet das Bier ca. 7Euro.-, das könnte helfen.
A: Ich denke, solange ich den Alkoholkonsum kontrollieren kann, d.h. solange ich nur am Samstag sauf, ist es kein Problem für meine Gesundheit, da werde ich auch nicht abhängig oder Alkoholiker.
B: Ich finde diesen Zustand jedenfalls nicht bedenklich, weil ich z.B. leicht ohne „Leps“ auskommen kann. Weil ich meine Räusche und mein „Getrinke“ eigentlich genieße und mich sehr gut beherrschen und kontrollieren kann. Man sollte das alles nicht so eng sehen.
Interview+Bericht: Brigitte Alber