Die Wirtschaft tritt auf der Stelle
Publiziert in 19 / 2005 - Erschienen am 6. Oktober 2005
Die Zahl der Konkurse nimmt landesweit zu. Der Vinschgau ist keine Ausnahme. Die Apfelpreise stagnieren. Die Bergbauern können ohne Nebenerwerb kaum überleben. Dem Tourismus im Vinschgau fehlt es an zusätzlichen Infrastrukturen. Der Handel, das Handwerk und die Industrie sehen sich immer stärkerer Konkurrenz ausgesetzt. 26,3 Prozent der Arbeitnehmer verdienen weniger als 1000 Euro netto im Monat: Die Wirtschaft tritt auf der Stelle, auch im Vinschgau.
von Josef Laner
„So hart wie andere europäische Länder wird die derzeitige Wirtschaftskrise unser Land sicher nicht treffen“, gibt sich Kurt Ziernhöld, der Vinschgauer Bezirksobmann des Südtiroler Wirtschaftsringes (SWR), überzeugt. Die große Stärke der Südtiroler und natürlich auch Vinschgauer Wirtschaft sieht er in den Klein- und Mittelbetrieben, „die sehr fleißig sind und schuften; viele arbeiten zum Beispiel nicht nur bis 18 Uhr, sondern bis 19 oder 20 Uhr“. In der Handwerksbranche gebe es derzeit wenig flüssiges Geld und manche Handwerksbetriebe tun sich mit den Zahlungen schwer.
Ein Stillstand ist laut Kurt Ziernhöld, seines Zeichens auch Bezirkspräsident des Verbandes für Kaufleute und Dienstleister, auch im Handel zu verzeichnen. Kleine Geschäfte, die nicht auch mit Zusatzangeboten und eigenen Zusatzdiensten aufwarten, bekommen es immer schwerer. Abgesehen vom Kaufkraftabfluss nach Nordtirol und nach Oberitalien, der sich mittlerweile stabilisiert habe, sieht Ziernhöld vor allem auch im indirekten Verkauf eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Er meint hierbei in erster Linie die Versandhäuser und den Internet-Verkauf. Letzterer sei nicht zu unterschätzen.
Den Hauptgrund dafür, dass es etwa im Bezirkshauptort Schlanders viele leer stehende Geschäfte gibt, sieht Ziernhöld in der neuen Handelsordnung: „Es ist schade, dass die Entwicklung im Handel nicht mehr von der Gemeinde gesteuert wird; es gibt immer wieder Leute, die unüberlegt Geschäfte öffnen und umgehend in Schwierigkeiten geraten; in Wirklichkeit richten sie nur den Handel hin“. Der Bezirkspräsident ist überzeugt, dass gestandene Betriebe überleben werden und dass sich deren Investitionen auch lohnen. Positive Beispiele dafür gebe es im ganzen Tal. Der Fleiß, die Freundlichkeit und die Dienstleistungen der Klein- und Mittelbetriebe seien nicht ersetzbar.
Der Trend aber, wonach kleinere Betriebe von größeren aufgesogen werden, sei klar erkennbar. Die Konkurrenz aus dem Ausland nehme zu. In Nauders etwa wird derzeit in der Dorfmitte eine neue Filiale des Tiroler Lebensmittelsupermarktes MPREIS gebaut. Gerüchte, wonach MPREIS auch nach Schlanders kommen könnte, scheinen nicht unbegründet zu sein. Fest steht, dass anstelle des Hallenbades in Schlanders, das derzeit abgerissen wird, ein über 400 Quadratmeter großes Geschäft entstehen wird. Ob es MPREIS oder eine andere Kette sein wird, bleibt abzuwarten. Der MPREIS-Markt in Nauders (Baguette/Bistro mit vielen Sitzmöglichkeiten) wird voraussichtlich im Dezember eröffnet. MPREIS ist ein Familienunternehmen mit über 130 Märkten in Nord-, Ost- und Südtirol. Der Warenschwerpunkt liegt auf einem vielfältigen heimischen, das heißt Tiroler Warenangebot. MPREIS führt über 1000 Artikel aus der Region. Die Frischebereiche wie Feinkost, Frischfleisch sowie Obst und Gemüse haben einen hohen Stellenwert. Aber auch internationale Markenartikel werden angeboten. Insgesamt sind rund 8000 verschiedene Artikel erhältlich.
Der Schutz der „Kleinen“ muss laut Ziernhöld weiterhin die oberste Priorität der Handelspolitik bleiben, „denn es sind unsere kleinen Geschäfte in den Dörfern, die unseren Tourismus stärken und einmalig machen“. Im Durchschnitt stammten rund 50 Prozent der Umsätze im Handel vom Tourismus. Tourismus und Handel müssten viel mehr zusammenarbeiten. Dies habe die Tourismusbranche bisher noch nicht ganz verstanden.
Die Landwirtschaft bekommt die derzeitige Wirtschaftskrise laut dem Bezirksobmann des Bauernbundes Andreas Tappeiner insofern zu spüren, als dass die Kaufkraft der Konsumenten schwindet: „Vor allem die Einführung des Euro, der hohe Benzinpreis und andere Teuerungen haben dazu geführt, dass für Lebensmittel bzw. die Ernährung insgesamt weniger ausgegeben wird, und das zieht auch Mindereinnahmen für die Landwirtschaft nach sich“. Die EU-Osterweiterung führe im Obst- und Gemüseanbau und auch in der Milchwirtschaft zu größerer Konkurrenz. Eine Lockerung der Milchkontingente bzw. eine Aufhebung der Mengenbeschränkungen im Weinbau wäre für die Südtiroler Landwirtschaft tödlich.
Auszahlungspreise im Obstbau, wie sie für das Ausnahmejahr 2003 erzielt wurden, werde es für das Jahr 2004 nicht geben.
Die extreme Situation in der Berglandwirtschaft wird sich laut Andreas Tappeiner in Zukunft noch weiter verschärfen. Ohne Zu- oder Nebenerwerb sei ein Auskommen fast unmöglich: „Das niedrige Einkommen, das auf extrem gelegenen Höfen mit der Tierhaltung erwirtschaftet wird, fließt meistens wieder in den Hof. Wovon nicht wenige Bauern tatsächlich leben, sind die Ausgleichszahlungen der EU. Einige kämen ohne diese Hilfen nicht über die Runden“.
Die Besetzung von Marktnischen begrüßt Tappeiner. Als positives Beispiel nennt er etwa die Sennerei Burgeis. Er gibt aber auch zu bedenken, „dass beim Konsumenten einfach das Geld fehlt, ständig Qualitätsprodukte zu kaufen“.
Spuren hinterlässt die Krise auch im Tourismus. „Der August und der September waren in der Talsohle trotz allem gute Monate, in höher gelegenen Fremdenverkehrsgebieten verlief es infolge des Wetters allerdings nicht so gut“, sagt Hubert Paulmichl, der bisherige Präsident des Tourismusverbandes Vinschgau. Der ungewöhnlich hohe Treibstoffpreis im Ausland, speziell in Deutschland, mache sich auch hierzulande spürbar. „Die Gäste geben ihr Geld viel gezielter aus. Viele beschränken sich auf das Allernotwendigste, nicht selten wird jeder Euro dreimal umgedreht“.
„Die Krise ist eindeutig zu spüren“, sagt auch Manfred Pinzger, der Präsident des HGV Bezirkes Meran/Vinschgau und zugleich SWR-Landespräsident. Dennoch seien die Auslastungszahlen derzeit noch „einigermaßen ordentlich“. Vor allem Betriebe, die aufgrund ihrer Größe auch mit einem bestimmten Angebot aufwarten können, seien gut gebucht: „Die Spreu trennt sich vom Weizen; der Gast will möglichst professionell betreut werden“. Schlechter bestellt sei es derzeit um die Gastronomie (Restaurant, Bar, Café). Hier gibt es laut Pinzger Einbußen von bis zu 50 Prozent. Die Gründe sind vielfältig: Einführung des Euro, Sparen ist angesagt, schlechte wirtschaftliche Lage insgesamt. Zum Rauchverbot stellt Pinzger fest, dass vor allem kleinere Bars und Cafés Einbußen hinnehmen müssen.
Was dem Tourismus im Vinschgau fehlt, seien Zusatzinfrastrukturen: „Wir haben über ein halbes Dutzend Skigebiete. Sie sind sicher nicht schlecht, aber auch nichts Besonders. Was uns fehlt, ist ein Magnet.“ Im Vinschgau herrsche diesbezüglich Stillstand. „Auch in Sachen Golfplatz haben wir bisher nichts weitergebracht, wir hinken einfach nach“. Sehr positiv wertet Pinzger die neue Vinschgerbahn.
Zum Thema Handel hält er fest, „dass wir als Touristiker voll hinter der derzeitigen Handelspolitik stehen. Wenn der Handel im Dorf bleibt, bleibt das Dorf lebendig“. Andererseits müssen aber auch die Handelstreibenden flexibler werden „und nicht um 19 Uhr die Rollläden schließen, wenn es Gäste gibt, die nach dem Abendessen noch einkaufen wollen“. Auch auf diese Art fließe Kaufkraft ab.
Schwieriger als in den vergangenen Jahren wertet Erhard Joos, der LVH-Bezirksobmann des Obervinschgaus, auch die derzeitige Lage im Handwerk. Besonders stark schlage sich diese Entwicklung im Holzsektor nieder. Mit dem Baugewerbe sei es in seinem Bezirk derzeit noch relativ gut bestellt, „die Zukunft aber wird sicher weniger rosiger sein“. Es sei insgesamt klar zu spüren, dass die Leute bei Investitionen vorsichtiger sind. Die Konkurrenz aus dem Ausland nehme zu, speziell aus Nordtirol. Aus der Schweiz hingegen sei eher ein rückläufiger Trend zu beobachten. Laut Ehard Joos muss sich das Handwerk um die Erschließung neuer Märkte bemühen, etwa im oberitalienischen Raum. Gute Handwerksbetriebe werden auch in Zukunft bestehen können. Eher schwächere Betriebe aber, in denen zum Beispeil wenig Wert auf Weiterbildung gelegt wurde, oder die es nicht verstanden haben, mit der Zeit Schritt zu halten, könnten auf der Strecke bleiben. Joos glaubt, dass sich die guten Betriebe in den nächsten Jahren immer mehr von den schwächeren abheben werden.
Der LVH-Bezirksobmann des Untervinschgaus, Raffael Egger, hält zur allgemeinen Wirtschaftslage fest, dass eine Verunsicherung vorherrsche. Immer größer werdende Belastungen nähmen der Wirtschaft jeden Schwung: Bezinpreise, Diskussion über neue Abgaben (Tourismusabgabe, Pflegeversicherung, Baukostenabgabe usw.). Von Entbürokratisierung werde nur gesprochen, aber nie gehandelt. Einen großen Wettbewerbsnachteil im Vinschgau sieht Raffael Egger im Mangel an technischen Infrastrukturen.
Die Schwarzarbeit werde zu wenig bekämpft. In einigen Bereichen seien Engpässe in der Beschaffung von Aufträgen festzustellen. Eine mittel- und langfristige Investitionsplanung sei nicht möglich. Die Aussichten seien eher schlecht, „die Leute haben weniger Geld und müssen sparen, um mit dem, was sie verdienen, bis zum Monatsende auszukommen“. Den Betrieben fehle die Liquidität infolge der schlechten Zahlungsmoral und der immer kleiner werdenden Gewinnspanne.
Die wirtschaftspolitischen Entscheidungen eröffnen laut Egger keine Perspektiven. Die Wirtschaft brauche mehr Freiraum und weniger Vorschriften. Die öffentliche Verwaltung müsse mehr in die kleinen Wirtschaftsabläufe investieren, „um breit gestreute Synergieeffekte zu erzielen“. Es sei nicht Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, durch Eigenregie in die Wirtschaft einzugreifen. Eine Gemeinde, in der kein Wirtschaftskreislauf existiert, sei eine „tote Gemeinde“. Der Grundsatz „Ich muss zuerst erwirtschaften, was ich auszugeben habe“ gelte immer noch.
Josef Laner