Patrizia Gentilini

„Die Unwissenheit ist erschreckend“

Publiziert in 8 / 2014 - Erschienen am 5. März 2014
Fachvortrag über Wirkung und Risiken von Pestiziden auf die menschliche Gesundheit Schlanders - Wissenschaftliche Studien über negative Umwelteinflüsse auf die menschliche Gesundheit gibt es zuhauf. „Auch die Risiken von Pestiziden sind längst erforscht und belegt,“ sagte die Onkologin und Umweltmedizinerin Patrizia Gentilini aus Forlì am Freitag bei einer Fortbildungsveranstaltung, zu der die Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin in des Verwaltungsgebäude des Krankenhauses eingeladen hatte. Vor Hausärzten, Tierärzten und Apothekern zeigte die engagierte Referentin anhand vieler Studien und Publikationen wissenschaftlicher Institutionen sowie anerkannter Autoren auf, dass chemische Substanzen die menschliche Gesundheit stark gefährden können, und zwar bereits ab dem Fötus-Stadium. Selbst in der Muttermilch seien Substanzen nachgewiesen worden. „Die Umwelt ist nicht draußen vor der Tür, sondern in unserem Körper“, so Gentilini. Obwohl mehrfach nachgewiesen wurde, dass chemische Substanzen, darunter auch Pestizide, auf die Aktivität der Gene einwirken und auf das Hormonsystem, werde dieser Umstand oft ignoriert. „Die Unwissenheit ist gewaltig und tragisch, vor allem auch bei Politikern.“ Fast alle Krankheiten, auch die Krebserkrankungen, seien den Umwelteinflüssen zuzuschreiben. Was den Einsatz von Pestiziden betrifft, sei Italien ein negatives Musterbeispiel. Die Gesetzgebung sei höchst komplex, widersprüchlich und voll bestückt mit Ausnahmeregelungen, mit denen bestimmte Vorschriften übergangen werden. Das bereits 2001 unterzeichnete Stockholmer Übereinkommen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und Umwelt sei von Italien bis heute nicht ratifiziert worden. Pestizide seien auch für die Gewässer, die Böden und die Luft schädlich. „Die Risiken betreffen nicht nur die Anwender, sondern die gesamte Bevölkerung.“ Auch auf Analysen, die Rückstände in Lebensmitteln belegen, verwies Gentilini. Als sehr besorgnis­erregend wertet sie die Zunahme von Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, speziell der Leukämie, in Italien. Im Vergleich zu Nordeuropa und den USA sei die Krebsrate in Italien bei Kindern und Jugendlichen bis zu 14 Jahren merklich höher. Nicht außer Acht zu lassen seien Langzeitwirkungen von Pestiziden sowie der kombinierte Einsatz verschiedener Wirkstoffe: „Derzeit geltende Grenzwerte schützen uns nicht ausreichend“, so die Umweltmedizinerin. Auf die Frage, ob eine teure Pestizid-Studie in Südtirol sinnvoll sei, meinte die Referentin, dass die Risiken für die Gesundheit mittlerweile hinlänglich belegt und weitere Studien nicht mehr notwendig seien. Den einzigen Ausweg aus dem Fortschritts-Paradox sieht Gentilini in einem weitgehenden Verzicht auf den Einsatz chemischer Substanzen. In der Landwirtschaft sei auf naturnahe und biologische Anbauweisen zu setzen. Sie ist überzeugt, dass nichts zufällig geschieht. Auch Parkinson, Aufmerksamkeitsdefizite, Hyperaktivität und andere Krankheiten entstehen nicht ohne Grund. Im Kampf gegen den Krebs sei es leider immer noch so, dass man viel Geld für die Beseitigung der Symptome ausgibt, nicht aber für die Bekämpfung der Ursachen. Die Umweltmedizinerin ermunterte die Ärzte, sich weiterhin öffentlich zu engagieren und auf Risiken von Pestiziden auf die menschliche Gesundheit aufmerksam zu machen. Als eines der Tabu-Themen, über die zu wenig diskutiert wird, nannten mehrere Ärzte die männliche Unfruchtbarkeit. Sepp
Josef Laner

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