„Die Armut hat sich verändert“
Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie sind die Vinzenzkonferenzen besonders gefordert.
Schlanders - Armen Menschen schnell und unbürokratisch helfen: das ist nach wie vor der Leitgedanke der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft. Es war der französische Gelehrte Antoine Frédéric Ozanam, geboren 1813 in Mailand und gestorben 1853 in Marseille, der an der Schwelle zum Industriezeitalter die Notwendigkeit organisierter Nächstenliebe erkannte und schon als Student eine Caritasbruderschaft gründete. Aus seiner Initiative gingen die heute noch aktiven Vinzenzkonferenzen bzw. Vinzenzgemeinschaften hervor. Ozanam hatte das Gedankengut von Vinzenz von Paul aufgenommen, der als Reaktion auf die konkret erlebte Not Caritasbruderschaften in den Pfarreien gründete. In Südtirol entstanden im ausgehenden 19. Jahrhundert mehrere Vinzenzkonferenzen. Unter den ersten 10 befand sich auch jene von Schlanders, die 1890 gegründet wurde, also vor genau 130 Jahren. Die formelle Gründung der Konferenz, die der damals in Schlanders wirkende Kooperator Christian Schrott in die Wege geleitet hatte, fand am 11. April 1890 statt. Der derzeitige Vorstand des Vinzenzkonferenz Schlanders hatte zwar geplant, das 130-jährige Bestehen heuer im Frühjahr mit einer schlichten Feier im Kapuzinerkloster zu begehen, konnte die Veranstaltung aber wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie nicht abhalten.
„Geld wird den Armen gar keines in die Hand gegeben“
Wie aus den Gründungsdokumenten der Vinzenzkonferenz Schlanders hervorgeht, gehörte es zu den Aufgaben der Vinzenz-Brüder, „die Armen in ihren Wohnungen aufzusuchen, mit ihnen in freundlichster Weise zu verkehren, sie nach ihren Bedürfnissen zu befragen, ihre Würdigkeit zu prüfen und ihnen nach den vorhandenen Mitteln eine Unterstützung durch Anweisungen auf Lebensmittel oder Kleidungsstücke zu verabfolgen.“ Damals war es üblich, dass die Vinzenzkonferenz Gutscheine an Bedürftige ausgab. Wie in der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des „Vinzenzvereins St. Josef Schlanders“ nachzulesen ist, hatten die einstigen Gutscheine einen durchschnittlichen Wert von 7,70 Lire. Damals kostete 1 kg Butter zwischen 6 und 7 Lire. Klar festgeschrieben wurde bereits bei der Gründung: „Geld wird den Armen gar keines in die Hand gegeben.“ Nichts zu vergeben habe der Verein auch „für Arbeitsscheue, Trunksüchtige und Lasterhafte“.
Die Armut von heute hat neue Gesichter
Wenngleich sind in den vergangenen 130 Jahren vieles geändert und auch gebessert hat, ist die Armut in der modernen Gesellschaft nicht verschwunden. „Sie hat sich nur verändert“, sagt Herbert Habicher. Er ist rund 30 Jahren der Vorsitzende der Vinzenzkonferenz Schlanders. Wie Herbert Habicher arbeiten im derzeitigen Vorstand auch Hannes Spögler, Konrad Lechthaler und Rosl Weisenhorn aus Kortsch, Monika Pinzger aus Vetzan, Monika Schöpf aus Göflan, Martha Nardone und Monika Wielander (Schlanderser Tafel) aus Schlanders ehrenamtlich im Verein mit. Vor rund 30 Jahren stand die Vinzenzkonferenz Schlanders auf der Kippe, doch der Weiterbestand konnte gesichert werden, nicht zuletzt auch Dank des Einsatzes von Alois Oberhöller, der damals Kooperator in Schlanders war. Geändert hat sich die Armut laut dem Vorsitzenden im Vergleich zu früheren Zeiten insofern, als es auch in der heutigen Gesellschaft bedürftige Personen und Familien gibt, die nicht selten in versteckter Armut bzw. an der Grenze des Lebensminimums leben: „Es gibt zum Beispiel Menschen und Familien, die nicht imstande sind, die Kondominiumsspesen zu zahlen, die Miete, die Kosten einer neuen Brille oder eine dringende Arztrechnung.“
Hinschauen und hinhören
Die wichtigste Aufgabe des Vereins sei es daher, hinzuschauen und hellhörig zu sein. Manchmal werde der Verein Gott sei Dank auch von Nachbarn bedürftiger Menschen auf Notlagen aufmerksam gemacht. Herbert Habicher: „Wir rufen dann bei den Betroffen an, besuchen sie und fragen, ob sie Hilfe brauchen.“ In den meisten Fällen handelt es sich um Personen bzw. Familien, die den Sozialdiensten bereits bekannt sind. Die Stärke der Vinzenzkonferenz liege darin, „dass wir den Menschen und Familien rasch und unbürokratisch helfen können.“ So könnte etwa die Zahlung fälliger Rechnungen binnen kürzester Zeit übernommen werden.
„Wir sind wie ein kleine Brücke“
Der Vorsitzende vergleicht die Hilfen, die der Verein bieten kann, mit einer „kleinen Brücke“. Für weiterführende bzw. auch größere Unterstützungen könne der Verein u.a. auf die Zentrale der Vinzenzgemeinschaft in Bozen setzen. Unverzichtbar und äußerst wertvoll sei auch die gute Zusammenarbeit und das Zusammenspiel mit den Sozialdiensten der Bezirksgemeinschaft, mit der Caritas und der Schuldnerberatung. Hand in Hand mit den Kleiderkammern, den Lebensmittel-Tafeln und anderweitigen Hilfsinitiativen sei ein ziemlich dichtes Netz für die Unterstützung armer Menschen im Vinschgau entstanden. Wichtig sei es, dass sowohl die Gemeinden als auch die Fraktionen möglichst kapillar abgedeckt werden können. Die Konferenz Schlanders könne sich in diesem Punkt glücklich schätzen, weil im Vorstand Vertreterinnen und Vertreter aus fast dem gesamten Gemeindegebiet mitarbeiten.
In Prad und Laas bräuchte es dringend Vinzenzkonferezen
Einige Lücken hingegen gebe es in einigen Gemeinden im Vinschgau. Herbert Habicher: „Vor allem in Prad und Laas müssten dringend Vinzenzkonferenzen gegründet werden.“ Zumal Prad und Laas, aber auch andere Gemeinden im Vinschgau derzeit noch weiße Flecken sind, ist es für die bestehenden Konferenzen mitunter nicht leicht, auch dort hinzuschauen und zu helfen. Im Vinschgau gibt es neben dem Verein in Schlanders derzeit aktive Vinzenzkonferenzen in Burgeis, Mals, Graun, Latsch und Martell. Die Vorsitzende der Konferenz Martell, Regina Marth Gardetto, ist zugleich auch die Bezirksvorsitzende.
Wie funktioniert die Hilfe konkret?
In der Praxis läuft die Tätigkeit der Vinzenzkonferenzen so ab, dass arme Personen oder Familien, von denen die Konferenzen in von denen die Konferenzen in Kenntnis gesetzt werden, zu einem Erstgespräch eingeladen werden. Dieser Erstkontakt dient laut Herbert Habicher vor allem auch dazu, sich ein Bild über die tatsächliche Notsituation der Betroffenen zu machen. Meistens lasse sich schon beim ersten Kontakt feststellen, ob eine wirkliche Notlage gegeben ist oder nicht. Es wird sozusagen die Seriosität der Bedürftigen überprüft. Unterschiede zwischen Einheimischen oder Menschen mit Migrationshintergrund werden laut dem Vorsitzenden grundsätzlich keine gemacht: „Für uns sind alle Menschen gleich, egal welcher Sprachgruppe oder Religion sie angehören, von wo sie herkommen oder welche Hautfarbe sie haben. Mir persönlich ist es wichtig, zunächst mit allen, die offensichtlich Hilfe brauchen, ins Gespräch zu kommen.“ Natürlich gebe es manchmal auch sogenannte Schlaumeier, aber dafür habe er im Laufe der Jahrzehnte ein Gespür entwickelt.
Corona-Krise macht sich stark spürbar
Dass viele Menschen aufgrund der Covid-19-Pandemie in Notlagen geraten sind und immer noch geraten, beweist schon die Tatsache, dass allein die Vinzenzkonferenz Schlanders seit dem Ausbruch der Pandemie bis jetzt über 50 Personen bzw. Familien geholfen hat, die aufgrund der Corona-Krise in finanzielle Engpässe geraten sind. Beim Großteil der Betroffenen handelt es sich um Personen oder Familien, die nicht mehr in der Lage waren, die Kondominiumsspesen oder die Miete zu zahlen. Besonders gelitten hätte u.a alleinerziehende Mütter oder Personen, die im Gastgewerbe tätig waren und plötzlich ihre Arbeit verloren. Ganz besonders genau schaut die Vinzenzkonferenz hin, wenn Kinder Hilfe benötigen. Nicht nachvollziehbar ist es laut Habicher, „dass es während der Corona-Krise für viele, die es gar nicht nötig gehabt hätten, leicht und unkompliziert war, zum famosen 600-Euro-Bonus zu kommen, während wirklich Bedürftige einen bürokratischen Hürdenlauf in Kauf nehmen mussten, um die mehr als strengen und sehr restriktiven Kriterien für den Erhalt von Lebensmittelgutscheinen, welche die Gemeinden vergeben durften, zu erfüllen.“ In diesem Fall sei die soziale Gerechtigkeit völlig auf der Strecke geblieben.
Ausschließlich auf Spenden angewiesen
Bei den Geldmitteln, die den Vinzenzkonferenzen zur Verfügung stehen, handelt es sich ausschließlich um Spenden. Es ist laut Habicher erstaunlich, dass viele Private und Vereine auch in Krisenzeiten bereit sind, bedürftigen Mitmenschen zu helfen: „Je mehr wir helfen, umso mehr wird gespendet.“ Nicht unerwähnt lässt Habicher auch mehrere Spendenaktionen, vor allem die bezirksweite Spendenaktion „Vinschger Weihnachtslicht“, die vom Handels- und Dienstleistungsverbandes (hds) vor etlichen Jahren ins Leben gerufen worden ist und die mittlerweile auch vom Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) und dem Landesverband der Handwerker und Dienstleister (lvh) unterstützt sowie von den Raffeisenkassen des Vinschgaus mitgetragen wird.
Traditionelle Sammlung am 1. November
Eine nicht unerhebliche Voraussetzung für die Hilfstätigkeit der Vinzenzkonferenz Schlanders ist die zur Tradition gewordene Spendensammlung zu Allerheiligen. Auch am Nachmittag des heurigen 1. November (Sonntag) werden an den Friedhofseingängen in Kortsch, Vetzan, Göflan und Schlanders wieder Spenden für die Vinzenzkonferenz, sprich für arme Menschen in unserer Gemeinschaft, gesammelt.