Der Vinschgau in der Feuernacht
Publiziert in 22 / 2011 - Erschienen am 8. Juni 2011
Die Attentate in der „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961 waren Hilfeschreie. Im Vinschgau ist in jener Nacht zwischen Reschenscheideck und Schnalserbach kein Masten umgeknickt. Im Tal der Stauseen und Elektrozentralen ist keine Druckrohrleitung beschädigt worden. In der Feuernacht brannten im Vinschgau die Herz Jesu-Feuer wie seit dem Gelöbnis 1796, offiziell waren sie verboten. Im Burggrafenamt und im Bozner Raum führte die Feuernacht zu Panik in den Wohnvierteln der Italiener. Der Staat und seine Ordnungskräfte schienen gelähmt und hatten sich in den Kasernen eingeschlossen.
von Günther Schöpf
Was war geschehen im Heimattal des Regionalratsabgeordneten Hans Dietl, dessen Auftreten einer geknechteten und enttäuschten Generation Hoffnung gab? Warum hat sich in der Heimat eines Franz Muther in der Feuernacht nichts getan, obwohl der Laaser zu den „Hochrangigen“ im Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) gezählt werden muss? Die Fragen lassen sich nur zum Teil beantworten. Die hier wiedergegebenen Gesprächsnotizen – mehr sind es nicht - müssen ein bescheidener Versuch bleiben, die Erinnerungen an die Ereignisse in der Feuernacht wachzuhalten. Es waren Idealisten, die nach dem 12. Juni 1961 schwer gebüßt haben, die an den Folterungen gestorben sind und deren Familien an den Rand der Existenz gedrängt worden waren. Sie waren maßlos enttäuscht von der Politik. Der Paketabschluss 1972 war für sie ein Schock und die Bewertung ihrer Aktionen durch den Innsbrucker Professor Steininger im Jahr 1999 hat dem Fass den Boden durchgeschlagen. Enttäuscht waren sie auch über viele Südtiroler, wie es der Prader Josef Tschenett auf dem Totenbett ausdrückte: „Für die Heimat würde ich es wieder tun, für die Südtiroler nicht“. (aus Peterlini, Bomberjahre, 2005).
Es begann in Schlanders
Sepp Kerschbaumer aus Frangart, von den Gesinnungsfreunden im Vinschgau anerkannt bis zur Verehrung, fasste den Plan, mit sogenannten „Aufwärmattentaten“ einerseits der Politik und ihrer Diplomatie Zeit zu lassen, andrerseits aber schon auf den einen, den „großen Schlag“ hinzuarbeiten. Dies war der Hintergrund, vor dem am 21. April Hans Oberhofer in Schlanders einen Anschlag auf die Finanz-Kaserne verübte. Die unmittelbare Folge davon: schon am Tag darauf wurde ein allgemeines Verbot der Tracht verhängt. Der erst vor wenigen Jahren verstorbene Richter Mario Martin ließ neben Schützenhauptmann Friedl Tumler auch Wendelin Pfitscher, Eduard Schönthaler und Toni Tappeiner in Schlanders verhaften. Eine Gegenreaktion erfolgte am 1. Mai 1961. Im „Bahnhofsacker“ in Schlanders wurden 25 zweijährige Marillen-Bäume abgeschnitten. Am Boden lagen Flugzettel: „Porchi tedeschi, cercatevi la strada per l’Austria“ und „Evviva la frutta tirolese“. Dann kam der 11. Juni, der Tag des Heiligen Barnabas. „Unternehmen Barnabas“ wurde die Aktion BAS-intern genannt. Schon vorher war der Plan von Sepp Fabi aus Burgeis, in der Feuernacht ein Boot mit rund 40 Kilogramm Sprengstoff in das Werk in Schluderns hinein tragen zu lassen, verworfen worden. Die entfesselten Wassermassen aus der Druckleitung hätten unkontrollierte Schäden hervorrufen können.
In der Feuernacht wurden in wenigen Stunden 37 Leitungsmasten in die Luft gesprengt. Die Staatsmacht schien gelähmt. Die Öffentlichkeit war überrascht. Danach verwandelte sich Südtirol in ein Heerlager mit 10.000 Polizisten und 24.000 Soldaten. Völlig ahnungslose und junge Rekruten mussten nächtliche Ausgangssperren überwachen. Der Schreiber dieses Beitrages erinnert sich an die Schüsse in der Abenddämmerung. Eine Frau wurde angeschossen, während sie in der Nähe einer „INA-Casa“ in Latsch Gras für ihre Hasen sammelte. In Mals wurde am 19. Juni der 25jährige Hubert Sprenger, der sich mit einem Mädchen treffen wollte, niedergestreckt. Der Todesschütze erhielt 20.000 Lire und zwei Wochen Urlaub.
Unvorstellbare Grausamkeiten
Am späten Nachmittag des 10. Juli - in Oberitalien begannen die Anschläge auf Oberleitungen der Bahnlinien – wurde Franz Muther festgenommen. Auf Benno Steiner, gehasster Korrespondent des „Alto Adige“, war am Tag zuvor ein Anschlag versucht worden. Der Sprengsatz unter der Motorhaube seines Autos ist nicht explodiert, der Schuldige wurde nie gefasst. Steiner war fünf Jahre zuvor mit Jörg Klotz bei Muther gewesen, um die Oppositionspartei „Tiroler Adler“ aufzubauen. Nun nannte er Muther unter den Verdächtigen. Diesmal wollten die Ordnungskräfte keine Fehler machen und hielten die Verhaftung geheim. So kam es vom 12. auf den 13. Juli noch zur „kleinen Feuernacht“, bei der ein Masten in den unteren Schlanderser Wiesen beschädigt wurde. Jeder war überzeugt, dass alle dicht halten würden; niemand hätte sich die Grausamkeiten in den Carabinieri-Kasernen vorstellen können. Franz Muther unterschrieb im eigenen Blute liegend, röchelnd und fast blind alles, was man ihm vorhielt. Es begann der Leidensweg von 34 Südtirolern. Die ersten Vinschger, die Muther folgen mussten, waren Josef Fabi (Burgeis), Hans Oberhofer (der Jüngste, Goldrain), Franz Tappeiner (Laas), Engelbert Angerer (Laas), Josef Tschenett (Prad) und Paul Zangerle (Eyrs). Wenige Tage später wurden weitere Vinschger Namen erfoltert: Mathias Parth (Eyrs), Viktor Steck (Tartsch), Sepp Spiss (Latsch), Eduard Tanzer (Tschengls) und Siegfried Graf (Prad. Anm. d. Red.: Wahrscheinlich ist die Liste der Vinschger Häftlinge nicht vollständig. Dafür ersuchen wir um Verständnis). Einen allgemeinen Haftbefehl hatte Staatsanwalt Gaetano Rocco erst am 20. Juli erlassen wegen „Sabotageakte zur Zersetzung der staatlichen Einheit“. Über die Person von Franz Muther hat Wilfried Stimpfl im Laaser Schützenbuch von 2001 einen lesenswerten Aufsatz geschrieben. Wie die Stimmung im Lande damals war, vermitteln zwei Episoden, die unter Umständen auch hätten dazu führen können, dass sich jemand den Aktivisten anschließt.
Die geschmähte Nation
Sie waren zu viert und mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Schlanders, ins Kino. „Am westlichen Dorfeingang hat uns ein Auto in rasender Fahrt überholt. Die ‚walsche Fahne‘ hing heraus. Wegen der Fahrweise haben wir uns aufgeregt, vielleicht haben wir die Faust gemacht“, erzählte Ernst Oberdörfer, damals 15 Jahre alt. Der Wagen habe mit quietschenden Reifen gehalten; Männer in Zivil seien herausgesprungen und hätten sie verfolgt. Um querfeldein fliehen zu können, haben sie die Räder liegen lassen. Trotzdem habe man sie gefasst und schweißüberströmt in die Kaserne in der Kugelgasse gebracht. Den ganzen Nachmittag bis spät in die Nacht hätten sie in der Kaserne warten müssen. „Dann wurden wir in Italienisch verhört. Wir haben nur wenig verstanden. Man hat uns dann angezeigt. Wir sollen auf die Fahne gespuckt haben. Auch vor Gericht mussten wir erscheinen. Damals ist mir richtig klar geworden. Die können uns alles unterschieben. Die wollten uns Südtirolern immer nur eins auswischen.“ Ernst Oberdörfer, Jahrgang 1942, war in Innsbruck mit einem Eppaner in Kontakt gekommen und hatte im Zug oder auf seiner „Vespa“ Flugblätter in den Vinschgau geschmuggelt und sie mit dem Fahrrad verteilt. Nach fünf Monaten Militärdienst in Neapel ist er 1964 mit einem Brief an den „Colonello“ nach Bozen geschickt und dort von 9 Uhr vormittags bis 3 Uhr morgens in der Kommandatur des 4. Armeekorps verhört worden. Oberdörfer musste nach zwei Monaten Untersuchungshaft seinen Militärdienst samt Haftzeit in L’Aquila nachholen. Am Tag seiner Entlassung, am 18. März 1965, kam es im Zug von Sulmona nach Pescara zu einer schicksalhaften Begegnung. Man konfrontierte ihn mit dem Amplatz-Mörder und Doppelagenten Christian Kerbler. Ernst Oberdörfer musste nicht schauspielern. Er kannte den Mann nicht und konnte unbehelligt, wenn auch dauernd beobachtet nach Hause fahren.
Knüppelsonntag in Latsch
Es muss an einem März- oder Aprilsonntag des Jahres 1958 gewesen sein. Der Tag war wolkenlos, aber kühl. Wir Buben (darunter der Schreiber) saßen in der Sonne auf der Umfassungsmauer des „Frühmessgartens“ in Latsch. Das „rechte Kirchen“ war zu Ende. Die Latscher, voraus die Männer, strömten aus der Kirche und sammelten sich auf der Straße. Gesprächsthema: schon wieder hängt eine rot-weiße Fahne an der „weißen Wond“ am Sonnenberg. Plötzlich tauchte ein über und über beflaggter Bus auf. Aus offenen Fenstern spuckten junge Frauen auf die Kirchengänger. Männliche Begleiter sprangen heraus, brüllten „Siamo in Italia“, schwenkten die „Tricolore“ in der einen Hand und streckten die andere nach vorn. Heute weiß ich, dass es der faschistische Gruß war. Spuckend und provozierend näherten sie sich zwei jüngeren Latschern. Das war für die Umstehenden, darunter war auch Sepp Spiss, eindeutig zu viel. Plötzlich lagen mehrere der jungen Italiener am Boden. Ein Körper wurde neben uns auf die Mauer geklatscht, ja so klang es. Einige sahen sehr mitgenommen aus, als sie im Bus verschwanden. Plötzlich hörte man einen Knall. Später wird man mir erzählen, der Latscher „Brigadier“ habe in die Luft geschossen. Das Carabinieri-Aufgebot, das plötzlich auftauchte, fand nur mehr friedlich herumstehende Latscher auf dem Kirchplatz vor. Erst am 22. Februar 1960 wird das Wüten der Polizei gegen singende Kirchengänger in Bozen als „Knüppelsonntag“ in die Südtiroler Geschichte eingehen.
Unschuldig im Kerker
Franz Tappeiner, Jahrgang 1926, ist der einzige, noch lebende „Häftling der ersten Stunde“ im Vinschgau. Ein unfreiwilliger Zeitzeuge, der nichts mit der Feuernacht zu tun hatte, gefoltert und zu zwei Jahren verurteilt, aber drei Jahre, drei verlorene Jahre, wie er heute sagt, in Haft bleiben musste. Um 5 Uhr früh des 13. Juli 1961 wurde er zusammen mit Engelbert Angerer in die Kaserne gebracht. Am 16. Oktober schrieb er in einem Brief aus dem Gefängnis: „So wurde ich mit Gewehrkolben auf die Geschlechtsteile, mit Fausthieben ins Gesicht und gegen die Rippen geschlagen. Mit glühenden Zigaretten wurde mir ins Gesicht gebrannt, wo man heute noch die Merkmale sieht. Man drohte mir, einen 20 kg schweren Gegenstand an die Geschlechtsteile zu hängen“. Dies alles, weil er seinem Freund Franz Muther den Gefallen tat, im Rohbau seines Stadels am „Oberen Loretzhof“ Sprengpulver zu verstecken. „Wenn ich die Gnade gehabt hätte, das Versteck dem Franz zu zeigen, hätte er vielleicht selbst die Carabinieri hinführen können und meinen Namen nicht genannt.“ Es klang kein Nachtragen aus seinen Worten. Umso nachtragender klangen die Worte seiner Frau Rosa gegenüber ehemaligen Parteigrößen der SVP. „Ich bin damals mit drei kleinen Kindern, eines davon mit Kinderlähmung, mit Stadel und Stall im Rohbau und der vielen Arbeit auf dem Feld dagestanden. Nie hab ich nur eine Lira gesehen. Alle 14 Tage bin ich mit dem Bus nach Trient ins Gefängnis („Tränenbus“ genannt, Anm.), um den Franz zu besuchen. Dabei hab ich wohl gesehen, wie manchen Frauen Brieflein zugesteckt wurden. Gottseidank gab es aber einen Adolf Steiner vom Tschöggelberg, der mir die Landwirtschaftsmaschinen kostenlos zur Verfügung gestellt und dafür gesorgt hatte, dass unser Kind in München medizinische Hilfe bekam. Gottseidank gab es viele hilfreiche Hände aus Laas, Kortsch und Dorf Tirol. Sie haben mir die Bäume geschnitten, die Äpfel gepflückt und bei der Heuernte geholfen.“
Er war ein Mann der Tat
Martina Rinner Oberhofer ist an der Geschichte interessiert, war fast 20 Jahre Obfrau eines der ältesten Bildungsausschüsse des Tales und gehört dem Ausschuss des Heimatpflegevereins Latsch an. Sie hat mit 19 einen Attentäter der Feuernacht geheiratet. Auch wenn es in diesem Zusammenhang sonderbar klingt, aber sie ist als Zeitzeugin ein Glücksfall. Nur Monate zuvor war Hans Oberhofer, ihr Mann, aus dem Gefängnis entlassen worden, gezeichnet von den schweren Folterungen, ohne Geschmacksinn, seit sie ihm Säure eingeflößt hatten, und der panischen Angst zu ertrinken. Sein Brief vom 8. September 1961 enthält nur in Ansätzen die ungeheuren Demütigungen und den körperlichen Schmerz, den man ihm zugefügt hatte. „Aber er war ein schneidiger Mann“, erinnerte sich Martina. Sie habe ihm vor der Hochzeit ein Ultimatum gestellt: „Freiheitsliebe und Vaterland gut und recht, aber es gibt Grenzen“, habe sie gesagt. Zum Tag nach der Feuernacht: „Ich war einkaufen und ein gewisser Fliri hat gemeint: das werden komische Zeiten. Ich erinnere mich an die eigenartige Stimmung zu Urbani (Umzug in Goldrain am 25. Mai 1961). Damals hat der Hans demonstrativ die Tiroler Fahne mitgetragen, obwohl das verboten war“. Sehr wohl habe sie gehört, dass ein Goldrainer, der „Kinen Hans“ eingesperrt worden sei. Hans Oberhofer habe Franz Muther sehr in Ehren gehabt, auch mit Sepp Kerschbaumer sei er eng in Kontakt gewesen. „Gottseidank hat er immer auf ihn gehört“, meinte Martina und schien heute noch erleichtert. Sie erzählte, wie der Hans seinen Masten am 11. Juni 1961 bereits präpariert hatte, aber alles beseitigen musste, weil der Zeitzünder nicht funktionierte. Sie erzählte auch vom Vorhaben, die Eisenbahnbrücke westlich von Goldrain zu sprengen, um Bahn und Straße zu blockieren. Gerade in der betreffenden Nacht sei aber ungewöhnlich viel Verkehr gewesen, so dass die Ladungen entfernt werden mussten. Hans Oberhofer, Jahrgang 1934, ist im November 1966 aus dem Gefängnis gekommen. Es hat in der Zeit danach regelmäßig Treffen gegeben, der Heimatbund hat sie organisiert. Martina erinnerte sich an ein Treffen auf der Haslburg. „Damals hatte ich das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Viele gaben sich als Helden“, stellte sie trocken fest. Hans sei immer zu dem gestanden, was er getan habe. Der Paketabschluss sei ein Schock gewesen. Sie schilderte auch die Episode, wie man ihn überredet hat, die Verdienstmedaille des Landes Tirol anzunehmen. Er, der von den Politikern so enttäuscht war, wollte von ihnen nicht ausgezeichnet werden. Dadurch hätten aber Paul Zangerle und Franz Tappeiner die Medaillen auch nicht bekommen. „Der Hans hat, wie so oft, wieder nachgegeben“, erzählte seine Witwe. „Angeboten habe ich ihm, an der Aufarbeitung der Geschehnisse mitzuhelfen. Wir waren ja fast eine Generation auseinander. Er war 14 Jahre älter. Die Mentalitäten waren wirklich verschieden.“ Martina erwähnte so nebenbei, dass ihr Telefon, Festnetz und Handy immer noch abgehört werden. „Haben die sonst keine Probleme?“, fragte sie. Sie kam auf die Folterungen zu sprechen, auf die Säure und auf die Gewichte an den Hoden. „Nach seiner Freilassung hatte er nur zwei Möglichkeiten, entweder sein Leben neu zu ordnen und zu arbeiten oder…“ Die andere Möglichkeit hat Martina nicht mehr erwähnt. Hans Oberhofer ist 2002 nach schwerer Krankheit gestorben. Er wurde zu neun Jahren Gefängnis verurteilt und ist nach fünf Jahren und vier Monaten entlassen worden.
Wo waren sie?
Hans Graber, Vinschgaus höchst dekorierter Schütze, ehemaliger Bezirksmajor und stellvertretender Landeskommandant, war im Jahre 1961 31 Jahre alt, ein Rücksiedler, der „sich nicht mucksen“ konnte, wenn er nicht zum Militärdienst eingezogen werden oder seine Betriebsgründung im Jahre 1955 in Gefahr bringen wollte. Das Gründungsmitglied der Schützenkompanie Schlanders, Hans Graber, hat die Verhaftung seines Hauptmannes nach dem Sprengstoffanschlag auf die Finanz-Kaserne miterleben müssen und hat vergebens an der Kaserne dagegen protestiert. „Niemand hat so was geahnt“, erzählte er von der Feuernacht, „alle waren überrascht. Dabei stand ich mit dem damaligen Bezirksmajor Franz Muther durchaus in Verbindung. Wir – die Handwerker - haben dann versucht, zu sammeln und die Familien zu unterstützen.“ Als Folge der Feuernacht wurde sein Auto auf seinen Fahrten zwischen Schlanders und Bozen an mehreren Straßensperren durchsucht.
Der Göflaner Oswald Astfäller, Jahrgang 1928, war in der Feuernacht nur knapp einer Verhaftung entgangen, indem er und sein Freund sich in einem Wasserwaal versteckt hatten. „Nicht wegen der Bomben – ich war ahnungslos – haben wir uns verstecken müssen, sondern, weil uns die Carabinieri beim Herz Jesu-Feuer beobachtet hatten und abfangen wollten“, erzählte er. Nach dem Attentat auf die Finanzkaserne hatte er vor, mit Gesinnungsgenossen auf Traktoren einen Protestzug zur Kaserne zu inszenieren. Astfäller, der mit 83 noch Möbel tischlert, erinnerte sich, dass viele die Feuernacht für einen Blödsinn gehalten hätten. „Ich habe versucht, für die Häftlinge was zu tun. Wir – vor allem der Dietl Martl mit seinem Auto – sind herum gefahren und haben für die Häftlinge gesammelt. Martls Töchter haben die Pakete vorbereitet. Dabei haben wir auch unangenehme Erlebnisse gehabt. Sogar solche, von denen man eine Tiroler-Gesinnung erwarten konnte, hätten es abgelehnt, ‚für die Verbrecher‘ zu spenden“, erzählte Astfäller, der zusammen mit seinen Söhnen Erwin und Andreas 1979 zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war.
Dem Verteidiger das Wort
Der Schlanders Anwalt Karl Gartner, Jahrgang 1923, wurde sofort nach der Verhaftung von Franz Muthers Frau, Hanna, kontaktiert und auf die Folterungen aufmerksam gemacht. Erst nach zehn Tagen konnte er mit seinem Mandanten in Kontakt treten. Sein Antrag, Muther von einem Vertrauensarzt ärztlich untersuchen zu lassen wurde abgelehnt. Gartner hatte Doktor Egmont Jenny, den späteren Gründer der Sozialen Fortschrittspartei vorgeschlagen. Nach 12 Tagen kam der Bescheid vom Gefängnisarzt, dass keine gesundheitlichen Probleme vorlägen. Karl Gartner vertrat Muther und weitere acht Vinschger nicht nur beim Trientner Prozess im August 1963 gegen die folternden Carabinieri, sondern auch bei beiden Mailänder Prozessen ab Dezember 1963 bis zur Berufung 1966 und dem Urteil des Kassationsgerichtshofes 1969.
Zusammen mit Roland Riz und Hermann Nicolussi hat Gartner die Strategie ausgeheckt und den Verteidigerkollegen vorgeschlagen, die Aktionen der Häftlinge als verzweifeltes Bemühungen um Autonomie darzustellen, aber nicht um Selbstbestimmung, dafür drohte lebenslänglich. „Argumentiert haben wir, dass die Leute immer die faschistischen Provokationen vor Augen und dass sie sich immer unter Druck gefühlt hätten,“ erzählte der seit 1951 praktizierende Anwalt aus Schlanders. Karl Gartner hatte eine Erklärung, warum vom 11. zum 12. Juni 1961 im Vinschgau nichts geschehen ist: „Bei der entscheidenden Versammlung am 1. Juni in Zernez ist vereinbart worden, zuerst im Burggrafenamt anzufangen.“ Er war auch überzeugt, dass die Südtiroler, die im Landhaus in Innsbruck verkehrten, alle fotografiert und aktenkundig waren. Ebenso klar und entschieden seine Antwort auf die Frage nach Sinn und Nutzen: „Italien und die Nato hatten zu jener Zeit Angst vor einem Umschwenken Italiens Richtung Kommunismus und konnte sich keinen Unruheherd leisten. Die Südtirolfrage ist durch die Anschläge auf das internationale Parkett gekommen. „Zum Anschlag auf die Schlanderser Finanzkaserne hatte er ein amüsantes Detail beizusteuern: „Ich war Ortsobmann der SVP und auf den Vorwurf, unsere Leute hätten das getan, konnte ich entgegnen, ich und unsere Leute haben nicht unser Eigentum in die Luft gesprengt.“
Gartner war Besitzer des Gebäudes, das die Finanzer in Miete bewohnten.
Das waren „die Walschen“
Christl Gamper war Grundschullehrerin und ist wie immer am 12. Juni 1961 mit der „Littorina“ knapp nach 6 Uhr von Algund abgefahren, um pünktlich zu Unterrichtsbeginn an ihrer Schule in Kortsch zu sein. Die Sprengungen, von denen sie nichts mitbekommen hatte, seien im Zug natürlich „Tagesanfangsgespräch“ gewesen. In Kortsch angekommen, habe ihre Hausfrau sie mit dem Satz empfangen: „Das können nur die Walschen gewesen sein.“ Heute noch staunt Christl Gamper, dass man so etwas so lange geheim halten konnte.
Das Bomber-Taxi
Es hat vor der Feuernacht auch kuriose und sehr menschliche Vorfälle gegeben. Matteo Dell’Agnolo war seit 1952 in Tarsch verheiratet. In der Gemeinde Latsch war er als „der Geometer“ ein geschätzter Planer und durch seine Sprachkenntnisse ein begehrter Helfer bei allen möglichen Behördengängen. Da der „Geometra“ auch ein Auto besaß und sehr hilfsbereit war, nahm er oft junge Tarscher mit nach Innsbruck. Sie gaben an, Angehörige im Krankenhaus zu besuchen. Erst als diese ihn eines Tages baten, bis zum Bergisel zu fahren, schwante ihm, dass er für zukünftige „Sprengstoffexperten“ der „Passierschein“ an der Grenze war.
Bin i a Italiener?
Oliver Pöhli aus Latsch hatte sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet. Eine Karriere als Berufssoldat schloss er nicht aus. Während der Ausbildung habe ihn am meisten gestört, wie oft und wie provokant er gefragt worden sei: „Ma sei o non sei un Italiano?“ Zuerst habe er versucht, die Sache mit Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit zu erklären, aber die Ignoranz, die er angetroffen hatte, habe ihn entmutigt. „Mit der Zeit hab ich mich gefragt, muss ich denn immer sagen, dass ich ein Italiener bin. Ich bin es eigentlich nicht. Seither beschäftige ich mich mit Heimatgeschichte, mit der Zeit von 1809, dem
1. Weltkrieg und mit den Bomben-Jahren.“
Günther Schöpf