Der Preis stimmt wieder
Publiziert in 20 / 2002 - Erschienen am 24. Oktober 2002
[F] Nächster Adrenalinschub für die Vinschger Obstbauern. Nach den Stresshormonen, die der grassierende Feuerbrand im August verursacht hatte, produziert der Körper der „Landwirte“ nun Glückshormone. Die Auszahlungspreise für die Obsternte des vergangenen Jahres übertreffen die Erwartungen. Die in der ViP zusammengeschlossenen Genossenschaften haben ca. 100 Millionen Euro (200 Milliarden Lire) an ihre Mitglieder ausgezahlt. Welche Umstände waren nun für dieses sehr gute Ergebnis verantwortlich?
von Hansjörg Telfser [/F]
Der "Effetto-T-Euro" allein war es auf alle Fälle nicht. Wenn auch ViP-Direktor Sepp Wielander nicht bestreitetn will, dass sich auch die europäische Einheitswährung - der Euro - irgendwo positiv auf die Preise ausgewirkt hat. Doch seiner Meinung nach hätte es noch wichtigere Dinge auf dem Markt gegeben, die für dieses Klasseergebnis mitverantwortlich waren. Die gute alte „Dolomiten“ macht nach einem Gespräch mit Wielander daraus „ein Jahrhundertergebnis“.
Nun gut, in den 90er Jahren haben die Kastelbeller schon einmal um 110 Lire mehr pro Kilo bekommen als in diesem Jahr die Bauern der Latscher ORTLER als Auszahlungsprimus unter den ViP-Mitgliedsgenossenschaften. Rechnet man dann noch die Inflation mit ein, relativiert sich dieses „Jahrhundertergebnis“ weiter. Vielleicht hat man sich nur auf das neue Jahrhundert bezogen? Dies nur am Rande erwähnt.
In erster Linie profitierten die Vinschger Apfelhändler von den Wetterkapriolen im Dezember und Jänner. Der Jahrhundertschnee - um bei den Superlativen zu bleiben - in Spanien, Griechenland und Süditalien ließ die Gemüsepreise zum Jahreswechsel in astronomische Höhen schnellen. 5.000 Lire und mehr für ein Kilogramm Zucchini waren selbst der gesundheitsbewusstesten Hausfrau zu teuer. In diesen Monaten erlebte der Obstverkauf eine wahre Renaissance. Der Vinschger Apfel aus den geschützten Zellen war immer noch günstiger als das fast mit Gold aufgewogene frische Gemüse. Die Konsumenten, vom überhöhten Gemüsepreis geschockt, wechselten vermehrt auf das Obst über, um damit ihren Vitaminbedarf zu decken.
Ein weiterer Faktor für eine positive Marktlage in der vergangenen Verkaufsperiode war die gesamteuropäische Erntemenge. Sie bewegte sich in einem Rahmen, der einen soliden Marktverlauf voraussehen ließ. Übrigens hat Europa auch heuer wieder von der Menge her kein Spitzenjahr zu verzeichnen, womit auch in der kommenden Verkaufssaison mit einem ansprechenden Ergebnis gerechnet werden kann. Zudem stimmt die Qualität der heurigen Ernte. Wie es Wielander ausdrückt, sei die „Rotbackigkeit bei Golden“ gegeben.
Ein letzter wichtiger Punkt im fast optimalen Verkaufsjahr 2001/02 war das Leid auf Seiten der Burggräfler Landwirte. Durch den Hagel bedingten Ausfall von 10.000 Waggons im Meraner Raum deckten sich viele Käufer natürlich auch mit den Produkten aus dem „Apfelgarten Vinschgau“ ein. Und bekanntlich bestimmt die Nachfrage den Preis.
Dass mit Hubert Unterweger (ORTLER) gerade jener Geschäftsführer die besten Ergebnisse (850 Lire pro Kilogramm Golden Delicious) erzielte, der am wenigsten lange im Obstgeschäft tätig ist, wirft natürlich Fragen auf. Und auch „Der Vinschger“ wollte vom ViP-Direktor wissen, ob es eigentlich „völlig wurscht ist, ob da ein Neueinsteiger oder ein alter Hase im Verkauf tätig ist.“ Wielander zog sich geschickt aus der Affäre. Die Auszahlungspreise würden mit vielen Faktoren zusmmenhängen: ob eine Genossenschaft erst und viel gebaut hätte, Abschreibungen zu tätigen wären, man Zinsen zahlen müsse usw., sozusagen alles Dinge, die sich in einer Bilanz niederschlagen. Wichtig wären auch die Kunden, die „glücklichen Momente eines Geschäftsführers“ und natürlich die Qualität des Obstes.
Gerade hier stimmt aber etwas nicht. Sobald man Aussagen und Zahlen in Relation stellt. Galt doch bisher die landläufige Meinung, dass Qualität auch etwas mit geringerer Menge zu tun hat. Die Zahlen sprechen aber eine eindeutig andere Sprache. Gerade jene Genossenschaften mit hohen Hektarerträgen - ORTLER und MIVO zirka 6,7 Waggons pro Hektar - haben die mit Abstand besten Auszahlungspreise beim Sortenrenner Golden Delicious (siehe nebenstehende Tabelle).
Dennoch - an der Qualität führt kein Weg vorbei. Wenn sie auch für die Bauern in der ViP „mit Kosten verbunden und bitter ist“, wie Wielander es ausdrückt. So werden beispielweise in fast allen Genossen- schaften -zwei ausgenommen - Bauern, die grüne Golden Delicious mit einer Größe von 65/70 mm anliefern mit 20 Cent pro Kilogramm bestraft. Hintergedanke dieser „Strafexpedition“ ist, die Landwirte zur Produktion einer leichter absetzbaren Ware zu bringen, damit auch der Kunde zufriedener ist. Im harten Geschäft des Apfelmarktes wird der Maxime der Zufriedenheit des Kunden alles untergeordnet. In diesem Zusammenhang sind auch alle Maßnahmen im Bereich des Qualitätsmanagements zu sehen. Wenn auch auf der einen Seite vieles mit „Ärger, Kosten und Kontrollen“ (Wielander) verbunden ist, würde dies auf der anderen Seite bedeuten, dass man nicht mehr so leicht austauschbar sei. Denn der Kunde verlange, dass der Lieferant ihm die Probleme löse. Dazu gehören auch die gesamten ISO-Zertifizierungen und das von vielen Bauern als Horror empfundene EUREP-GAP, die so genannte „Gute Agrarpraxis“. Dort ist nicht nur festgelegt, dass in einem größeren Abstand links und rechts von Autobahnen keine Apfelanlagen stehen dürfen, sondern unter anderem auch wie die Bauern Düngestreuer und Sprüher zu warten hätten. Das Ganze muss wiederum dokumentiert werden, womit auf die Obstproduzenten ein größerer bürokratischer Aufwand zukommen wird.
Doch dies will die Chefetage der Vinschger Obstwirtschaft gern in Kauf nehmen, um der Konkurrenz in der EU und besonders auch jener nach der Osterweiterung einen Schritt voraus zu sein. Daher fürchtet Wielander auch den nun fixen Beitritt der 12 Länder zum gemeinsamen Markt nicht. Zwar bringen die Staaten mit ihren 400.000 Hektar obstbaufähiger Fläche gleich viel Grund ein, wie zur Zeit in der EU bewirtschaftet wird, doch sie bringen auch mit ihren 100 Millionen Einwohnern eine Menge potenzieller neuer Käufer mit. Und warum Wielander in dieser Frage so positiv denkt, hängt wiederum mit den großen Ketten wie Carrefoure, Tengelmann oder Lidl zusammen. Sie werden bereits mit Vinschger Obst beliefert. Und diese Multis sind die ersten, die in den neuen Markt vorstoßen. Die Vinschger Obstwirtschaft als Trittbrettfahrer dieser Ketten könnte somit ebenfalls zu den EU-Erweiterungsgewinnern gehören.
Hansjörg Telfser