Der gläserne Apfel(bauer)
Publiziert in 6 / 2004 - Erschienen am 25. März 2004
[K] Die Konsumenten verlangen´s, große Einzelhändler wollen´s und die Bauern müssen´s tun: eine Zertifizierung des Produktionsweges und des dazugehörigen Umfeldes. Noch sträuben sich die Bauern, weil es etwas Neues ist. Entkommen können sie dem Ganzen nicht.
von Erwin Bernhart [/K]
Die Apfelbauern sollen zertifiziert werden. Alle. Bis spätestens 2006. Eine bäuerliche Hundertschaft hat bereits ein Zertifikat. Rund 400 sollen im Laufe des heurigen Jahres dazukommen. “Dann hätten wir rund 50% der Anbaufläche im Tal,” freut sich Johann Tscholl von der Qualitätskontrolle der VI.P. Tscholl ist Lead-Auditor im Zertifizierungsgetriebe im Vinschgau. Er ist der Chef jener, die dann die bäuerlichen Betriebe kontrollieren sollen. Das sind die Auditoren. Interne Kontrolleure. In den Genossenschaften, in der Laaser ALPE/OVEG, in der Schlanderser GEOS, in den Latscher Genossenschaften MIVO und ORTLER, in der Kastelbeller JUVAL, in der Naturnser NOG und in der Partschinser POG sind so genannte Trainer aktiv. Diese sollen den Bauern vor Ort auf die Sprünge helfen. Training für die Bauern.
“EurepGap” ist die Formel von Gegenwart und Zukunft und entscheidend für die Verkaufbarkeit von Obst und Gemüse. Ein weltweites Unterfangen. Euro-Retailer Produce Working Group (Eurep) ist ein englischsprachiges Wortungetüm: Ein Unternehmen zwischen Einzelhandel und Erzeuger. “Gap” ist leichter verständlich: GuteAgrarProduktion. Es geht in Richtung “gläserner Apfel” und “gläserner Betrieb”. Und dahinter stehen große Handelsketten, auch Kunden des Vinschger Apfels: Coop in Schweden, in der Schweiz und in Italien, die Migros in der Schweiz, die Metro in Deutschland, Spar Österreich, mehrere Ketten in Holland und vor allem englische Verteiler. Die werden in Zukunft wohl nur noch EurepGap zertifizierte Ware abnehmen. Interessanterweise gehören zu den EurepGap Unterstützern eine Reihe von internationalen Zertifizierungsinstituten und - viele Pflanzenschutzmittelhersteller, wie etwa die deutschen Chemieriesen BASF und Bayer und der englische Chemiemulti DuPont. Die Bauern in der Falle, eingeklemmt zwischen Konsumentenwunsch nach gläsernem Anbau und Chemiekonzernen. Der Einzelhandel seinerseits verspricht mit der EurepGap zertifizierten Ware dem Konsumenten, dass die geforderten Anbaubedingungen erfüllt sind: von der Rückverfolgbarkeit über die Düngung, vom Pflanzen- bis zum Umweltschutz, von der Gesundheit am Arbeitsplatz und sogar bis ins soziale Umfeld, um nur einen Teil zu nennen. Weltweit sind mit Ende 2003 bereits 445.000 Hektar Anbaufläche für Obst und Gemüse EurepGap zertifiziert.
[F] Durchleuchten [/F]
Der Apfelbauer, will er ein EurepGap Zertifikat, muss seinen Betrieb in 210 Punkten durchleuchten lassen. Bei 47 so genannten “Kritischen Muss-Kriterien” gibt es nichts zu rütteln. Die sind einzuhalten. Beispielsweise muss das Produkt rückverfolgbar sein bis zum Betrieb. Eine Hausfrau in Köln, die in einem Geschäft einen nach den Richtlinien von EurepGap angebauten Apfel kauft, könnte durch Nachfrage erfahren, dass der Golden in Goldrain am Sonnenberg beim Bauern x angebaut worden ist. Oder ein weiteres Muss-Kriterium: Klärschlamm aus Siedlungsabwässern darf keiner ausgebracht werden. Und noch ein Beispiel: Die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln muss nicht nur mit Datum und Spritzmittel geführt, sondern auch mit dem Ort der Ausbringung versehen werden. Hierzu sind Tafeln in Vorbereitung, die jede einzelne Wiese für einen zertifizierten Betrieb mit Nummern kennzeichnen werden. Das Agrios-Programm ist Bestandteil von EurepGap, aber zu wenig. Fleißiger mit den Aufzeichnungen wird der zertifizierte Bauer sein und sich mehr mit Papier und Bleistift beschäftigen müssen.
[F] Mehr als Agrios [/F]
Dann gibt es noch 98 “Nicht kritische Muss-Kriterien”. 5 davon braucht der Bauer nicht einzuhalten. Dann ist er noch im grünen Bereich. Hier wird´s eng. Genau eines dieser Kriterien hat unter den Obstbauern schmunzelnde bis empörte Haltungen hervorgerufen. Unter dem Kontrollpunkt Hygiene findet sich ein “Nicht kritisches Muss-Kriterium”: Haben die Erntearbeiter Zugang zu sauberen Toiletten in der Nähe ihrer Arbeitsstelle? Und das dazugehörige Erfüllungskriterium: “In einem Umkreis von maximal 500 Metern stehen den Arbeitskräften ständige oder mobile Toiletten zur Verfügung, die in einem guten hygienischen Zustand sind.” Gemunkelt wurde schon seit längerem, in den Stuben, in den Gasthäusern. Von Klos mitten in den Apfelwiesen war die Rede. Lächerlich, dann lieber keine Zertifizierung, so viele Bauern. “Dieses Kriterium braucht überhaupt nicht erfüllt zu werden,” so VI.P-Direktor Sepp Wielander. Es sei für große Flächen, wie sie etwa in Amerika zu finden seien, gemacht. Um eine angemessene Lagerstätte von Pflanzenschutzmitteln kommen die Bauern allerdings nicht mehr herum. Bei der “Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sowie sozialen Belangen”, gibt es ganze zwei Muss-Kriterien, und die sind leicht einzuhalten, weil Chefsache: entsprechende Schutzkleidung beim Spritzen und die getrennte Lagerung von Schutzkleidung und Spritzmittel.
[F] Bis ins Klaubermilieu [/F]
Mehrere “Nicht Kritische Muss-Kriterien” treffen das Klaubermilieu. Und da ist möglicherweise Aufholbedarf. Beispiel: “Werden die Unfall- und Notfallpläne von allen Arbeitskräften gut verstanden?” Und beim Erfüllungskriterium findet sich unter anderem: “...Diese Anweisungen sind in der vorherrschenden Sprache der Arbeitskräfte gehalten....” Wollen die Bauern diesen Punkt nicht streichen, werden sie sich um Notfallpläne in tschechischer, polnischer, ungarischer und anderen Sprachen mehr bemühen müssen. Oder ein anderes “Nicht Kritsiches Muss-Kriterium”: “Sind die Unterkünfte auf dem Betriebsgelände bewohnbar und verfügen sie über alle grundlegenden Einrichtungen.” Möglicherweise werden sich einige der Bauern bemühen müssen.
65 Empfehlungen sind im Katalog noch enthalten und so werden sie auch gehandhabt. Erfüllt müssen sie nicht werden.
[F] Quadratwurzel für Bauern [/F]
Insgesamt 500 Betriebsleiter will die VI.P innerhalb diesen Jahres zertifizieren lassen. Die Zahl wurde nach Genossenschaftsanteilen aufgeschlüsselt. Das wären, laut Tscholl, rund 50% der Anbaufläche des Vinschgaus. Gemeldet haben sich mit heutigem Stand 523 Betriebsleiter (siehe Tabelle). Die Bauern und ihre Betriebe werden von den Genossenschaftstrainern vorbereitet. Das ist die erste Hürde, bei der bereits festgestellt werden kann, ob überhaupt Aussicht besteht, die Zertifizierung im heurigen Jahr schaffen zu können. Ist der Bauer imstande, sämtliche geforderten Kriterien bereits im Vorfeld zu erfüllen, kommen die internen Auditoren, welche eine entsprechnde Ausbildung durchlaufen haben und die von der EurepGap-Organisation anerkannt sind. Punkt für Punkt werden die so genannten Kontrollpunkte und die dazugehörigen Erfüllungskriterien gemeinsam mit dem Bauer durchgearbeitet und bei Erfolg entsprechend abgehakt. Erst nach diesem internen Spießrutenlauf werden dann entsprechend ausgebildete und anerkannte Prüfer aus dem Ausland zufällig ausgewählte Betriebe genauestens unter die Lupe nehmen. Die Anzahl der Betriebe, die die auswärtigen Prüfer checken, ergibt sich aus der Quadratwurzel der für die Zertifizierung gemeldeten.
Mit dem EurepGap Zertifikat sind vorerst die Marktqualifikationen erfüllt. “Ab dem Jahr 2007 wird dann differenziert ausbezahlt”, weist Wielander mit “sanftem” Druck auf das VI.P-Ziel hin, innerhalb 2006 eine flächendeckende Zertifizierung im Tal haben zu wollen.
Anzahl der Betreibsleiter, die im Laufe des heurigen Jahres zertifiziert werden sollen
ALPE/OVEG 60
GEOS 121
ORTLER 73
MIVO 58
JUVAL 80
NOG 99
POG 32
Insgesamt haben sich mit Datum 18. März dieses Jahres 523 Betriebsleiter für eine EurepGap Zertifizierung bereit erklärt. Fast in allen Genossenschaften wurde das Plansoll erfüllt. An den Apfelanbaurändern des Tales, in der Laaser ALPE/OVEG und bei der POG in Partschins wurde die geforderte Anzahl an Freiwilligen nicht erfüllt. Ebenfalls in der Kas-telbeller JUVAL haben sich weniger Bauern als von der VI.P gewünscht freiwillig gemeldet.
Erwin Bernhart