Baustelle in Prad in Schweizer Hand

Das “Schweizer Kreuz” mit dem freien Markt

Publiziert in 14 / 2003 - Erschienen am 17. Juli 2003
[K] Mit finanzieller Unterstützung durch EU-Interreg-Programme wird seit über zehn Jahren mit Projekten und Messen versucht, den Grenzabbau voranzutreiben. Unternehmen machten bereits ganz konkrete Schritte über die Grenzen und stellten sich dem größeren Wettbewerb sowie dem neuen Konkurrenzkampf. Doch nicht alle wollten so ohne weiteres auf diesen Zug aufspringen. Das zeigte der plötzliche Aufschrei im hiesigen Bausektor, als eine Schweizer Firma im Vinschgau Fuß zu fassen begann. von Magdalena Dietl Sapelza [/K] Als in den letzten Jahren vereinzelt kleinere auswärtige Firmen damit anfingen, am großen Vinschger Bau-Kuchen zu nagen, sah man es hierzulande noch relativ gelassen. Dass zum Beispiel Schweizer Unternehmen in großem Stil Aufträge annehmen könnten, damit hatte man- nicht zuletzt aufgrund des hohen Preisniveaus jenseits der Grenze-, nicht so schnell gerechnet. Im vergangenen Jahr veränderte sich die Situation allerdings schlagartig. Am 1. Juni 2002 traten die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU in Kraft (siehe Kasten). Die größte Baufirma des Münstertales, Foffa & Conrad, schaffte unmittelbar darauf mit der Gründung eines Firmensitzes in Schluderns die Voraussetzungen, um Bauaufträge im Vinschgau annehmen zu können. Ein weiterer Erfolg aus Interreg-Sicht, möchte man meinen. Doch das sahen lange nicht alle so, zumal das Graubündner Bauunternehmen immer mehr Arbeitsaufträge im Vinschgau zugesprochen bekam. Zu viele in so kurzer Zeit, empfanden einige Vinschger Baufirmen, die sprichwörtlich ihre Felle davon schwimmen sahen. Dem wollten die erhitzten Gemüter nicht tatenlos zusehen. Aus Angst vor härter werdendem Konkurrenzkampf und teils aus Unkenntnis der neuen rechtlichen Lage setzten sie alle Hebel in Bewegung. Hinter der konkurrenzfähigen Preispolitik der Schweizer Baumeister witterten sie Wettbewerbsverzerrungen zu ihrem Nachteil. Ein Protestschreiben mit mehreren Unterschriften erreichte die Vertreter des Landesverbandes der Handwerker, Politiker, die Finanz und Carabinieri, in dem diese aufgefordert wurden, gegen die Schweizer „Invasion“ etwas zu unternehmen. -Für diese allerdings ein unmögliches Unterfangen angesichts der neuen Rechtslage-. Der Schweizer Firma wurde die Nichteinhaltung gesetzlicher Bestimmungen, unter anderem Schwarzarbeit, Mängel bei der Arbeitssicherheit, Nichtentrichtung von Sozialleistungen und dergleichen vorgeworfen. Die Vinschger Mitarbeiter der Firma bezögen außerdem ungerechtfertigt Grenzpendler-Gelder. Vorwürfe, gegen die sich Foffa & Conrad auf Anfrage des "Der Vinschger" vehement zur Wehr setzte und die sie mit Hilfe vorgelegter Dokumente zurückwies. Grenzpendler-Gelder werden zum Beispiel seit acht Jahren keine mehr ausbezahlt. Die hier tätigen Schweizer Firmen unterliegen denselben Bestimmungen wie die hiesigen. "Wir machen alles regulär, Sozialleistungen werden gemäß der bilateralen Verträge entrichtet, wir zahlen unsere Steuern und werden sicher nicht weniger kontrolliert", betonte Josef Trafoier (siehe Interview), der die Forderung nach Protektion nicht nachempfinden kann. Das Brodeln in Unternehmerkreisen rief den LVH Bezirks- und Interregio-Präsidenten Robert Koch Waldner auf den Plan. Als Befürworter der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Promotor vieler diesbezüglicher Projekte, war er nun gefordert, den "Feuerwehrmann" zu spielen. Er versuchte durch Aufklärungsarbeit die Wogen zu glätten. Obwohl er zur Grenzöffnung steht und für die gesamte Wirtschaft dadurch langfristig Vorteile sieht, zeigte er dem "Der Vinschger" gegenüber Verständnis für die aufgebrachten Unternehmer. Veränderungen dieser Art entlockten den Vinschger Wirtschaftstreibenden sicher keine Freudenschreie, doch, so Koch Waldner weiter, es gelte zukünftig für die Unternehmer, sich dieser Herausforderung zu stellen. Allerdings seien die Voraussetzungen noch nicht für alle gleich, erklärte er weiter. „Unsere Unternehmer haben im Vergleich zu den Schweizern das Handicap, dass hier die Lohnnebenkosten viel zu hoch sind, daran muss sich unbedingt etwas ändern, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und vorzubeugen, dass jemand auf der Strecke bleibt.“ Befürchtungen, wonach im Zuge von Expansionsplänen der Schweizer Firmen auch Fachkräfte von hier abgezogen werden könnten, sind durchaus ernst zu nehmen. Immerhin verdienen Arbeiter eben wegen der geringeren Nebenkosten in der Schweiz noch 25 Prozent mehr als jene im Vinschgau. Nach Koch Waldners Intervention wurden einige Protestunterschriften dann zwar zurückgezogen, doch das Unbehagen blieb. Es macht deutlich, dass neue Ideen und Visionen von freien Märkten über Grenzen hinweg noch lange nicht in allen Köpfen Einzug gehalten haben und noch Zeit brauchen, um richtig Fuß zu fassen. Die Vorteile, selbst zu expandieren, werden gerne angenommen, doch anders herum hat man oft Probleme damit und will das Terrain verteidigen. Größere Märkte bedeuten größere Möglichkeiten aber auch größere Konkurrenz. Es liegt an den Unternehmen selbst, nach neuen Marktstrategien zu suchen, um konkurrenzfähig zu sein. All zu leicht kann enormes Bauvolumen, wie es zum Beispiel im Vinschgau bislang noch der Fall ist, Unternehmen in punkto Ideen und Gewinnspannen träge beziehungsweise unflexibel machen. Die Inerregio 2003 bietet derzeit die beste Gelegenheit, diese Gedanken aufzugreifen und grenzüberschreitend zu diskutieren. [F] Richtlinien [/F] Die bilateralen Verträge zwischen der Europäischen Union und der Schweiz traten am 1. Juni 2002 in Kraft. Sie enthalten unter anderem folgende Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in den EU-Raum: „Die Entsendung aus der Schweiz nach Italien wird analog zur Entsendung aus einem EU-Mitgliedstaat geregelt.“ Somit ist die Schweiz den EU-Staaten gleichgestellt. Die EU-Richtlinien wurden in Italien im Legislativdekret vom 25. Februar 2000 übernommen. [F] “Wir haben eine Daseinsberechtigung” [/F] Der Vinschger: Ihre Firma hat nach dem Inkrafttreten der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU im Vinschgau einen Firmensitz errichtet und bereits mehrere Bauaufträge angenommen. Geht Ihnen in der Schweiz die Arbeit aus? Josef Trafoier: Tatsache ist, dass die die Bauaufträge im Münstertal zurückgegangen sind. Die meisten Infrastrukturen sind ausgebaut. Aufträge im Vinschgau ermöglichen es uns nun, in unserer Firma weiterhin Vollbeschäftigung für unsere 150 Mitarbeiter zu garantieren. Davon sind immerhin 80 aus dem Vinschgau. Gerade ihretwegen haben wir wohl unsere Daseinsberechtigung. Und, warum soll die Arbeitsbeschaffung nicht dort erfolgen, wo die Arbeiter wohnen und Materialien eingekauft werden? Allerdings werden wir den Markt in der Schweiz nicht vernachlässigen und nur dann hierher kommen, wenn es für unser Arbeitsvolumen erforderlich ist. Bislang führen Sie im Vinschgau Bauaufträge Privater aus. Könnten Sie sich vorstellen, in nächster Zukunft auch öffentliche Bauten zu übernehmen? Der Wunsch ist da. Derzeit laufen dazu Abklärungen. Unsere Betriebsgröße und Erfahrung macht es uns in jedem Fall möglich, größere Objekte zu übernehmen. Warum kann eine Schweizer Firma trotz des höheren Lohnniveaus in punkto Preis mit hiesigen konkurrieren? Auch wir kochen nur mit Wasser. Die Schweiz hat in Jahren der Rezession gelernt, effizienter und ohne jeglichen Leerlauf zu arbeiten und mit weniger Geld auszukommen. Was sagen Sie zur Aufregung einiger Vinschger Bauunternehmer? Wenn mehrere von einem Kuchen essen, werden die Stücke kleiner. In Zukunft wird gesunder Konkurrenzkampf innerhalb größerer Räume stattfinden und es ist gut so. Im Münstertal und Engadin leben wir schon lange damit, dass Vinschger Unternehmer aktiv sind. Auch Österreichische Baufirmen arbeiten an Großaufträgen, zum Beispiel in St. Moritz. Kein Mensch hat bisher nach Protektionismus gerufen. Wettbewerb über Grenzen hinweg wird sich zukünftig nicht mehr verhindern lassen. Wenn man die Öffnung vorantreibt, muss man sie auch zulassen. Es gibt zum Glück zahlreiche Vinschger Unternehmen, die der ganzen Sache offen gegenüber stehen. Eines sei grundsätzlich betont: Es darf nicht sein, dass nach Jahren mit Interreg und Interregio mit dem Motto "grenzenlos" die wirtschaftliche Zusammenarbeit nur in eine Richtung geht, nämlich über die Grenze und nie zurück. Interview:
Magdalena Dietl Sapelza

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