Das Motto „Mir Lond, und es Gemeindn“ muss fallen
Publiziert in 14 / 2007 - Erschienen am 18. April 2007
Energie, Finanzautonomie der Gemeinden, Vertragsurbanistik, Mandatsbeschränkung, ICI-Zahlungen seitens der Genossenschaften. Dies sind nur einige der Themen und Anliegen, die den Gemeinden in Südtirol unter den Nägeln brennen. Seit dem 7. Dezember 2005 steht Arnold Schuler, Bürgermeister der Kleingemeinde Plaus, dem Gemeindenverband als Präsident vor. In einem Gespräch mit dem „Vinschger“ zieht Arnold Schuler eine erste Bilanz.
„Der Vinschger“: Abgesehen vom jährlichen Bürgermeistertreffen ist der Gemeindenverband früher kaum öffentlich in Erscheinung getreten. Ist es eine Unterstellung zu behaupten, dass sich der Gemeindenverband seit Ihrem Amtsantritt stärker für die Interessen der Gemeinden einsetzt?
Arnold Schuler: Der Verwaltungsrat des Gemeindenverbandes und ich als Präsident haben schon bei unserem Amtsantritt erklärt, die Rolle der Gemeinden stärken und das Distanzverhältnis Land-Gemeinden abbauen zu wollen. Beim Land liegt derzeit noch viel zu viel Gewicht, bei den Gemeinden viel zu wenig. Dass unser Bestreben, die Rolle der Gemeinden aufzuwerten, auch in der Öffentlichkeit einen entsprechenden Niederschlag finden soll und muss, liegt auf der Hand.
„Der Vinschger“: Jetzt ist es das Land, das die Stromkonzessionen vergibt. Der Vinschgau hat mit seinem „Stromkrieg“ Geschichte geschrieben. Für die Gemeinden des Einzugsgebietes der Reschenstauseekonzession konnten der Grauner Bürgermeister Albrecht Plangger und seine Mitstreiter eine Beteiligung von 8 Prozent erstreiten. Heuer steht die Vergabe weiterer Großkonzessionen an. Welchen Standpunkt vertritt der Gemeindenverband dem Land bzw. der Landesenergiegesellschaft SEL gegenüber?
Arnold Schuler: Ich glaube, dass wir jetzt die historische Chance haben, die Energie und natürlich auch möglichst viel der damit verbundenen Wertschöpfung heimzuholen. Das ist genau das, was sich das Land und die Gemeinden, also alle Bürger, seit Jahrzehnten wünschen. Das Gefühl aber, dass die Energie jetzt tatsächlich „uns“ gehört, ist bei den Bürgern und in den Gemeinden derzeit überhaupt nicht oder höchstens in sehr eingeschränktem Ausmaß zu verspüren. Das Land und die SEL sind im persönlichen Empfinden vieler Bürger viel zu weit weg. Dasselbe Problem stelle ich auch mit dem Übergang ehemaliger Militäranlagen fest. In Rom wurde zwar der Übergang der Liegenschaften erreicht, das Gefühl aber, dass damit altes Unrecht wieder gut gemacht wird, bleibt aus. Es ist ein Jammer, dass solche Chancen nicht besser genutzt werden, und ich bin überzeugt, dass da auch politisch einiges schief gelaufen ist.
„Der Vinschger“: Bei der Stromproduktion geht es um „horrende“ Geldsummen und Gewinne. Wie stark wollen bzw. können die Gemeinden da „mitnaschen?“
Arnold Schuler: Zusätzlich zum soeben genannten richtigen Gefühl erhoffen sich die Gemeinden von der Stromproduktion künftig natürlich auch größere finanzielle Einnahmen. Diese Einkünfte sollen einen Teil der finanziellen Ausstattung der Gemeinden bilden. Dies wiederum würde die Autonomie der Gemeinden steigern.
„Der Vinschger“: Rom will dem Land künftig Finanzmittel streichen und Sie fordern vom Land die Finanzautonomie der Gemeinden. Wie geht das zusammen?
Arnold Schuler: Ein Föderalismus im Finanzwesen ist für eine gesunde Entwicklung der Gemeinden unerlässlich. Die Schaffung einer finanziellen Autonomie der Gemeinden ist eines der wichtigsten Ziele, die der Gemeindenverband zurzeit verfolgt. Von unserem Ziel, dass die Gemeinden selbst über bestimmte Einnahmen verfügen und selbst bestimmen können, wie sie die Geldmittel verteilen, sind wir derzeit noch meilenweit entfernt. Bei den Investitionen ist es nach wie vor so, dass die Gemeinden in der Regel nur rund 10 Prozent aufbringen können und so gezwungen sind, den Großteil der Kosten mit Beiträgen des Landes bzw. mit Darlehen abzudecken.
„Der Vinschger“: Wie kann sich das ändern?
Arnold Schuler: Was wir in Zukunft brauchen, ist eine klare Regelung. Ein weit reichender Änderungsvorschlag, an dem wir derzeit arbeiten, ist einerseits die Neuregelung des Kriteriums der Pro-Kopf-Quote. Aufgrund des derzeit geltenden Kriteriums wird für die Geldzuweisungen seitens des Landes ausschließlich die Einwohnerzahl berücksichtigt. Das muss sich radikal ändern, denn es müssen zum Beispiel auch der Finanzbedarf und viele weitere Eigenheiten und Besonderheiten einer Gemeinde berücksichtigt werden.
Andererseits suchen wir nach Kriterien für eine möglichst gerechte Zuweisung der Investitionsmittel.
„Der Vinschger“: Was würde sich dadurch konkret ändern, zum Beispiel beim Bau einer Schule oder eines Sportplatzes?
Arnold Schuler: Zurzeit ist es so, dass man ein Projekt macht, dass man sich dann auf die Suche nach Geldmitteln begibt, und dass man dann baut. Wenn die Gemeinden aber eines Tages damit werden rechnen können, dass sie selbst über bestimmte Geldmittel verfügen und sich nicht mehr von Fall zu Fall wegen der Finanzierung eines Vorhabens die „Haxn ausrennen“ müssen, ändert sich die Sachlage grundlegend. Die Gemeinde kann eine Mehrjahresplanung machen und Prioritäten setzen. Nicht zuletzt wird dadurch auch der Gemeinderat aufgewertet, denn er wird gefordert sein, darüber zu entscheiden, wann, wie und mit wie viel Geld welches Projekt gebaut wird. Derzeit ist es fast immer so, dass sich die Entscheidungen der Gemeinden nach der jeweiligen Verfügbarkeit der Finanzmittel des Landes ausrichten müssen. Ich bin daher überzeugt, dass eine Finanzautonomie den Gemeinden viele neue Spielräume eröffnet und dass sie zugleich zu viel mehr direkter Demokratie auf Gemeindeebene führt.
„Der Vinschger“: Die finanzielle Lage mancher Gemeinden, auch einiger im Vinschgau, ist nicht allzu rosig. Die Verwalter sehen sich nicht selten zu „Bittgängen“ nach Bozen gezwungen. Ist es nicht ein Südtiroler Spezifikum, dass man um Steuergelder betteln muss?
Arnold Schuler: Eine Situation wie wir sie hier bei uns haben, ist sonst nirgends mehr zu finden. Abhilfe schaffen kann da nur eine finanzielle Autonomie der Gemeinden.
„Der Vinschger“: Eng mit den Finanzen ist auch das Thema verknüpft, das noch nie ausgestanden ist und das vor allem von den Bauern mit größter Aufmerksamkeit verfolgt wird, nämlich jenes der ICI-Zahlungen seitens der Genossenschaften. Sollten die Genossenschaften von der ICI befreit werden, müssten nicht wenige Gemeinden im Vinschgau mit Rückzahlungen bzw. künftigen Mindereinnahmen in Höhe von mehreren 100.000 Euro rechnen. Wie ist der derzeitige Stand der Dinge? Stimmt es, dass es zwischen Meran und Schlanders unterschiedliche Katasterbewertungen gibt?
Arnold Schuler: Bei den Katasterbewertungen hat es tatsächlich Unterschiede zwischen Meran und Schlanders gegeben. Diese Sache ist jetzt aber geklärt. Das Katasteramt Schlanders muss die Werte anpassen. In der Sache selbst kann ich nur sagen, dass die Gemeinden bisher in beiden zuständigen Gerichtsinstanzen gewonnen haben. Die Frist für weitere Rekurse läuft noch bis zum Juni. Wie letztendlich das Kassationsgericht oder gar der Oberste Richterrat in Rom entscheiden wird, steht in den Sternen und wird natürlich mit größter Spannung erwartet. Wir als Verband haben uns in dieser Sache von Anbeginn an ganz klar auf die Seite der Gemeinden gestellt. Wenn jemand glaubt, dem sei nicht so, weil ich als Gemeindenverbandspräsident selbst Bauer bin, liegt völlig falsch. Wann genau es zur endgültigen Entscheidung kommen wird, kann derzeit noch niemand sagen. Fest steht, dass das letztinstanzliche Urteil von gewaltiger Tragweite sein wird, am meisten für die Gemeinden des Vinschgaus von Partschins aufwärts, denn im Vinschgau befinden sich viele und große Obstgenossenschaften.
„Der Vinschger“: Eine der Möglichkeiten, die Gemeinden aufzuwerten, sehen Sie in der Vertragsurbanistik.
Arnold Schuler: Die Vertragsurbanistik wird die Gemeinden mit Sicherheit aufwerten. Wir haben uns diesbezüglich mit dem Land auf einen akzeptablen Kompromiss einigen können. Im Mai wird der Landtag entscheiden. Massiv kritisiert haben wir als Verband, dass im Zuge des Wohnbaugesetzes sozusagen durch die Hintertür Einkaufszentren entstehen könnten. Auch hier ist unsere Position klar und eindeutig: Ja zu einem einzigen Einkaufszentrum in Bozen und Nein zu größeren Einkaufszentren in jedem Bezirk. Es kann unmöglich im Interesse der Gemeinden liegen, dass gewachsene Geschäfte in den Gemeinden schließen müssen.
„Der Vinschger“: Wenn es bei der Mandatsbeschränkung für die Bürgermeister und Gemeindereferenten bleibt, wird im nächsten Jahr das Interesse der Bürgermeister für den Landtag sicher groß werden. Auch Sie fallen zusammen mit vielen weiteren Kollegen der Beschränkung zum Opfer. Wollen auch Sie in den Landtag?
Arnold Schuler: Wenn es bei dieser Beschränkung bleibt, muss sie auch für alle anderen politischen Ebenen, sei es Bozen oder Rom, eingeführt werden. Es kann doch nicht sein, dass nur wir Gemeinden als „Alibi“ für eine politische Erneuerung herhalten müssen. Werden daher die „höheren“ Ebenen ausgespart, soll die Mandatsbeschränkung auch auf Gemeindeebene fallen. Seit der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister sorgt der Bürger ohnehin für mehr Wechsel. Ich selbst habe keine Ambitionen, in den Landtag zu wechseln, und zwar vor allem deshalb nicht, weil eine Kandidatur meine Position als Gemeindenverbandspräsident schwächen und mich in der Verfolgung der Ziele, die ich mir beim Amtsantritt auf die Fahne geschrieben habe, behindern würde. Kurzum: Ich wäre nicht mehr frei genug, mich ausschließlich um die Stärkung der Rolle der Gemeinden zu kümmern.
„Der Vinschger“: Wenn man das Ringen und Kämpfen des Gemeindenverbandes etwas genauer beobachtet, entsteht der Eindruck, als sei das Land, sprich der Landeshauptmann, zu stark. Ein Trugschluss?
Arnold Schuler: Tatsache ist, dass es zwischen Land und Gemeinden eine nicht unerhebliche Distanz gibt. In Trient zum Beispiel sitzen über 10 Bürgermeister im Landtag, in Südtirol keiner. Während in unserem Landtag die verschiedensten Interessensgruppen vertreten sind, verfügt der Gemeindenverband dort über kein Sprachrohr. An einer Änderung dieses Umstandes haben wir zu arbeiten. Schließlich arbeiten das Land und wir im Interesse derselben Bürger. Das Motto „Mir Lond, und es Gemeindn“ kann und darf nicht weiterhin aufrecht bleiben.
Interview: Sepp Laner
Josef Laner