Das Leben danach
Vor vier Jahren hat der damals erst 44-jährige Michael Kössler einen Schlaganfall erlitten. Seitdem ist nichts mehr so, wie es einmal war. Dennoch, der Schlanderser und seine Familie blicken nach vorne.
Schlanders - 5. Jänner 2013. Es war ein Samstag, der das Leben von Michael Kössler und seiner Lebensgefährtin Michaela Stillebacher für immer verändern sollte. Ein Schlaganfall wie aus heiterem Himmel traf Michael und seine ganze Familie. Spricht man mit Michael heute, fällt es ihm schwer, darüber zu reden. Überhaupt fällt das Reden schwer. Sprache und Sprachverständnis, Dinge, die der heute 48-Jährige von Grund auf neu erlernen musste. Aber Michael erzählt gerne. Er gibt sich Mühe beim Erzählen. Und er spricht erstmals öffentlich über seinen harten Schicksalsschlag. Ein Schicksalsschlag, der ihn, seine heute 47-jährige Lebensgefährtin Michaela Stillebacher und ihre beiden gemeinsamen Kinder Hannah (13) und Aaron (9) mitten in einem glücklichen Leben getroffen hat.
Taubheitsgefühl
„Ich erinnere mich noch gut an jenen Samstag. Wir waren mittags bei Bekannten in der Schweiz eingeladen. Michael hatte Kopfschmerzen. Als wir daheim in Schlanders ankamen, wurden diese Schmerzen schlimmer. Ich weiß es noch ganz genau. Er stand hier in der Küche und griff sich mit der Hand zur Lippe. Er hatte ein Taubheitsgefühl“, blickt Michaela zurück. Aufgrund der besorgniserregenden Situation machte sich das Paar auf den Weg in die Erste Hilfe. Dort der schlimme Verdacht: Schlaganfall. Anfangs nur ein Verdacht. Michael wurde stationär aufgenommen. „Das weiß ich noch. An danach erinnere ich mich nicht“, sagt Michael und seufzt. Müde habe er sich gefühlt. Dann schwarz vor Augen. Im Krankenhaus kam es zum Schlaganfall. Michael wurde nach Bozen verlegt und dort behandelt. „Es war unfassbar. Im Krankenhaus wurde mir gesagt, es konnte zwar Schlimmeres verhindert werden, aber er wird nicht ohne Beeinträchtigungen davon kommen. Das war ein Schock“, sagt Michaela.
„Das war ein Schock“
Langsam, erst in den folgenden Tagen realisierte Michael selbst, was mit ihm geschehen war. Sprechen konnte er anfangs gar nicht. Michael hatte infolge des Schlaganfalls eine globale Aphasie erlitten, so der Terminus in der Fachsprache der Ärzte. Aufenthalte in Krankenhäusern und Therapiezentren folgten. Langsam, langsam trat eine Verbesserung ein. Ende Mai nach einem zweimonatigen Aufenthalt in München ging es zurück nach Hause. „Der Weg zurück ins Leben war ein schwieriger. Ein langer“, so Michael. Ein langer Weg, den er noch heute geht.
Herausforderungen des Alltags
Auf den ersten Blick wirkt Michael wie ein ganz normaler Mann Ende 40. Zunächst deutet nichts auf den Schlaganfall hin, den er erlitten hat. Erst im Gespräch zeigt sich, welchen Herausforderungen er sich täglich stellen muss. Eine kleine staatliche Rente reicht zum Leben. Michaels Invaliditätsgrad liegt bei 100 Prozent. Obwohl er körperlich gesund aussieht, fallen ihm oft einfachste Dinge schwer. Einer Arbeit nachzugehen ist so nicht möglich. Das Sprechen und Verstehen sind nach wie vor ein großes Problem. Früher hatte Michael eine leitende Funktion in einer Versicherungsagentur.
Extreme Situation
Dabei würde Michael gerne arbeiten. Im Handwerk ist er geschickt. Kleinere Arbeiten führt er daheim aus. Er kocht und sorgt für die Kinder, während seine Frau ihrer Arbeit nachgeht. „Anfangs war es schon auch für die Kinder eine extreme Situation. Der Tata, der plötzlich ganz anders war“, sagt Michael traurig. Nach und nach lernte die ganze Familie mit der Situation umzugehen. Eine große Stütze war ihm stets seine Michaela. Seit nunmehr 20 Jahren ist das Paar zusammen. Die Herausforderungen des Alltags meistert Michael heute flott. Dennoch ist es oft alles andere als einfach. „Behördengänge, Bürokratie, Arztvisiten – das alles kann ich leider nicht alleine bewältigen“, weiß er.
Selbsthilfegruppe
Auftrieb gibt Michael heute auch die Selbsthilfegruppe. Eine Gruppe, die er gemeinsam mit der Meranerin Alexandra Thies ins Leben gerufen hat. Die heute 42-jährige „Sandy“ hat vor zwei Jahren einen Schlaganfall erlitten. „In der Gruppe kann man sich mit Gleichbetroffenen treffen, sich kennenlernen und gegenseitig unterstützen. Sich informieren, austauschen und gemeinsam schöne Momente erleben“, schwärmt Michael.
„Dir fehlt doch nicht viel“
Zwar sind in erster Linie ältere Menschen ab 60 von Schlaganfällen betroffen, aber auch jüngere trifft es immer häufiger. Fünf bis zehn Prozent der Schlaganfälle treffen heute Menschen unter 50 Jahren. Allein in Südtirol gibt es im Jahr rund 1.000 Schlaganfälle. Eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Berufstätig, mitten im Leben stehend, ist dann plötzlich nichts mehr wie zuvor. Lähmungen, Gleichgewichts- oder Sprachstörungen, Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Depressionen, Berufsunfähigkeit, finanzielle Sorgen. Verständnis für ihre Situation erfahren die Betroffenen nicht immer. „Gut schaust du aus“, hören sie oft, und dabei schwingt mit: „Eigentlich kann dir nicht viel fehlen“. Doch weit gefehlt. „Es wäre oft schön, mehr Verständnis für die Situation zu erfahren“, betont auch Michael.
Die Kinder aufwachsen sehen
Was sich Michael für die Zukunft wünscht? „Es wäre schön, wenn es weiterhin etwas aufwärts geht. Und man etwas vom Leben hat. Ich möchte meine Kinder gesund und glücklich aufwachsen sehen. Sehen, wie sie zu selbstständigen Menschen heranwachsen.“ Für Michael sind dies die größten Träume in seinem „neuen“ Leben, seinem Leben nach dem Schlaganfall.
Infos
Die Selbsthilfegruppe
Treffen der Selbsthilfegruppe für Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma finden monatlich, in der Regel jeden ersten Donnerstag, regelmäßig von 15 Uhr bis 17 Uhr in Meran, in der Tagesstätte, Otto-Huber-Straße 8, statt. Interessierte Betroffene sind herzlich eingeladen daran teilzunehmen. Kontakt und Info bei Sandy unter Tel. 339 7742754. AM