„Dann muss Südtirol in Rom klar sagen, dass...“

„Dann muss Südtirol in Rom klar sagen, dass...“

Publiziert in 32 / 2015 - Erschienen am 16. September 2015
Der Fürst von Liechtenstein über Südtirol, direkte Demokratie, Flüchtlinge und das Bankgeheimnis im Fürstentum Liechtenstein. Schlanders - Wie berichtet, ­stattete der Fürst von Liechtenstein, Hans-Adam II., der Gemeinde Schlanders am 5. September auf Initiative der Vinschger Schützen und in Zusammenarbeit mit der Gemeinde einen offiziellen Besuch ab. der Vinschger hatte die Gelegenheit, mit dem Fürsten ein exklusives Interview zu führen. der Vinschger: Herr Fürst Hans-Adam, können Sie sich vorstellen, dass Südtirol vom Staat Italien Abschied nimmt und eigenständig wird? Wenn ja, wie könnte das geschehen? Hans-Adam II.: Vorstellen kann ich mir das grundsätzlich schon. Allerdings ist es Rom, das hierüber eine Entscheidung treffen müsste. Andererseits bin ich der Meinung, dass der hohe Grad an Autonomie, den Südtirol erreicht hat, zwar nicht mit einer vollständigen Eigenständigkeit gleichzusetzen ist, in der Praxis aber kann sich Südtirol dank vieler Zuständigkeiten weitgehend selbst verwalten. Um weitere Konflikte zu vermeiden, könnte die Autonomie noch weiter ausgebaut werden. Viele Südtiroler möchten aber vom italienischen Staat ganz loskommen. Dann muss Südtirol in Rom klar sagen, dass es sich vom Staat verabschieden will. Ob das zum Ziel führt, bleibt natürlich offen. Auf jeden Fall sollten beide Seiten eine einvernehmliche Lösung anstreben. Den „Luxus“ von Bürgerkriegen darf sich niemand mehr leisten. Entscheidungen sollten nicht mehr mit der Waffe in der Hand auf dem Schlachtfeld herbeigeführt werden, wie wir das im 20. Jahrhundert immer wieder erlebt haben, sondern mit dem Stimmzettel in der Hand an der Wahlurne. Könnte Südtirol als kleines und eigenständiges Land in Europa wirtschaftlich und politisch überleben? Liechtenstein erstreckt sich auf nur 160 km², während Südtirol 7.400 km² umfasst. Wie ich beim Besuch hier in Schlanders erneut bestätigt bekam, fußt die Wirtschaft auf mehreren Standbeinen. Ihr habt eine wunderbare Natur- und Kulturlandschaft. Die Lebensqualität ist hoch. Angesichts dieser und weiterer Aspekte könnte ich mir durchaus vorstellen, dass Südtirol als eigenständiges Land in Europa gut überleben ­könnte. Auch was die Einwohnerzahl betrifft, ist Südtirol im Vergleich zu Liechtenstein, wo weniger als 40.000 Menschen leben, um ein Vielfaches größer. Was halten Sie von der Europaregion Tirol? Ich halte die Europaregion für ein vernünftiges Konzept. Wir haben als Kleinstaat seit jeher versucht, mit angrenzenden Staaten bzw. Regionen Verbindungen einzugehen, vor allem wirtschaftlicher Natur. Es gab Zollverträge mit Österreich und der Schweiz. Bereits unter meiner Führung trat Liechtenstein 1990 den Vereinten Nationen bei und 1995 dem Europäischen Wirtschaftsraum. Die direkte Demokratie steckt in Südtirol noch in den Kinderschuhen. Wie demokratisch ist in diesem Sinne das Fürstentum Liechtenstein? Die direkte Demokratie ist in der Schweiz und in Liechtenstein sehr tief verwurzelt. Wir haben mittlerweile eine stark ausgebaute Form der direkten Demokratie auf Landesebene und auf der Ebene der Gemeinden. So hat die Bevölkerung von Liechtenstein neben den üblichen direkt-demokratischen Rechten, wie sie die Schweiz kennt, zusätzlich die Möglichkeit, mit einer einfachen Stimmenmehrheit die Monarchie abzuschaffen oder dem Fürsten das Misstrauen auszusprechen. Außerdem kann jede unserer elf Gemeinden jederzeit aus dem Staatsverbund austreten, sofern die Bevölkerung das per Abstimmung mit einfacher Mehrheit entscheidet. Sie sagen, dass der Staat den Menschen dienen soll und nicht die Menschen dem Staat. Soll ein Staat auch den vielen Flüchtlingen dienen, die seit Jahren nach Europa flüchten? Ja, auch das kleine Liechtenstein hat in der Vergangenheit immer wieder Flüchtlinge aufgenommen. Soweit ich weiss, haben wir 25 Syrier aufgenommen, aber natürlich muss in so einem kleinen Land die Anzahl politisch noch verkraftbar sein. Glauben Sie, dass sich in Europa neue Staaten bilden werden? Stichwort Katalonien oder Schottland? Wir haben in der Geschichte schon oft erlebt, wie neue Staaten entstanden und alte zerfallen sind. Die Frage ist, ob ein zentralistisch ausgerichteter Staat einem Austritt bestimmter Gebiete oder Regionen zustimmt, und ob das die betroffene Bevölkerung will. Ist ein Beitritt von Liechtenstein zur EU kein Thema? Wir sind froh, dem Europäischen Wirtschaftsraum anzugehören. Dadurch haben wir Zugang zum europäischen Markt. Ein Beitritt ist derzeit aber nicht unser Ziel. Seit 2004 ist Ihr Sohn, Erbprinz Alois, Ihr Stellvertreter, während Sie sich verstärkt der Verwaltung des Vermögens des Fürstenhauses widmen. Darf man fragen, wie vermögend das Fürstenhaus ist? Fragen darf man schon, aber eine Antwort darauf ist schwierig. Zum Unterschied von anderen vermögenden Familien sind unsere Betriebe nicht an der Börse quotiert. Selbst bei den Familien, deren Unternehmen an der Börse quotiert sind, fällt eine Bewertung schwer, wie die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte gezeigt hat. Ein Unternehmen kann, aus welchen Gründen auch immer, innerhalb kurzer Zeit seinen Wert verlieren und in Konkurs gehen. Wenn von Liechtenstein die Rede geht, fallen immer zwei Worte: Steuer­oase und Bankgeheimnis. Wie ist es um diese zwei Dinge im Fürstentum derzeit bestellt? Wir sind eine Steueroase, wenn man uns mit den Steuerwüsten vergleicht, die es leider in Europa, aber auch in der Welt, noch gibt. Das Bankgeheimnis wurde in der Schweiz und in Liechtenstein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeführt, um politisch Verfolgte zu schützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Flucht zu finanzieren und eine neue Existenz aufzubauen. Glücklicherweise hat sich die politische Situation in Europa in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich gebessert, so dass Menschen nicht mehr aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgt werden. Gleichzeitig ist der Druck gestiegen, sowohl in Europa als auch außerhalb Europas, das Bankgeheimnis in Steuerfragen abzuschaffen, da es je länger desto mehr dazu benützt wurde, Steuern zu hinterziehen. Sowohl Liechtenstein als auch die Schweiz haben das Bankgeheimnis in Steuerfragen weitgehend abgeschafft. Interview: Sepp Laner
Josef Laner

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