Auf dem Hintern die Merkel
Publiziert in 4 / 2008 - Erschienen am 6. Februar 2008
Das JuZe Naturns organisierte am 25. Januar eine Informationsveranstaltung rund um das Thema Tätowierungen. Spannende Sache, dachte der „Vinschger“. Oder lagen wir falsch? Kein Jugendlicher kam, um die Tätowierer und „Aficionados“ der epidermen Zeichenkunst, Fabian Langes und Manuel Winkler, zu befragen. Langes betreibt seit drei Jahren „Clockwork Tattoos“ in Naturns, Winkler ist seit eineinhalb Jahren mit für die Kunst an der Haut verantwortlich. Die beiden 26-Jährigen gaben also anstelle der Jugend dem „Vinschger“ Auskunft über Schmerz und Schönheit, Skizzen und Schwachsinn.
„Der Vinschger“: Um mit der Tür ins Haus zu fallen: Tut‘s weh?
Fabian Langes: Ja. Allerdings ist der Schmerz von Mensch zu Mensch verschieden, es gibt Stellen, über den Rippen oder dem Bauch, die sehr schmerzhaft sein können.
Wer kommt alles, um sich tätowieren zu lassen?
Fabian Langes: Unsere Kundschaft ist im Alter von 16 bis 65. (16- und 17-Jährige brauchen die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten. Anm. d. Red.). Während einige eine fixe Idee schon im Kopf haben, wollen andere ein Tattoo, wissen aber noch nicht genau, welches Motiv. Das ist ganz verschieden.
Modetrends?
Fabian Langes: Chinesische Zeichen sind voll in Mode, das Arschgeweih ist out. Viele wollen Tribal-Motive, also Maori und polynesische Zeichnungen, aber auch ganz verrückte Sachen wie besoffene Katzen und vollgekiffte Hasen. Jedes Motiv wird für den Kunden gestaltet, wir machen nichts doppelt. Selbst dann nicht, wenn es den Kunden egal wäre. Uns ist es nicht egal.
Welchen Vorschriften unterliegt ein Tätowierungstudio in Südtirol?
Fabian Langes: Die Hygienevorschriften sind sehr streng. Das Hygieneamt macht einen Lokalaugenschein, bevor ein Studio eröffnet wird.
Tattoos sind seit den 90er Jahren weit in den Mainstream gerutscht. Schauen die Leute noch auf Ihre Tattoos?
Manuel Winkler: Ja, schon noch. Serien wie DMAX haben allerdings viel dazu beigetragen, dass immer mehr Leute Tattoos wollen.
Ihre eigenen Tätowierungen, warum zieren sie Ihre Haut?
Winkler: Als Verschönerung des Körpers.
Fabian Langes: Das liegt zwischen Gefallen und Sinn; einige gefallen mir vor allem deswegen, weil sie eine Bedeutung für mich haben, andere sind einfach Verschönerung.
Fragen Sie nach dem „Warum?“ Ihrer Kunden?
Fabian Langes: Nein, das ist zu privat, wir wollen das gar nicht wissen. Es gibt Ausnahmen, als sich beispielweise jemand Jesus tätowieren ließ, fragte ich schon nach. Ich wollte wissen, ob es ein religiöser Mensch war, oder ob es einen anderen Grund gab.
Und?
Fabian Langes: Er war religiös. Es gibt auch viele, die ein Tattoo wollen, weil es Mode ist. Ich habe ein Aktion angeboten, dass ich L. Bundy von „Eine schreckliche Familie“, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und den deutschen Kabarettisten und Schauspieler Karl Dall gratis auf die Handfläche tätowiere. Jetzt fehlt nur noch Karl Dall. Angela Merkel ziert als Karikatur einen Hintern.
Was muss man beachten, bevor man sich ein Tattoo stechen lässt?
Fabian Langes: Gesund muss man sein, keine Infektionskrankheiten, Herzfehler usw. haben. Ausgeschlafen sollte man sein, etwas essen sollte man vorher. Keine Drogen, kein Alkohol zu sich nehmen. Frauen dürfen nicht schwanger sein. Ansonsten sollte man sehr überzeugt sein von der Tätowierung und besonders junge Menschen sollten etwas Zeitloses wählen.
Gibt es Tattoos, die Sie nicht stechen?
Fabian Langes: Politsche Tattoos aller Art. Da ich keine Hakenkreuze steche, mache ich auch keinen Hammer und Sichel. Lippeninnenseiten oder Zunge machen wir auch nicht. Das ist totaler Schwachsinn, hält nicht und ist gefährlich.
Ihre Ziele für die eigene Haut?
Manuel Winkler: Voll. Natürlich mit Sachen, die mir gefallen.
Voll? Also auch das Gesicht?
Manuel Winkler: Nein, das nicht. Nein! Halt, das kann ich jetzt noch nicht sagen...
Interview:
Katharina Hohenstein
Kunst und Kult am Körper
Wer hat es wann gemacht? Wie haben sie es getan? Was war freiwillig, was aufgezwungen? Wieso machen sie es? Ausgehend vom wahrscheinlich ältesten Tätowierten der Menschheit, dem weltbekannten Ötzi, geht bis einschließlich 18. Mai das Archäologie-Museum in Bozen diesen Fragen mittels der Ausstellung „Hautzeichen“ nach.
Von Katharina Hohenstein
„Das ganze Museum ist nur gemacht, um Tätowieren gesellschaftlich akzeptabel zu machen.“ Die lakonisch-ironische Bemerkung des US-amerikanischen Touristen George, so wenig sie ernst gemeint sein mag, passt als Einstieg in die Ausstellung gar nicht schlecht: Zumindest ist die gesellschaftliche Akzeptanz des Tätowierens eine Konstante, die sich durch die Geschichte des Tattoos schon deswegen wie ein roter Faden zieht, weil sie - zumindest in der westlichen Welt - immer wieder Wechseln unterworfen war. So unterschiedlich wie die Träger und deren Zeichnungen sind die Beweggründe für die Zeichen auf der Haut.
Der Ötzi
und die ersten Tätowierten
Ötzis rund 50 Tätowierungen laufen entlang der heute noch gültigen Akupunkturlinien; entstanden sind sie durch feinste Schnitte, die mit Kupfernadeln, Knochen oder Feuerstein in die Haut geschnitten und danach mit Holzkohle eingerieben wurden. Radiologische Befunde der Leiche belegen in der Tat starke Abnutzungen und Arthrose sowohl der Wirbelsäule als auch der Kniegelenke des Mannes aus dem Eis. Neben einer weiteren, rund 6000 bis 7000 Jahre alten Mumie der Chinchorro Kultur Nordchiles, gibt es einige alte Tattoo-Träger, die weltweit gefunden wurden: In Afrika, Polynesien und Asien wurde 500 v.Ch. geritzt und gestochen, gleiches gilt für die Ureinwohner Nord- und Südamerikas und Ägyptens. Eine tätowierte Prinzessin aus ca. 2000 v.Ch. wurde bereits in einem Grab im ägyptischen Luxor 1923 gefunden. Und während Ötzis Einritzungen schmucklos sind, scheinen die Tätowierungen einer Frau aus der Zeit um Christi Geburt, die 1993 in einem hölzernen Sarg gefunden wurde, ganz eindeutig verzierender Natur.
Tattoo kommt von Zeichen
Tätowieren scheint, hier sind sich Wissenschaftler einig, aus dem Polynesischen zu kommen. „Tatu“, „Tatau“, Zeichen. Hat es sich lautmalerisch aus eben jenem Geräusch gebildet, das beim Schlagen des traditionell benutzten Tätowierkammes entstand? Und während das britische Militär schon ein ähnliches Wort für „Zapfenstreich“, nämlich „tattaw“ hatte, das heute noch gilt, war es mit der Einbürgerung des „Tattow“, später „Tattoo“ nicht mehr weit hin. Die Ethnologen benutzen auch heute noch beides; Tatauieren und Tätowieren. Es mag der Seefahrer und Tahiti-Erforscher James Cook gewesen sein, der den Namen als auch die Tätowierkunst der Polynesen nach Europa transportierte, selbst wenn schon vor Cook Südseeinsulaner nach Europa gebracht und dort großäugig bestaunt wurden. Dazu gehörten Prinz Jeoly, der 1691 dem englischen Königspaar präsentiert wurde, genauso wie 1769 der tahitische Königssohn Aoturu, den Bougainville nach Paris brachte. Jeoly und Aoturu starben allerdings beide an Pocken. Erst durch die Bezeichnung tattoo, so einige Wissenschaftler, habe der dann später von Captain Forneaux 1772 mitgeführte tahitische Prinz Omai - großflächig tätowiert - bleibenden Eindruck auf die britische Bevölkerung, die ihn auf Jahrmärkten genauer ins Visier nahm, gemacht.
Stolz oder Stigma?
Gruppenzugehörigkeit ist eine sich hartnäckig haltende, immer wiederkehrende Thematik in der Welt der Hautzeichen. Wer sich die Skythen, ein Reitervolk des mongolisch-russischen Steppenraums aus dem 7. bis 3. Jahrhundert v. Chr., auf den Informationstafeln des Museums genauer ansieht, stellt vor allem den sozialen Stellenwert der Zeichen fest: Nur Angehörige der obersten Führungsschicht und Krieger waren tätowiert. Die Möglichkeit der Motive schienen den Steppenbewohnern kaum auszugehen: Ornamente, Tiere und wilde Fantasiewesen wurden als Tätowierungen gefunden. Dramatische Änderungen der Bedeutung des Tattoos haben vor allem die Christen hinter sich. Während die Römer es sich einfach machten und munter Verbrecher, Skla ven, Gefangene und verfolgte Christen tätowierten, blieb das eigenständige, selbst gewählte Tätowieren unter den Christen als Zeichen ihrer Glaubenzugehörigkeit nicht ganz aus. Auch wenn das Konzil von Calcuth 786 Tätowierungen als Zeichen des Heidentums deklarierte, waren Pilger-Tattoos durchaus gang und gäbe und machten zudem Jerusalem zur Tätowierhauptstadt der Christen: Als Erinnerungszeichen an die Wallfahrt und Erkennungszeichen im Falle des Todes. Die Perser und Griechen hielten es wie die Römer: Kriegsgefangene und Straftäter wurden damit gekennzeichnet. Stigma ist höchstwahrscheinlich dem griechischen Wort „stichein“, stechen, zu verdanken. Aus der Überlieferung von Aischines im 4. Jahrhundert v.Ch. ist bekannt, dass Sklaven gerne einmal Nachrichten auf die Stirn tätowiert wurden. „Haltet mich auf, ich bin ein Ausreißer“, stand dann dort. Und weil sie nur wenig Grausames der Geschichte ausgelassen haben, haben die Nationalsozialisten diese Tradition - ein wenig verändert - eben wieder aufleben lassen. Ab 1941 wurden sowjetische Kriegsgefangene tätowiert (wer noch übrig war: bis Herbst 1942 hatten die Nazis in den besetzten Gebieten der UdSSR schätzungsweise bereits rund 1,4 Millionen Menschen erschossen, erschlagen oder verbrannt), ab 1942 Juden, die Tätowierung der KZ-Insassen in Auschwitz war ab 1943 gängige Praxis. Die Tätowiermaschine arbeitete so schmerzhaft, dass die gesundheitlich meistens ohnehin stark angegriffenen Häftlinge reihenweise in Ohnmacht fielen. Wen wundert es: die Nadeln waren ein Zentimeter lang.
Abgrenzung
Die koptischen Christen Ägyptens tragen heute noch an der Innenseite des Handgelenks ein Kreuz, um sich vom Islam abzugrenzen; bis ca. 1890 wurden im bosnischen Raum katholische Mädchen tätowiert, um deren Übertritt zum Islam zu verhindern. Die Pilgertätowierung wurde vor allem von den Armenischen Christen bis zum 1. Weltkrieg beibehalten - dann war die Hochzeit der Pilgertätowierung in Jerusalem am Abklingen. Und auch die ersten Außenseiter-Tätowierungen der Christen mauserten sich, als das Christentum sich anschickte, Weltreligion zu werden, zum Insider-Zeichen. Ganz ungefährlich war die Kunst der Jerusalemer wohl nicht. Der Hamburger Reisende Otto von Gröben schrieb 1669:
„Wer nun einer schwachen Natur ist/der mag sich wohl versehen/solche Zeichen stechen zu lassen/dann sie den Arm schwellen machen/und durch die Inflammation oft malen ein Fieber verursachen pflege/welches den Fremden dieser Oerter sehr gefährlich ist/und leicht den Todt befordern kann“.
Schönheit und Charakter
Aber keineswegs ist die westliche Geschichte des Tätowierens ausschließlich negativ behaftet. Der Stamm der Luba im Kongo vertritt die These, dass Schönheit keineswegs angeboren ist, sondern kreiert werden muss. Wichtigster Bestandteil einer lubanischen Schönheit sind weniger die hübschen weiblichen Formen, sondern jene Schmucknarben, die ihren Körper zieren: und nicht nur. Die Narben versinnbildlichen die verschiedenen Etappen im Leben einer Frau und schenken ihr gleichzeitig Attraktivität und Persönlichkeit. In Europa und Nordamerika hat sich das Stigma des Verbrechers spätestens seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts stark gewandelt. Um äußeres Erscheinungsbild scheint es vorwiegend zu gehen, um den gewonnenen Schönheitsfaktor. Bleibende Mode also für viele. In einer Wegwerfgesellschaft, die ständigen Änderungen unterworfen ist, ist ein - meistens zumindest - lebenslanges Tattoo ein Ausdruck von Persönlichkeit, über den es sich nachzudenken lohnt.
Technik
Mit dem Durchstechen bis auf die mittlere Hautschicht, der Dermis, wird mittels einer Tätowiermaschine der Farbstoff in die Haut gebracht. Meist werden vorher Umrisse, die outlines, mit schwarzer Farbe vorgestochen, die Farbe wird in einem zweiten Schritt aufgetragen. Die Geschwindigkeit der Nadeln ist abhängig von den Maschinen, der Technik oder dem gewünschten Effekt. Die 0,3 bis 0,4 mm langen Nadeln stechen von 800 bis 3.500 Mal in der Minute. Während der Tätowierer mit einer Hand die Haut spannt, bringt er mit der anderen das gewünschte Bild ein. Natürlich gibt es auch gesundheitliche Gefahren: Infektionen und Allergien sind nicht auszuschließen. Gewissenhafte Tätowierer halten viel auf hygienische Ordnung und benutzen Farben, die entsprechende Prüferzertifikate haben. Auch die Möglichkeiten der Entfernung sind gestiegen: von der Trennung der Epidermis von der Dermis mit Hilfe von Enzymen, über Laser, die körpereigenen Zellen, die Makrophagen, wo der Farbstoff lagert, aufbrechen, bis hin zur Diathermie. Hier zerstören Mikrowellen die Hautzellen, die beim Heilungsprozess mit den Farbpigmenten wieder ausgeschieden werden.
Katharina Hohenstein