„Alle müssen an der Umstellung beteiligt sein“
Publiziert in 5 / 2016 - Erschienen am 10. Februar 2016
Herren: Die Konventionelle Landwirtschaft kann die weltweiten Ernährungs-, Gesundheits- und Umweltprobleme nicht lösen.
Es braucht eine agrarökologische Evolution der Landwirtschaft,
der Lebensmittelproduktion und des Konsums.
Mals - Geht es in der Landwirtschaft weltweit so weiter wie bisher, steht der Menschheit keine rosige Zukunft ins Haus. Nur mit einem radikalen Kurswechsel, an dem sich alle beteiligen sollen, lassen sich Probleme wie etwa die Bekämpfung des Hungers oder die Eindämmung der Gefahren für die Gesundheit und die Umwelt einigermaßen in den Griff bekommen. Keine Option sieht der bekannte Schweizer Agrar- und Insektenforscher Hans Rudolf Herren in der Fortsetzung der bisherigen konventionellen Landwirtschaft. Mit Fakten zur heutigen weltweiten Lage der Landwirtschaft und der Ernährungssysteme sowie mit Vorschlägen für einen umsetzbaren Kurswechsel wartete der Träger des Alternativen Nobelpreises (Right Livelihood Award) am 3. Februar in der bis auf den letzten Platz besetzten Aula Magna des Oberschulzentrums Mals auf.
Probleme aufzeigen
„Mit dem heutigen Vortrag möchten wir nach jahrelanger Sensibilisierungsarbeit rund um das Thema Pestizide einen weiteren Schritt setzen. Es wird uns jetzt vermehrt darum gehen, Alternativen zur konventionellen Wirtschaftsweise aufzuzeigen“, sagte Eva Prantl, die Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau, in ihrer Begrüßung. Neben der Umweltschutzgruppe hätten sich auch andere Gruppierungen und Akteure in den vergangenen Jahren bemüht, die Probleme, die die konventionelle Landwirtschaft mit sich bringt, aufzuzeigen. Prantl dankte den Organisationen Bioland, Bund Alternativer Anbauer, Adam & Epfl sowie Hollawint. Und wenn erneut Mals als Veranstaltungsort ausgesucht wurde, „dann möchten wir damit die Bedeutung dieses Ortes als Impulsgeber zur Auseinandersetzung mit diesem Thema unterstreichen.“ Prantl weiter: „Wir haben die Auseinandersetzung mit der Pestizidproblematik in den vergangenen Jahren stets als unsere Pflicht wahrgenommen. Als unsere Pflicht, in unserem Heimatland Südtirol etwas gegen die Gefährdung der Gesundheit, der Biodiversität, des Wassers, der Luft, und der Böden zu unternehmen. Es war nie als Angriff auf eine Berufsgruppe intendiert. Dabei haben wir uns stets um einen sachlichen Stil bemüht, im Zentrum unserer Bemühungen stand das Aufzeigen wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse.“
Kurswechsel geht alle an
Der Kurswechsel in der Landwirtschaft gehe alle an: die Konsumenten, die Bauern, die Umweltorganisationen und auch die Politik. „Mit dieser Veranstaltung möchten wir besonders den Bauern entgegenkommen, ihnen Lösungswege aufzeigen, denn sie sind am meisten gefordert“, so Prantl. Enttäuscht zeigte sie sich darüber, dass von allen 35 Südtiroler Landtagsabgeordneten, die schriftlich eingeladen worden waren, viele abgesagt haben. Lediglich Brigitte Foppa (Grüne) war nach Mals gekommen. Auch Landesrat Arnold Schuler hatte sich entschuldigen lassen und seinen persönlichen Referenten Peter Möltner geschickt.
Düstere Fakten
Das Bild, das Hans Rudolf Herren zur derzeitigen weltweiten Landwirtschaft und zu den Ernährungssystemen zeichnete, war ziemlich düster. „Aber es sind Fakten, wie sie im Weltagrarbericht nachzulesen sind und die wir alle wissen sollten“, so Herren, der nicht nur als Wegbereiter des biologischen Landbaues gilt, sondern auch zu den weltweit führenden Wissenschaftlern in der biologischen Schädlingsbekämpfung zählt. Die heutige Landwirtschaft verursacht laut Herren mehr als 40% der globalen Treibhausemissionen, und zwar nicht nur für Nahrung, sondern auch für Biosprit, Mais und Ölpalmen. Zusätzlich zu diesem gewaltigen Energieproblem und den entsprechenden negativen Auswirkungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel führt das heutige globale Nahrungssystem auch zu einem massiven Verlust von Biodiversität und Boden. Das konventionelle Nahrungssystem braucht 10 Kilokalorien, um 1 Kilokalorie zu erzeugen. Rund 800 Millionen Menschen sind unterernährt und anstatt der Schaffung neuer Arbeitsplätze in einer nachhaltigen Landwirtschaft ist nach wie vor Landflucht festzustellen. Auf der einen Seite gibt es Hunger und Armut, und auf der anderen gibt es über eine Milliarde Menschen, die übergewichtig oder gar fettleibig sind. Ca. 300 Millionen Menschen leiden unter Diabetes Typ 2. Und zusätzlich zu diesen sozialen und wirtschaftlichen Problemen dürfen auch die Vergiftungen bei Produzenten und Konsumenten nicht vergessen werden, zu denen es infolge des Einsatzes von Chemie in der Landwirtschaft kommt.
Hälfte der Böden ist kaputt
Die bisherige Wirtschaftsweise hat laut Herren auch dazu geführt, „dass rund die Hälfte der Böden erodiert ist.“ Die Lösung vieler Probleme seien im Boden zu finden, sprich in einer nachhaltigen Bewirtschaftung desselben. Der Boden ist der große Schatz unter unseren Füßen, vor allem als Kohlenstoffspeicher. „Der Pflug ist in diesem Sinn die dümmste Erfindung der Welt.“ In großen Monokulturen sieht der Wissenschaftler keine Zukunft. Die Erschließung und Nutzung fossiler Energiequellen habe in den vergangenen 50 bis 60 Jahren durch den Einsatz von Maschinen und moderner Chemie zu einer globalen Umgestaltung und Ausbeutung natürlicher Lebensräume und lokaler Agrar- und Ernährungssysteme geführt: „Einige wenige verdienen damit viel Geld, die große Mehrheit muss die negativen Folgen tragen.“ Was auf unsere Teller kommt, bestimmen jene, welche die Samen kontrollieren. Konkret nannte Herren hierbei den Konzern Monsanto.
Nahrung ist ein Menschenrecht
Eine klare Absage erteilte Herren der Spekulation mit Nahrungsmitteln: „Solche Spekulationen sollten verboten werden. Nahrung ist ein Menschenrecht.“ Leider seien Nahrungsmittel viel zu billig. Das führe dazu, dass vor allem in unseren Breitengraden viel zu viele Nahrungsmittel eingekauft werden: „40% der Nahrungsmittel werden nach dem Einkauf weggeworfen.“ Nicht wahrhaben wollen viele, „dass wir mit dem bisherigen System planetare Grenzen erreichen“: Verlust an Biodiversität, Süßwassernutzung, Ozeanversauerung, Zerstörung von Böden, Klimawandel, begrenztes Vorkommen von Phosphor usw. Mehrfach verwiesen hat Herren auch auf die gesundheitlichen Gefahren infolge des Einsatzes von Pestiziden, Herbiziden und Fungiziden: „Das ist eine Zeitbombe, die weitertickt.“ Grundsätzlich sprach sich der Wissenschaftler dafür aus, die Probleme an der Wurzel zu bekämpfen: „Mit Chemie und anderen Mittel können wir nur die Symptome bekämpfen, nicht aber die Probleme lösen.“ Viel mehr zu investieren sei in die Forschung im Bereich der ökologischen und nachhaltigen Landwirtschaft. Eine ökologische Landwirtschaft habe viel mit Wissen zu tun. Zum Thema Bio hielt Herren fest, dass eine biologische Anbauweise nicht unbedingt auch nachhaltig sein muss.
Agrarökologie
Gefreut hat sich der Referent, „dass die Agrarökologie jetzt endlich auch bei der Welternährungsorganisation FAO salonfähig geworden ist.“ Die Agrarökologie sei als Anpassung der Landwirtschaft an natürliche Gegebenheiten und Kreisläufe und an lokale Bedürfnisse zu sehen. Der Weltagrarbericht spricht der Agrarökologie eine zentrale Rolle bei der Gestaltung künftiger, nachhaltiger Landwirtschaft zu. Es geht darum, ob und wie der optimale Einsatz der örtlich verfügbaren Ressourcen den Landwirten ihr Auskommen sichern kann. Agrarökologische Konzepte fußen auf traditionellem und lokalem Wissen und seinen Kulturen und verbinden es mit Erkenntnissen und Methoden moderner Wissenschaft. Ihre Stärke liegt in der Verbindung von Ökologie, Biologie und Agrarwissenschaften. Entscheidend sind die vor Ort verfügbaren Ressourcen. Dazu gehören neben Sonne, Wasser und Boden die natürliche und kultivierte Arten- und Sortenvielfalt und das Wissen von Menschen und Gemeinden über ihr Zusammenspiel.
Alle sind gefordert
Um eine radikalen Kurswechsel herbeizuführen, braucht es laut Herren neue Ziel und Paradigmen für die Landwirtschaft und die Ernährungssysteme in allen Regionen der Welt. Die Landwirtschaft der Zukunft müsse multifunktional, ökologisch, resilient (widerstandsfähig gegenüber ökologischen Störungen) und regenerativ sein. Wir müssen eine Landwirtschaft anpeilen, welche die Ursachen der Probleme behandelt, die Teil der Lösung des Klimawandel-Problems ist, die die externen Kosten miteinbezieht, die die Menschheit ernährt und nicht füttert, und die die Bäuerinnen und Bauern respektiert. Hans Rudolf Herren ist überzeugt davon, dass mit einem Kurswechsel in der Landwirtschaft alle Menschen gut und gesund ernährt werden können, „und zwar mit weniger Landflächen als bisher.“ Würde auch nur ein Drittel der globalen Landwirtschaftssubventionen in die richtige Richtung investiert, könnten merkliche Verbesserungen erzielt werden.
Lob für Mals
Als gutes Beispiel und kleines Modell dafür, wie man eine Wende in der Landwirtschaft einleiten kann, nannte Herren die Gemeinde Mals und speziell das von einer großen Mehrheit getragene Bemühen für eine pestizidfreie Gemeinde: „Die Gesellschaft in Mals hat sich gefragt, was passiert, wenn nichts passiert.“ Es sei die gesamte Gesellschaft gefordert, die Produzenten ebenso wie die Konsumenten (was kaufe und esse ich?) und auch die Politik: „Alle sollen mithören, mitreden und mitentscheiden.“ Hans Rudolf Herren bot spontan an, die Entwicklung in Mals weiterhin unterstützend begleiten zu wollen: „Ich bin auch bereit, ein weiteres Mal nach Mals zu kommen.“
Sachliche Diskussion
Bei der von Gudrun Esser moderierten Diskussion wurde auf viele im Referat angesprochenen Themen näher eingegangen. So zum Beispiel auf den Bio-Anbau. Der biologische Anbau ist laut Herren eine stete Evolution. Er selbst sei ebenfalls ein kleiner Biobauer und erwirtschafte aus dem biologischen Weinbau mittlere Erträge. Ein Diskussionsteilnehmer gab zu bedenken, dass es für eine Umstellung auf Bio auch Anreiz-Mechanismen brauche. Kritisiert wurde, dass die Förderpolitik des Landes zu stark auf die intensive Landwirtschaft ausgerichtet sei. Hier brauche es eine Kehrtwende. Viel Applaus gab es für die Wortmeldung, wonach in der Landwirtschaft in Südtirol ohne Volksabstimmung in Mals nichts passiert wäre. Zu bedenken gegeben wurde zudem, dass man versuche, vermehrt auf den integrieten Obstanbau zu setzen und den biologischen dadurch zu „verwässern“. Herren sieht in der integrierten Anbauweise eine „Ausrede“, um nicht weit genug zu gehen: „Der Endpunkt ist die Agrarökologie. Die Nachhaltigkeit ist ein Weg, den wir ständig weitergehen müssen und der nie endet.“ Mehrfach geäußert wurde, dass es in der Pestizid-Debatte vor allem um eines gehe, nämlich um die menschliche Gesundheit als höchstes Gut. Anregt wurde außerdem ein Überdenken bisheriger Werte: Muss immer und überall alles herausgeholt werden? Sollten wir nicht aufhören, unendlich wachsen zu wollen?
Berglandwirtschaft erhalten
Ein 75-jähriger Bergbauer berichtete davon, wie naturnah und gesund, aber auch wie hart und entbehrungsreich auf den Äckern und Feldern einst gearbeitet wurde. Die Nahrungsmittel, die auf den Tisch kamen, waren gesund. „Jetzt aber sind wir am Ende“, so der Bergbauer. Er plädierte dafür, die Grün- und Berglandwirtschaft zu erhalten und die Diskussion nicht ausschließlich auf den Obstbau zu beschränken. Bezüglich des Apfelanbaus wurde auch angemerkt, dass man die Obstbauern nicht alle „verteufeln“, sondern auch deren Bemühungen in Richtung naturnahe Produktion anerkennen sollte. Mehrere Wortmeldungen betrafen den Stellenwert der Biodiversität. Dazu meinte Herren: „Biodiversität im Teller bedingt Biodiversität auf dem Feld.“ Ein Wandel bei den Konsumenten sei ebenso notwendig wie bei den Produzenten und der Politik. Diese solle sich u.a. für mehr Geldmittel für die Bio-Forschung bemühen, um die verlorene Zeit aufholen zu können. Auf die Frage, woher er trotz der derzeit weltweit katastrophalen Situation der Landwirtschaft den Optimismus hernehme, wartete Herren mit einem Zitat auf: „Der einzige Mist, auf dem nichts wächst, ist der Pessimist.“ Es seien weltweit konkrete positive Ansätze eines Kurswechsels zu beobachten. Das Beispiel Mals gehöre mit dazu: „Ich wünsche mir, dass Leute aus Mals vor der Welternährungsorganisation und vor Landwirtschaftsministern darlegen, welchen Weg sie gehen wollen und wie.“ Sepp
Josef Laner