Gestalteten den Abend (v.l.): Heinrich Unterhofer, Luisa Bertolini, Barbara Ricci und Michael de Rachewiltz.
Heinrich Unterhofer am Theremin.

Philosophisches in der Bibliothek

Franz Kafka, Malser Rattenschwänze und das Instrument ohne Berührung.

Publiziert in 19 / 2024 - Erschienen am 22. Oktober 2024

SCHLANDERS - „Sie haben schon mal Humor bewiesen, dass sie trotz des schlechten Wetters hier sind“, sagte Michael de Rachewiltz an jenem regnerischen Abend des 8. Oktobers. Der Philosoph forscht am „Center for Advanced Studies“ von Eurac Research. Er ist Mitinitiator der Reihe „Philosophische Gespräche 2024: Autonomie und Humor“. Der Untertitel, passend zum hundertsten Todesjahr von Franz Kafka: „Denkwege vom Mittelalter bis Kafka … und darüber hinaus“. Im Rahmen der Vinschger Literaturtage machte die Eurac-Veranstaltung in der Bibliothek Schlandersburg Halt. Mit einem Infoflyer wurden die Besucherinnen und Besucher – viele unwissend, was sie wohl erwarten würde – in den Abend eingeführt. So hieß es darin unter anderem: „Humor ist eine menschliche Konstante. Er hilft uns, unsere Freiheit als autonom denkende und handelnde Menschen in einem sozialen Kontext zu behaupten. Was haben Tierschwänze, Code oder Enden damit zu tun? Lustige Tierdarstellungen haben schon so manche tiefreligiöse Malerei humorvoll ergänzt, die Code großer musikalischer Werke bergen nicht selten Überraschungseffekte, und nicht umsonst bauen Witze und Geschichten auf die abschließende Pointe“. De Rachewiltz erklärte, dass es sich um einen interdisziplinären Vortrag handle. Und so war es auch: Von Kunstgeschichte über Philosophie ging es bis zur Musik. Der Reihe nach: Den Eröffnungsvortrag in italienischer Sprache hielt Luisa Bertolini, die redaktionelle Koordinatorin der Zeitschrift „Fillide“. Beim „bestiario di Termeno“ ging es um eine philosophische Betrachtung des „Bestiariums von Tramin“. Beim „Bestiarium“ handelt es sich um eine Besonderheit der romanischen Fresken in St. Jakob in Kastelaz oberhalb von Tramin. Phantasievoll ausgearbeitet sieht man hier die Darstellung dämonischer Mächte und bedrohlicher Fabelwesen der antiken Mythologie.

„Der umweltphilosophische Rattenschwanz von Mals“

Im zweiten Vortrag – einer philosophischen Betrachtung, die an allen Veranstaltungsabenden abwechselnd von verschiedenen Vortragenden über ein bestimmtes Thema angestellt wurde – ging es für den Vinschgau passend um den „umweltphilosophischen Rattenschwanz von Mals“. Michael de Rachewiltz betrachtete dabei die Auswirkungen des Pestizidreferendums in Mals, insbesondere aus ethischer Sicht. „Das Thema anzugehen ohne in Dogmatismen zu verfallen, braucht auch Humor und philosophische Gelassenheit“, so der Philosoph. Er stellte drei Fragen zum Malser Weg: Welches Welt- und Menschenbild hinter diesem Weg stecke, welche Konsequenzen die Entscheidung hat und „was sollen wir tun?“. De Rachewiltz erklärte den Anthropozentrismus, den Pathozentrismus/Sentientismus, den Biozentrismus und den Physiozentrismus/Ökozentrismus. „Ich habe keine Umfrage bei den Malsern gemacht, aber wir können annehmen, dass sie auch aus anthropozentristischen Gründen so entschieden haben“, sagte er. Dabei stelle der Mensch sich selbst – und damit auch seine eigene Gesundheit – in den Mittelpunkt. Auch Biozentrismus, wo alle Lebewesen im Fokus der moralischen Verantwortung stehen, dürfte eine bedeutende Rolle gespielt haben. „Größtenteils wurde aber sicherlich aus gemischten Gründen so entschieden“, meinte de Rachewiltz.
Mit Blick auf das Referendum stelle sich auch die Frage über die Autonomie eines Dorfes. Dürfe ein Dorf über ein so großes Thema entscheiden? Die Frage, was zu tun sei, könne man damit beantworten, dass es durchaus alternative Anbaumethoden, die Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit möglichst in Einklang bringen, gebe. De Rachewiltz stellte einige weitere philosophische Überlegungen zum Thema an, so dürfe sich der Mensch nicht als Beherrscher der Natur betrachten, sondern müsse ein Behüter sein. Auch Gedankenexperimente durften in seinem Vortrag nicht fehlen. Er schloss mit einem Zitat des deutschen Philosophen Hans Jonas: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“.

Musikalischer Höhepunkt

Nach dem Abschlussvortrag in italienischer Sprache von Barbara Ricci („Il santo e le sirene: San Cristoforo e i suoi compagni nell’arte“), genauso wie Luisa Bertolini redaktionelle Koordinatorin der Zeitschrift „Fillide“, folgte als abschließender Höhepunkt eine eigens komponierte Musik von Heinrich Unterhofer. Der Sarner, der von 1992 bis 2022 eine Professur für Komposition am Konservatorium von Bozen innehatte und mittlerweile in Pension ist, habe die Musik mit dem Computer entworfen und damit „etwas komponiert was nicht reell ist“. Um live vor Ort eine eigene Note einfließen zu lassen, spielte er dazu auf einem so genannten Theremin. Dabei handelt es sich um ein 1920 erfundenes elektronisches Musikinstrument. Es ist das einzige verbreitete Musikinstrument, das berührungslos gespielt wird und dabei direkt Töne erzeugt. Der Name geht auf den Erfinder, den Russen Lew Termen, zurück, der sich in den USA Leon Theremin nannte. „Es gibt zwei Antennen. Durch meine Hände kann ich die Frequenz und die Lautstärke steuern“, erklärte der Komponist. Hinterlegt war das Stück mit Franz Kafkas Text „Das Schweigen der Sirenen“, der 1917 entstanden ist. „Ich habe mir vorgestellt, ob sich Kafka und Theremin wohl kannten und begegnet sind? Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie sich getroffen haben. Heute haben wir aber die Möglichkeit, beide zusammenzuführen“, so Unterhofer.

Michael Andres

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