„Wir übergeben keine größeren Baustellen“
Andreas Tappeiner tritt auch als Bezirkspräsident ab. Zwischen Zusammenarbeit und „gesundem“ Kirchturmdenken.
Vinschgau - Läuft alles planmäßig - was derzeit aufgrund der Covid 19-Situation nie garantiert werden kann - wird Mitte Dezember der Ausschuss der Bezirksgemeinschaft Vinschgau neu bestellt. Bis dahin bleibt noch Andreas Tappeiner als Präsident im Amt. Im Interview mit dem der Vinschger zieht er eine positive Bilanz der vergangenen 10 Jahre, verweist aber auch auf große Herausforderungen, die auf den neuen Bezirksrat und den neuen Ausschuss warten.
der Vinschger: Herr Andreas Tappeier,Sie waren von 2003 bis zum 22. September 2020 Bürgermeister von Laas und stehen seit dem Herbst 2010 auch der Bezirksgemeinschaft Vinschgau als Präsident vor. Sie haben dieses Amt noch bis zur Neuwahl des Ausschusses inne. Mit welchen Gefühlen treten Sie von der aktiven politischen Bühne ab?
Andreas Tappeiner: Alles in allem mit einem beruhigenden Gefühl. Abgesehen von der Covid 19-Situation und den damit verbundenen Schwierigkeiten und Problemen, die uns alle belasten, ist es uns in den vergangenen 10 Jahren auf Bezirksebene gelungen, etliche Anliegen weiterzubringen und auf Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft mit gezielten Maßnahmen zu reagieren. Wir müssen den neuen Verantwortungsträgern in diesem Sinn keine großen Baustellen übergeben.
Was hat die Verwaltung der Bezirksgemeinschaft in den vergangenen 10 Jahren im Bereich des Radwegenetzes auf den Weg gebracht?
Wir sind dem großen Ziel, eine durchgehende, von der Straße und der Bahn losgelöste Radwegtrasse im Vinschgau zu errichten, sehr nahegekommen. Ein konkretes Beispiel ist etwa die Entflechtung des Mischverkehrs entlang des Abschnittes Laas-Tschengls und entlang weiterer Teilstücke in Latsch und Kastelbell. Mit dem ersten Baulos des neuen Radwegabschnittes in Göflan wurde erst kürzlich begonnen. Es wird zunächst das Teilstück von der Etschbrücke in Richtung Latsch gebaut und später das Teilstück westlich der Brücke.
Was hat sich im Bereich Abwasser getan?
Auch in diesem Bereich ist viel geschehen. Ich erinnere etwa an die Zusammenarbeit mit der Gemeinde Val Müstair, deren Abwässer seit dem Frühjahr 2014 zu unserer Anlage nach Glurns geleitet und dort gereinigt werden. Ein wichtiger Schritt war neben stetigen technischen Anpassungen auch die Übernahme der kleinen Klärwerke in Matsch, Schnals und Sulden. Um in Zukunft auch das Abwasser aus Sulden in der Kläranlage in Prad reinigen zu können, wird die dortige Anlage ausgebaut. Der nächste Schritt ist die Errichtung des Haupt-
sammlerteilstückes in Prad und im folgenden Jahr wird es darum gehen, die Finanzierung des Hauptsammlers von Sulden nach Prad auf die Beine zu stellen.
Ist der Vinschgau somit in punkto Abwasserentsorgung gut aufgestellt?
Ja, das kann man sagen. Dank der modernen technischen Ausstattung der Anlagen und des Einsatzes unseres motivierten Fachpersonals beläuft sich der Wirkungsgrad der Kläranlagen mittlerweile auf rund 98 Prozent. Es werden jährlich ca. 5,2 Millionen Kubikmeter an Abwasser gereinigt, rund 0,5 Millionen davon stammen aus der Gemeinde Val Müstair. Im Vinschgau werden 95 Prozent aller Abwässer in Kläranlagen gereinigt. Die restlichen 5 Prozent betreffen im Wesentlichen abgelegene Berghöfe und Weiler, wo es Sickergruben gibt.
Wie steht der Vinschgau in Bezug auf die Abfallbewirtschaftung da?
Der landesweiten Vorreiterrolle, die der Vinschgau im Bereich der Abfallbewirtschaftung schon seit Jahrzehnten einnimmt, sind wir als Bezirk auch in den vergangenen 10 Jahren gerecht geworden. Ich erinnere etwa an die Schließung der Deponie in Glurns und an den Hand in Hand damit eingeführten Transport des Restmülls zur Verbrennung nach Bozen. Eine drastische Erhöhung der Müllgebühren, wie sie von vielen befürchtet wurde, blieb aus. Nicht zu vergessen sind auch der Bau der Umlade-
station in Glurns sowie die letzte Ausbauphase des dortigen Wertstoffzentrums. Wir haben in den vergangenen Jahren rund 8,4 Mio. Euro in dieses Vorhaben investiert.
Wie hat sich die Wertstoffsammlung entwickelt?
Sehr gut. Es ist mittlerweile so, dass das Gesamtgewicht der Wertstoffe, die jährlich abgegeben werden, jenes des Restmülls übertrifft.
Aber eine getrennte Biomüllsammlung im Obervinschgau gibt es noch immer nicht.
Das ist wahr. In Laas wurde zwar ein Bringsystem eingeführt, aber in allen anderen Gemeinden im Obervinschgau gibt es noch keine getrennte Biomüllsammlung. Es wird nun eine der Aufgaben der neuen Bezirksverwaltung sein, im Obervinschgau eine Biomüllsammlung einzuführen, wobei daran gedacht wird, den Biomüll der Betriebe regelmäßig abzuholen und zur Vergärungsanlage nach Lana zu bringen.
Der größte Teil der Ausgaben im Haushalt der Bezirksgemeinschaft entfällt seit vielen Jahren auf die Sozialdienste. Können alle Dienste zufriedenstellend gewährleistet werden? Gibt es genug Geld, um allen Bedürfnissen angemessen begegnen zu können?
Wir sind als Bezirksgemeinschaft in der Lage, die elementaren Leistungen mit Mitteln aus dem Landessozialfonds zu finanzieren. Die verschiedenen Dienste werden für Menschen mit Behinderung, für Personen mit psychischen Erkrankungen, für Senioren mit der Hilfe der offenen Haus- und Altenpflege sowie für Menschen in sozialen Notlagen angeboten. Die Ausgaben für ergänzende Maßnahmen und innovative Projekte bestreiten wir - soweit das eben möglich ist - mit Mittel aus dem Interreg-Topf. Mit dem sozialen Interreg-Projekt „Sonnenstrahl“ zum Beispiel können Assistenzleistungen angeboten werden. Es geht um Hilfe im Bereich Pflege, Haushalt und Freizeitgestaltung sowie um die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte für ältere Menschen in peripheren Gegenden des Vinschgaus.
Gibt es auch Aufholbedarf im Bereich der sozialen Strukturen?
In der Struktur in Latsch wird derzeit der Bereich „Biologischer Gartenbau“ um- und ausgebaut. Ein viel größeres Vorhaben ist der dringende Umbau bzw. die bauliche Neugestaltung der Werkstätte für Menschen mit geistiger und/oder körperlicher Beeinträchtigung in Prad. Es gibt zwar schon ein Gesamtkonzept, aber dieses befindet sich zwecks der Finanzierung in der „politischen Warteschleife“ in Bozen. Um das Konzept umzusetzen, bräuchte es mehrere Millionen Euro.
Wie schwer wirkt sich die Corona-Krise, mit der wir jetzt schon seit rund 9 Monaten konfrontiert sind, auf die Sozialdienste und auf die Nutznießer dieser Dienste aus?
Weil wir die Dienste wiederholt herunter-, hinauf- und wieder herunterfahren mussten und müssen, ergab und ergibt sich noch immer eine Situation, die für alle Beteiligten sehr aufreibend ist, für die Nutzer der Dienste ebenso, wie für das Mitarbeiterteam, das sie durchführt. Trotz allem konnten wir die wichtigsten Grunddienste immer aufrechterhalten. Ein Dank gilt hier allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für ihren Einsatz und ihr Durchhaltevermögen.
Ist der Weiterbestand des Krankenhauses Schlanders endgültig gesichert?
Als Krankenhaus-Standort sah ich den Vinschgau bzw. Schlanders nie wirklich gefährdet. Große Sorgen bereitete uns aber eine Schmälerung der Dienste. Nach heftigen politischen Interventionen von unserer Seite und der kürzlich erfolgten Nachbesetzung vakanter Primariatsstellen bin ich aber überzeugt, dass die Zukunft des Krankenhauses langfristig gesichert ist. Verdient gemacht hat sich in dieser Sache auch der Generaldirektor Florian Zerzer. Als Vinschger stammt er aus einem peripheren Gebiet und weiß auch von daher, wie wichtig ein Krankenhaus in der Peripherie ist.
Ist der Vinschgau in den vergangenen 10 Jahren enger zusammengewachsen oder ist das Kirchturmdenken nach wie groß?
Während meiner ersten Jahre als Bezirkspräsident war es vor allem der sogenannte Stromstreit, der das Tal zusammenschweißte. Nach der endgültigen Beilegung des Stromstreites und nach erfolgreichen Verhandlungen für Beteiligungen an den Stromkonzessionen Reschensee und Zufritt-Stausee fiel dieses einende Element zwar weg, aber es kam zu neuen Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenschauens. Ein gewisses Maß an „gesundem“ Kirchturmdenken ist nach wie vor da, aber das ist im Sinne der Autonomie der Gemeinden auch nicht schlimm, im Gegenteil.
Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit die regelmäßigen Bürgermeister-Treffen eingeführt. Hat sich dieses Modell bewährt?
Diese Treffen, die in der Regel einmal im Monat stattgefunden haben und die mittlerweile mit den neuen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern über Videozuschaltung fortgesetzt werden, waren und sind in mehrfacher Hinsicht sehr hilfreich. Abgesehen davon, dass man viel voneinander lernen kann, wenn man sich regelmäßig austauscht, dienen diese Treffen auch zur Bewältigung gemeinsamer Anliegen und Aufgaben. Das aktuellste Beispiel ist die derzeitige Covid 19-Krise. Auch in diesem Bereich können die Verwaltungen der 13 Gemeinden vom gegenseitigen Austausch und von gegenseitigen Hilfestellungen zum Wohl der gesamten Bevölkerung profitieren.
Was ist Ihnen während Ihrer Zeit als Bezirkspräsident nicht gelungen?
Es gibt eigentlich keine Vorhaben oder Projekte, die nicht angegangen wurden. Gehapert hat es manchmal allerdings bei der Geschwindigkeit der Umsetzung. Den Abwasserhauptsammler Sulden-Prad zum Beispiel hätte ich noch gerne in der Bauphase erlebt, aber diese Verzögerung ist auf die Finanzierungsfrage zurückzuführen.
Halten Sie es für möglich, dass Sie irgendwann in Zukunft mit der Bahn von Mals in die Schweiz oder über den Reschen nach Landeck fahren werden?
Für ausgeschlossen halte ich es nicht, dass wir eines Tages - ich als alter Greis- mit dem Zug in die Schweiz fahren werden. Es dürfte aber eher so sein, dass dies meine Kinder oder Enkelkinder tun werden. Ich bin schon seit jeher ein starker Befürworter einer Bahnverbindung in die Schweiz und bin auch überzeugt, dass die gemeinsame Absichtserklärung, die am 11. September von Regierungsvertreten aus dem Dreiländereck in Graun unterzeichnet wurde, viel mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis. Nicht verschwiegen werden darf allerdings die Tatsache, dass wir hier von Investitionskosten in Höhe von rund 1.000 Millionen Euro reden und dass eine Umsetzung ohne die Mithilfe der EU so gut wie unmöglich ist.
Welches Resümee ziehen Sie aus den Gemeindewahlen 2020 im Bezirk Vinschgau?
Ich bin erstaunt, mit welchem Schwung und Arbeitseifer die vielen jungen und motivierten Verwalterinnen und Verwalter an die Arbeit gehen. Eindrucksvoll zu spüren ist das vor allem bei den Videokonferenzen, zu denen wir uns „zusammenschalten“. Ich glaube, dass wir in allen Gemeinden eine gute Mischung aus erfahrenen Gemeindepolitikern und neuen Kräften haben.
Der Nationalpark ist einer der Dauerbrenner, der Sie als Bürgermeister und auch als Bezirkspräsident seit jeher beschäftigt. Was hat sich in Sachen Nationalpark seit dem Beginn Ihrer politischen Laufbahn bis heute konkret getan?
Wir haben ein Außenamt in Glurns und die Zuständigkeiten für den Südtiroler Parkanteil sind auf das Land übergegangen. Derzeit hängen wir am Parkplan und an der Zonierung fest. Trotz intensivster Verhandlungen ist noch kein endgültiger Durchbruch gelungen.
Füllt sie Ihre Tätigkeit als Landwirt vollständig aus oder haben Sie auch Hobbys bzw. persönliche Leidenschaften?
Als Bezirkspräsident bleibe ich noch einige Wochen im Amt. Im neuen 5-köpfigen Ausschuss werden mindestens zwei Frauen vertreten sein. Die entsprechende Änderung der Satzung hat der Bezirksrat am 12. November genehmigt. Mit dieser Änderung wird dem Gleichstellungsgesetz Rechnung getragen. Weiterhin im Amt bleibe ich als Obmann der Laaser-Eyrser Energie Genossenschaft (LEEG) und als Präsident des VEK (Vinschgauer Energiekonsortium). Nach dem Wegfall der politischen Tätigkeit habe ich mehr Zeit für die Familie, für Bergwanderungen und die Natur.
Ist es denkbar, dass Sie 2023 für den Landtag kandidieren?
Das schließe ich zum derzeitigen Zeitpunkt aus. Ich möchte mich in Zukunft im genossenschaftlichen und sozialen Bereich für die Menschen in unserem Tal einbringen.