Wie geht es Dir?
Befragung von 1.600 Menschen bringt ernüchternde Ergebnisse. 43% sind unzufrieden. Karl Perfler plädiert für „Vernunft des Herzens“.
Tschengls - Eine wohl einzigartige, anonyme Befragungsaktion hat der Kulturwirt Karl Perfler durchgeführt. 1.600 Menschen hat er in den vergangenen 8 Monaten gefragt, wie es ihnen geht. Aufbauend auf diese Grundfrage ergaben sich in den Einzelgesprächen, die in der Regel rund 30 Minuten dauerten, weitere Fragen und natürlich auch Antworten. Der Großteil der Befragten stammt aus dem Vinschgau. Befragt hat Karl Perfler Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und Berufen. In Angriff genommen hatte er die Befragung, „weil in den vergangenen 60 bis 70 Jahren alles sehr schnell gegangen ist. Der rasante Fortschritt im technologischen und wissenschaftlichen Bereich konnte von den meisten Menschen nicht bewusst und mit eigenen Beiträgen begleitet werden.“ Am 4. April stellte Perfler die Befragungsergebnisse zusammen mit Mitdenkenden und Mitstreitenden auf der Tschenglsburg vor.
Das Haben erdrückt das Sein
Die Bedeutung des Eigenen, des bereits Vorhandenden sei laut
Perfler arg geschrumpft „und das Haben erdrückt das Sein“. In diesem Kampf um immer mehr „haben wir uns selbst und unsere Träume verloren und leben fremdbestimmte Wirklichkeiten ohne innere Zufriedenheit und Begeisterung.“ Der Weg vom „Gehorsamskanal“, sprich der engen und vertrauten Räume, „in eine aufbrechende, neue Welt der weltweiten Kommunikation und vermeintlichen Freiheit war nicht vorbereitet.“ Mit der Frage, welchen Einfluss diese Entwicklung auf das Glück des Menschen hatte und hat, habe sich niemand ernsthaft auseinandergesetzt. „Trotz unserer erstaunlichen Leistungen haben wir nach wie vor keine Ahnung, wohin wir eigentlich wollen und sind so unzufrieden wie eh und je.“ Die zu große Bedeutung des Habens nähre Gier und Neid, negative Gedanken und Zweifel plagen die Menschen. „Wir kranken an unserem Geist“, so das Fazit von Karl Perfler. Sein Credo: „Was es braucht, ist die Kehrtwende vom Mee(h)r zum Ursprung.“ Wir leben die Vergangenheit und die Zukunft, „übersehen aber die Gegenwart.“ Es fehlen uns Bezugs- und Orientierungspunkte. Perfler: „2016 haben wir diese Kehrtwende mit einer Reise zur Mündung der Etsch symbolisch vollzogen. Nun geht es aufwärts, vom Mee(h)r zum Ursprung“. Was er unter Ursprung versteht, beschreibt er so: „Ein Grundbild, das alle Menschen im erstrebten Lebensziel vereint. So wie auf einem Berggipfel die Menschen miteinander anders umgehen, könnte das gemeinsame Ziel die Menschen verbinden.“
Nur 23% sind zufrieden
Auf die Frage „Wie geht es Dir?“ haben nur 23% der Befragten geantwortet, dass es ihnen gut geht bzw. dass sie zufrieden sind. 34% gaben an, nicht zufrieden zu sein, aber zu hoffen, dass es besser wird. Ganze 43% sagten, unzufrieden zu sein, sich hilflos zu fühlen und ohne Perspektiven und ohne Lebenssinn zu leben. „Überrascht hat mich dieses Ergebnis nicht“, räumte Perfler ein. Er habe schon oft erfahren müssen, dass sich viele Menschen „nackt“ fühlen und dass ihnen eine Orientierung fehlt, oder eine Vision. Viele leiden an psychischen Erkrankungen.
Massiver Vertrauens-Schwund
Was die Befragung noch ergab, ist die Tatsache, dass den meisten Menschen das Vertrauen fehlt. Das Selbstvertrauen ebenso wie das Vertrauen in Kirche, Politik und Verwaltungen. 62% der Befragten gaben an, den Politikern nicht zu vertrauen. Der „Institution Kirche“ vertrauen 32%, wobei aber 98% angaben, an Gott zu glauben. Schlecht weg kommen in der Umfrage auch die öffentlichen Verwaltungen. Perfler: „Wenn es um größere Summen geht, vermuten die Menschen Ungerechtigkeit, Korruption, Schwindel mit Zertifizierungen und Subventionen. Durch immer mehr Bürokratie und Technik fühlen sich die Menschen kontrolliert und unfrei.“
Und was nun?
Mit einem Patentrezept zur Lösung der aufgezeigten Probleme, Unzulänglichkeiten und Orientierungslosigkeiten konnten Karl Perfler und seine Mitdenkenden natürlich nicht aufwarten. „Wenn eine Antwort so einfach wäre“, meinte Perfler. Er gab sich überzeugt, „dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben. Damit dieser Umbruch aber zum Wohle der Menschen gelingen kann, ist es höchste Zeit, die Sorgen und Probleme des Einzelmenschen ernst zu nehmen und hinzuschauen und hinzuhören.“ Es gelte, einen Prozess in Gang zu bringen, „der zu einem gemeinsamen Ziel, zu einer globalen Vision führt.“ Der Wandel müsse und werde von den Menschen selbst kommen. Als Schlüsselbegriff nannte der die Vernunft des Herzens: „Wenn dieser Weg eingeschlagen wird, werden die Menschen die Geheimnisse und Potentiale der Natur und Schöpfung neu erkennen und Halt und Orientierung finden.“
„Vorhandenes sichtbar machen“
Laut Werner Schönthaler sind es die erstarrten Systeme, die den Menschen die Kraft nehmen. Es gehe daher darum, „Vorhandenes wieder sichtbar zu machen.“ Inge Thalguter sieht den Hauptlösungsansatz darin, „verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen.“ Außerdem gelte es, eine Verlangsamung und Vereinfachung anzustreben, zu einem neuen Sein zu finden, ein neues Bewusstsein für das eigene Potential zu entwickeln und Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen. Zum Thema des Vertrauens-Verlustes in die Politik meinte Roland Angerer, „dass in der politischen Arbeit oft eine Visions- und Antriebslosigkeit festzustellen ist.“ Angerer plädiert dafür, „die vielen kleinen Chancen und Potentiale, die zwar da sind, aber nicht gesehen werden, zu nutzen.“ Mit vielen kleinen Schritten lasse sich vieles bewegen. Was er sich wünsche, sei eine Aufbruchsstimmung in diesem Sinn. Carmen Bonora meinte, dass die Menschen wieder eine stärkere Verbundenheit zur Natur suchen sollten. Für Elisabeth Prugger ist es wichtig, „sich bewusst zu werden, dass das eigene Handelns sinnvoll ist. Wir müssen wieder hin zu mehr Selbstermächtigung.“ Außerdem gelte es, Wirtschaft anders und neu zu definieren, besonders auch die Hauswirtschaft und die Arbeit der Frauen. Es gelte, nach einer „mütterlichen Welt“ zu streben.
Jahresthema 2018
Das Jahresthema 2018 des Kulturgasthauses Schloss Tschenglsburg lautet: „Vorhandenes sichtbar machen – erkennen, sich freuen, genießen und weitergeben“. Unter diesem Motto steht auch das Marillenblüten-Singen, das am 15. April um 10.30 Uhr eröffnet wird. Karl Perfler ist es gelungen, das Kulturgasthaus Schloss Tschenglsburg, das er seit 7 Jahren führt, zu einem Gesprächs- und Kulturort zu machen, der viele Menschen zusammenbringt und zum Nachdenken anstößt. Zum Nachdenken über sich, die Welt, die eigene Zukunft und die Zukunft jener, die nach uns kommen werden.