Vor dem Kollaps?
Verkehr nimmt weiter zu. Tagung über „nachhaltige Mobilität“.
Laas - Die einen sehen nach wie in einem Ausbau der Durchzugsstraße die Lösung der Verkehrsprobleme im Vinschgau, die anderen plädieren für noch mehr Kreisverkehre, Ampeln und Einschränkungen und wieder andere fordern zusätzliche Umfahrungsstraßen und die Potenzierung des Bahnverkehrs. In punkto Mobilität laufen die Ansichten im Vinschgau zum Teil diametral auseinander. Einmal mehr gezeigt hat sich das am 21. Mai im Josefshaus in Laas. Das Motto der Tagung, zu der die lvh-Bezirksobmänner Günther Platter (Obervinschgau) und
Hermann Raffeiner Kerschbaumer (Untervinschgau) eingeladen hatten, hieß zwar „Der Vinschgau braucht eine nachhaltige Verkehrspolitik“, doch was damit genau gemeint ist und wer
welche konkreten Schritte in diese Richtung zu unternehmen hat, blieb am Ende weitgehend unklar. Glasklar indessen waren die Zahlen und Fakten, mit denen Stephan Bauer, der Amtsdirektor des Straßendienstes Vinschgau, aufwartete.
Verkehr wächst und wächst
So wurden im Vorjahr am Reschen im Durschnitt 6.000 Fahrzeuge pro Tag gezählt und auf der Töll ca. 18.300. Das heißt, dass ein beträchtlicher Teil des Verkehrs zwischen dem Reschen und der Töll hausgemacht ist. „In den letzten 3 Jahren hat das Verkehrsaufkommen um 4 Prozent zugenommen. Die Kapazität der Straße ist an der Grenze“, sagte Bauer. Er informierte auch über laufende, zum Teil bereits durchgeführte bzw. geplante Projekte im Vinschgau, wie etwa über den Bau des Tunnels Kastelbell-Galsaun, die Sanierung von Steinschlagschutzgalerien in Graun, geschwindigkeitsreduzierende Maßnahmen in St. Valentin a.d.H. und Taufers im Münstertal, Steinschlagschutzbauten in Latsch und Maßnahmen im Bereich der „Latschander“. Bauer erinnerte auch daran, dass der Straßendienst Vinschgau 124 km Staats-, 140 km Landes- und 114 km Gemeindestraßen verwaltet. Es werden pro Jahr ca. 15 km asphaltiert.
Vermeiden und verlagern
Laut Joachim Dejaco, dem Generaldirektor der STA (Südtiroler Transportstrukturen AG), ist bei der Verkehrspolitik auf drei Schritte zu setzen: vermeiden, verlagern und die negativen Auswirkungen des noch verbleibenden Verkehrs mit Elektromobilität abschwächen. Ein gutes Beispiel nachhaltiger Mobilität sei die Vinschger Bahn. Mit den derzeit laufenden Arbeiten zur Elektrifizierung könne die Fahrgastkapazität mehr als verdoppelt werden. „Wir haben derzeit ca. 1,9 Millionen Fahrgäste pro Jahr und sind am Limit angelangt,“ sagte Dejaco. Dank der Elektrifizierung werde der Fahrplan verdichtet - es wird einen Halbstundentakt geben, aber keine Expresszüge mehr – und es wird eine Durchbindung nach Bozen geschaffen. Bis die Bahn allerdings mit Strom betrieben wird, braucht es noch einige Zeit. Für heuer kündigte Dejaco einen teilweisen Streckenausbau zwischen Schlanders und Laas an.
Sperre Schlanders-Mals
Aufgrund dieser Arbeiten wird die Bahnstrecke Schlanders-Mals vom 16. Juni bis zum 29. September gesperrt. „Die Züge entlang der Strecke Meran-Schlanders und die Ersatzbusse fahren während dieses Zeitraums im Halbstundentakt“, kündigte Dejaco an. Die Verlängerung der Remise und weitere Arbeiten am Bahnhof Mals sollen heuer und 2020 ausgeführt werden. Weitere wichtige Arbeiten werden in den Jahren 2020 und 2021 folgen: 1.500 Masten entlang der Strecke, neues Signalsystem und Profilerweiterung des Tunnels Josefsberg. Ab 2022 soll die Bahn elektrisch betrieben werden.
Warentransport wird zunehmen
Elmar Morandell, der Obmann der Warentransporteure im lvh, gab sich überzeugt, dass der Warentransport nicht abnehmen wird. Qualität und Nachhaltigkeit hätten ihren Preis. „Jeder Einzelne kann seinen Beitrag leisten“, sagte Morandell. Es beginne schon damit, nachhaltig einzukaufen und nach Möglichkeit auf das Auto zu verzichten. Der Online-Handel werde in Zukunft noch mehr wachsen: „Auch in diesem Bereich sind wir alle selber schuld.“
„Über 2 Stunden bis nach Bozen“
Bei der von Eberhard Daum moderierten Diskussion wurde mehrfach darüber geklagt, dass der ständig wachsende Verkehr für die Wirtschaft und speziell die Handwerksbetriebe zu Wettbewerbsnachteilen führe. „Es ist einfach nicht tragbar, wenn ein Handwerker zum Beispiel über 2 Stunden unterwegs ist, um vom Vinschgau nach Bozen zu kommen.“ Eine funktionierende Mobilität, sprich ein angemessener Verkehrsfluss sei daher unabdingbar. Zusätzlich zu großen Lösungsvorschlägen, wie sie etwa eine Umfahrung von Rabland oder eine großräumige Umfahrung im Raum Obervinschgau sind, könnten und sollten auch kleinere Maßnahmen möglichst bald umgesetzt werden. Genannt wurden hierbei vor allem Kriechspuren bzw. Ausweichstellen, sodass Traktoren und LKWs überholt werden können. Außerdem sollten Über- bzw. Unterführungen für Fußgänger geschaffen werden. Besonders notwendig sei ein solche Maßnahme beim Kreisverkehr Staatsstraße/Bahnhofstraße in Schlanders.
„Reine Schikane“
Besanstandet wurde, dass die Kontrollen seitens der Gemeindepolizisten im Vinschgau teilweise ausarten würden, vor allem während der Berufsverkehrszeiten. Albert Hutter vom Transportunternehmen „Transalbert“ sprach von einer „reinen Schikane“. Mehrere Gemeindeverwalter wehrten sich gegen diese Kritik: Die Gemeinden wollen nicht Kasse machen, sondern sie bemühen sich lediglich um das Einhalten der Spielregeln und die Sicherheit der Bevölkerung. Zur Kritik an den Ampeln meinte Stephan Bauer, dass man sich bemühe, die Ampeln dynamisch zu programmieren und die Grün-Zeiten dem Verkehrsfluss anzupassen. Als Beispiel nannte er die Ampel auf der Töll. Der dortige Radweg soll übrigens im Rahmen eines Aufwertungs-Projektes für das gesamte Areal verlegt werden. Die zwei lvh-Bezirksobmänner verwiesen auf die Bedeutung einer funktionierenden Mobilität für die gesamte Wirtschaft des Vinschgaus, speziell auch für die Handwerksbetriebe. „Wir haben nur eine Straße im Vinschgau und auf dieser muss der Verkehr fließen“, sagte Hermann Raffeiner Kerschbaumer. Hannes Mussak, lvh-Vizepräsident und Präsident von „Südtiroler Wirtschaftsring – Economia Alto Adige“ hatte einleitend dazu aufgerufen, sich nicht gegenseitig die Schuld zuzuweisen, „sondern zusammenzuarbeiten und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.“