Reinhold Messner (auf der Interview-Couch beim Online-Stream): „Ich bin kein Konsument. Amazon ist mir ein Greuel. Anstatt mir etwas zu kaufen, gehe ich lieber im Wald spazieren oder mache sonst etwas.“

Tiefe Einblicke

Reinhold Messner: „Wenn ich Verantwortung abgebe, gebe ich auch Freiheit ab.“ 

Publiziert in 7-8 / 2021 - Erschienen am 4. März 2021

Vinschgau - Hinter jedem Gipfel gibt es einen neuen Berg, hinter jedem Tal eine neue Landschaft und hinter jedem Horizont ein neues Blickfeld. „Es war die Neugierde, die mich bis heute getragen hat“, sagte Reinhold Messner kürzlich auf Einladung des Teams „Welt & Wir“ im Online-Stream. Rund zwei Stunden lang gewährte der Bergsteiger, Abenteurer, Grenzgänger, Museumsgestalter, Autor, Filmemacher und Bergbauer einen teilweise sehr tiefen und persönlichen Einblick in sein Leben und beantwortete zudem eine Reihe von Fragen, die das Online-Publikum im Vorfeld formuliert hatte. Reinhold Messner spannte einen weiten Bogen. Ausgehend von seinen Kinder- und Jugendjahren in Villnöß - „für mich war dieses Tal damals die ganze Welt“ - und dem Felsklettern in den Dolomiten erzählte Messner von seinen Besteigungen und Abenteuern in den Alpen, dem Höhenbergsteigen in der Welt der Achttausender -  1978 erreichten er und Peter Habeler als erste Menschen den Gipfel des Mount Everest ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff - und der Überquerung von Eis- und Sandwüsten.

„Schlüsselberg“ Nanga Parbat

Als seinen „Schlüsselberg“ nannte Messner den Naga Parbat. Dort habe er 1970 die schlimmste Tragödie seines Lebens erlebt. Sein Bruder Günther wurde beim Abstieg über die Diamirflanke von einer Lawine verschüttet und kam ums Leben. Auch über seine Nahtod-Erlebnisse erzählte Messner, über seine Ängste und Grenzerfahrungen. Zum Thema Angst meinte er, dass er ein ängstlicher und vorsichtiger Mensch sei: „Die größten Ängste hatte ich immer im Vorfeld. Die Angst sei wie ein Zaun „und sie ist die beste Lebensversicherung, die es gibt.“ Nicht zu unterschätzen sei der Wert des Instinkts: „Es gibt Situationen, in denen der Verstand zu langsam ist.“ Und in solchen Situationen ist es der Instinkt, der greift: „Der Instinkt wächst uns in der Wildnis zu.“

„Der Instinkt wächst uns zu“

Die Entwicklung seines Instinktes gehe auf seine Kindheitserfahrungen zurück. Es sei oft dieses im Bauch entwickelte Wissen gewesen, das ihm in Grenzsituationen geholfen habe. Ein „einsamer Wolf“ sei er im Grunde nicht. „Die Einsamkeit gehört mit zum Schwersten. Wenn man mit Partner unterwegs ist, denen man zu 100 Prozent vertraut, kann man Ängste und Freuden teilen.“ Für ihn seien Alleingängen eine Art Selbstprüfung: „Es ist allein nicht schwieriger, aber emotional härter.“ Er fühle sich in der Familie und in der Gemeinschaft wohler als allein.

„Wer viel Freiheit will, …“

Die Corona-Pandemie zog sich wie ein roter Faden durch die Vortragsstunden. „Wer viel Freiheit will, muss viel Verantwortung übernehmen“, sagte Messner. Die Pandemie zeige, was geschieht, „wenn wir viel Verantwortung an den Staat und an Institutionen abgeben.“ Wer Verantwortung abgibt, gebe auch Freiheit ab. Die Menschheit habe ein bisschen die kollektive Fähigkeit verloren, Dinge vorauszusehen und vorbeugend zu handeln: „Wie sind in unserer Lebensfähigkeit nicht mehr so stark und müssen zuschauen, wie uns ein kleines Virus an die Wand spielt.“ Messner hofft, dass es gelingt, die Pandemie mit wirksamen Impfstoffen und Medikamenten zu überwinden. Die Corona-Krise habe auch seine Museen hart getroffen, „aber ich bin zuversichtlich, sie im Sommer und Herbst öffnen zu können.“

Erbe des Alpinismus weitergeben

Damit das Erbe des traditionellen Alpinismus der vergangenen rund 250 Jahre und vor allem die Haltung zu den Bergen weitergegeben werden kann, arbeitet Messner schon seit einiger Zeit an einer weltweiten Veranstaltungstour, die sich wegen der Corona-Pandemie verzögert hat. Er wolle nicht moralisieren oder urteilen, sondern das Erbe des traditionellen Alpinismus möglichst wahrheitsgetreu für die Nachwelt erhalten.

„Gipfel werden weniger wichtig“

Der Titel des Stream-Vortrages lautete „ÜberLeben“ und war inhaltlich dreigeteilt: „Üb Leben“, „Überleben“ und „Über Leben“. In den letzten Bereich ist Messners Feststellung einzuordnen, „dass die Gipfel für mich mit zunehmendem Alter weniger wichtig geworden sind und die Menschen immer wichtiger.“ Vor allem die Menschen, die in den Bergen leben. Er sei mittlerweile selbst mehr Bergbauer als Bergsteiger oder sonst etwas. „Wenn wir die Berglandwirtschaft in den Alpen verlieren, verlieren wir auch an touristischen Möglichkeiten.“ Den Tourismus gelte es nachhaltig zu gestalten, also „nicht allzu viel und nicht allzu groß.“ Der Online-Stream mit Reinhold Messner stieß auf sehr viel Zuspruch.

Josef Laner

Diese Seite verwendet Cookies für funktionale und analytische Zwecke. Lesen Sie unsere Cookie-Richtlinien für weitere Informationen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden.