Still, stiller, Corona
Wie erleben Musiker diese Coronakrise? der Vinschger hat nachgefragt und stieß auf drei Musiker zwischen Skepsis, Verwunderung und Hoffnung.
Mals/Berlin/Wien - „Musik braucht Raum zum Atmen“, sagte Komponist Ennio Morricone. Dieser Platz ist in Zeiten von Corona schwer zu finden. „Musik ist die gemeinsame Sprache der Menschheit“, fand der Schriftsteller und Lyriker Longfellow. Doch die Musik – eine Kunstform, die in der Lage ist, die Seele zu befeuern und die Menschen zu berühren – ist aus dem öffentlichen Leben fast verschwunden. David Frank, Bernhard Plagg und Bertold Stecher über ihr musikalisches Jahr inmitten von Corona.
David Frank, Musiker & Student
„Die erste Welle hat uns Kulturschaffende schon hart getroffen, aber ich habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen“, schreibt der in Wien lebende Matscher David Frank, Musiker und Student der Agrarwirtschaft an der Universität für Bodenkultur: „Innerhalb von zwei Wochen wurden alle geplanten Konzerte abgesagt, das war heftig. Also schrieb ich neue Stücke, plante, wann das nächste Album produziert wird und war optimistisch, dass bald wieder alles beim Alten sein wird“. Das sei nicht einfach gewesen, durch das Nichtstun fehle häufig die Inspiration, ein neues Stück aufs Papier zu bringen. Und doch gab es Positives: „Man ändert seine Sichtweise, denkt über Dinge nach, an die man sonst nie gedacht hat. Man kommt zur Besinnung, konzentriert sich auf das, was wichtig ist und versucht, die freien Tage sinnvoll zu nutzen.“
In der Retrospektive verschiebt sich die Sichtweise ein weiteres Mal, wie der 28-jährige Ziehharmonikaspieler – der mit „Amazia - Blues trifft Alpinfolk“ (eine Gemeinschaftsproduktion Südtiroler und Österreichischer Musiker) im Herbst 2019 viele Konzerte bestritt – betont: „Im Herbst 2020 waren es nur drei Konzerte.“ Die Zuschüsse ersetzen die abgesagten Konzerte keineswegs, schreibt der Musiker: „Die Auftritte 2020 waren nicht das Wahre. Die Konzertsäle waren halb leer, zwischen den Menschen waren ein bis zwei Meter Abstand und jeder hatte Corona im Hinterkopf. Unter diesen Umständen springt der Funke zum Publikum nicht über. Hinzu kommt, dass etliche Anfragen die Bedingung stellten, dass wir umsonst spielen. Diese Anfragen konnte ich aus Prinzip nicht annehmen – außer, es handelte sich um einen wohltätigen Zweck. Musik sollte in diesen Zeiten kein Billigprodukt werden, das ständig und überall gratis konsumierbar ist“. Dies ruiniere den Markt und schade jenen MusikerInnen, die ausschließlich von der Musik leben. „Daran erkennt man, dass Kunst und Kultur in der Gesellschaft zu wenig wertgeschätzt wird. KünstlerInnen sind für die Gesellschaft genauso systemrelevant wie andere Berufsgruppen, aber das Bewusstsein für die künstlerische Leistung fehlt häufig. Ich hoffe, dass die Kulturszene nach der Covid-19 Pandemie mehr wertgeschätzt und intensiver wahrgenommen wird. Denn ohne Kunst und Kultur wird´s still. Man stelle sich eine Welt ohne vor: es gäbe z.B. keine Filme, keine Musik, keine Theaterstücke ...“. David Frank hofft auf die Zeit nach der Pandemie: „Das Kulturangebot wird vielfältiger denn je sein, da viele KünstlerInnen die Zeit jetzt nutzten, um kreativ zu sein“.
Er selbst lebt nicht ausschließlich von der Musik, doch „die finanzielle Herausforderung in solchen Zeiten ist für Künstlerinnen und Künstler enorm“. David Frank lebt derzeit vom Online-Verkauf seiner CDs und absolviert ein Praktikum in Wien. Hinsichtlich des seelisch-musikalischen Überlebens habe er durchaus gemischte Gefühle: „Es ist eine Mischung aus Ratlosigkeit, Verzweiflung, Hoffnung – und Optimismus“. Er komponiert viel und plant für 2022 ein neues Album: „Die Stücke werden von Einsamkeit geprägt sein“, doch auch mit fröhlichen Stücken sei zu rechnen: „Musik ist wie das Leben, in einem Moment Halligalli – im anderen Moment traurig.“
Bertold Stecher, Solotrompeter, Deutsche Oper Berlin
„Man muss sich nur überlegen, wie es wäre, wenn kulturvermittelnde Medien wie Radio und Fernsehen, Zeitschriften und Bücher nicht mehr vorhanden wären. Was dann?“, versucht Bertold Stecher, seit 2016 Solotrompeter an der Deutschen Oper Berlin, zu verdeutlichen, wie sehr die Kultur eben doch Teil des gesellschaftlichen Lebens ist. „Kultur ist ein Stück Freiheit – für viele Menschen. Und im grauen Herbst und im Winter ist die Freude, die man mit Kultur erleben kann, besonders wichtig.“
Als festangestelltes Orchestermitglied der Deutschen Oper Berlin, ein von Stadt und Land gefördertes Haus, bekommt Bertold Stecher weiterhin sein Gehalt. In der ersten Welle musste er auch privat an einer Routine arbeiten, erzählt er. „Vormittags habe ich geübt, nachmittags bin ich Fahrrad gefahren und habe den Frühling im Grunewald genossen. 53 Tage lang habe ich täglich ein neues Musikvideo gecovert – sei es Jazz, R&B oder Pop – und mich im Improvisieren geübt. Dazu kommt man als klassischer Musiker sehr selten. Die Videos schickte ich dann meiner Familie im Vinschgau“.
Im Sommer gab es einen ersten Versuch, die Deutsche Oper Berlin wieder zu öffnen, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Als erstes (Berliner) Klassikkonzert nach 94 Tagen bot das Haus eine Kurzfassung von Wagners Rheingold – auf dem Parkdeck der Oper. Das Haus ist, wie viele andere Konzert-, Opern-, Aufführungs- und Theaterhäuser, bestens gerüstet: „Siebenmal stündlich ein kompletter Luftaustausch, das Orchester spielt nicht im kleinen Orchestergraben, sondern auf der Bühne. Ab September durften 400 ZuhörerInnen anstelle der üblichen 2.000 in den Saal. Von August bis Oktober waren es 750 Zuhörer – das ist auf den 2.000 Sitzplätzen wirklich genug Abstand“. Doch auch diese Auslastung sei „kein Vergleich zum Abstand in Shoppingmalls, dem öffentlichen Nahverkehr oder einem Fußballspiel“. Und damit, findet der 33-jährige Malser, beginnen die Ungerechtigkeiten: „Manche Maßnahmen sind nicht nachvollziehbar, werden zwar akzeptiert, stellen aber die Kultur- und Kunstwelt in ein falsches Licht und gefährden Tausende von Existenzen“.omentan treibt er Sport, liest, trifft Freunde und übt natürlich: „Für Sylvester ist im Berliner Dom ein Konzert mit Orgel und Trompete geplant, dafür übe ich täglich“. Trotz aller Skepsis bleibt er positiv: „Das Wichtigste ist, dass wir das alle gut überstehen und aus der Situation lernen“.
Bernhard Plagg, Orchestermitglied Konzerthausorchester Berlin
Die Trompete ist sein Instrument, Berlin seine neue Heimat. Der Malser Bernhard Plagg ist seit 2016 am Konzerthaus Berlin. Dass der persönliche Glücksfall, als festangestelltes Orchestermitglied in der Coronakrise weiterhin Gehalt zu beziehen, kaum auf alle MusikerInnen zutrifft, ist dem 31-Jährigen bewusst: „Die Krise trifft freischaffende KünstlerIinnen und Kulturinstitutionen sehr hart. Es liegt an der Politik, sie vor dem finanziellen Ruin zu bewahren“. Bernhard Plagg verweist auf den öffentlichen Diskurs in Deutschland über die Zuwendungen für freischaffende KünstlerInnen: „Dadurch wird das Bewusstsein über die einzigartige Kulturlandschaft in Deutschland geschärft“.
Wie für „vermutlich sehr viele andere Menschen“, schreibt Bernhard Plagg, „war die erste Welle auch für mich ein riesiger Einschnitt in den Arbeitsalltag: Keine Konzerte, kein Probenbetrieb. Ich habe in der Zeit intensiv geübt und Sport betrieben: plötzlich waren auch Yoga und das Kochen aufwändiger Gerichte feste Bestandteile des Alltags“.
Mit Saisonbeginn startete das Konzerthaus Berlin seine Konzertreihen für Abonnenten, doch anstelle der 1.500 möglichen Zuhörer waren vier Konzerte pro Woche nur für 340 Zuhörer möglich. „Kurz vor dem 2. Lockdown wurde jeder 2. Sitzplatz verkauft, ich bin daher positiv, dass wir bald zum früheren Spielbetrieb zurückkehren können“.
Zum Sicherheitskonzept des Hauses gehörte Maskenpflicht im gesamten Haus und der zwei Meter-Abstand der MusikerInnen. „Das Kondenswasser muss mit einem Tuch aufgefangen und vom Spieler entsorgt werden“. Bernhard Plagg ist seit Sommer 2020 Lehrbeauftragter an der Universität der Künste Berlin: „Wir müssen zwischen jedem Studierenden den Unterrichtsraum 20 Minuten lüften“.
Im Unterschied zur ersten Coronawelle wird nun der Probenbetrieb aufrechterhalten, Konzerte finden nicht statt. Ein Lichtblick: „Unser Management hat entschieden, dass wir im November CD-Aufnahmen machen, wobei zu Beginn des Projektes alle Musiker getestet werden. Letzte Woche habe ich die Aufnahme der 4. Sinfonie von Johannes Brahms eingespielt. Wunderbare Musik! Da lässt sich der 2. Lockdown besser verkraften. Letzlich liegt es an uns allen, Kunst und Kultur als notwendigen Bestandteil unserer Gesellschaft zu verstehen, damit der Kulturbetrieb diese Krise überstehen kann. Viele meiner OrchesterkollegInnen wuchsen in Blaskapellen heran, so wie ich damals in der Musikkapelle Mals. Ich wünsche mir sehr, dass diese heimischen Kulturträger wieder aktiv werden können, um die Jugend von der Musik zu begeistern. Erst aber müssen wir gemeinsam diese Krise überstehen“.