„Respekt muss man sich verdienen, nicht verlangen“
Alfred Wallnöfer aus Agums lebt seit 1965 auf der Kanalinsel Guernsey. „Geht hinaus in die Welt und vergesst eure Wurzeln nicht.“
Agums/Schlanders - Es gibt Einwanderer und es gibt Auswanderer. Zu den Letztgenannten gehört Alfred Wallnöfer aus Agums. Seine Heimat hat der jetzt 73-Jährige zwar schon in jungen Jahren verlassen, doch vergessen hat er sie nie. „Einmal Tiroler, immer Tiroler“, sagte er in einem Gespräch mit dem der Vinschger. Konkret meinte er damit Werte, Traditionen und Verhaltensweisen, wie sie ihm seine Eltern, vor allem der Vater, mit auf den Weg gegeben hatten. Als Alfred am 3. Juli 1944 im Haus der Sattler-Familie als Zweitjüngster von fünf Buben geboren wurde, war die Welt in Agums noch ganz anders. Es gab so gut wie keine Maschinen, alle Arbeiten wurden von Hand verrichtet. Was es heißt, hart zu arbeiten, haben Alfred und seine Brüder David, Bruno Herbert und Ambros schon als Kinder erfahren. „Die Arbeit war zwar hart und schwer, geschadet aber hat sie uns nicht. Zum Essen hatten wir immer genug, Luxus gab es keinen.“ Auch auswärts hieß es zupacken. So arbeitete Alfred unter anderem auch als Hütbub in der Schweiz. Die Volksschule hat er in Prad besucht. Ende der 1950er Jahre absolvierte er in Bozen die damals zweijährige Hotelfachschule. Im Anschluss daran begann für Alfred das richtige Arbeitsleben.
Erste Jobs in Meran
Den ersten Job fand er in der Pension „Livonia“ in Obermais, wo er als Hausmeister eingestellt wurde. Bis heute nicht vergessen hat Alfred das Gefühl, das ihn während der Fahrt mit der „Littorina“ nach Meran auf der Töll überkam: „Es war März und wir hatten in Agums schon so langsam die Schnauze voll von Schnee und Eis. Als sich sah, wie es auf der Töll zu dieser Zeit schon blühte, war ich sehr froh und glücklich.“ Die italienische Sprache hat Alfred im Hotel Bristol in Meran gelernt, wo er als Concierge, also Ansprechpartner für die Gäste, arbeitete. „Im Bristol wurde damals nur Italienisch gesprochen“, erinnert sich der Agumser. Neben der italienischen Sprache habe er im Bristol noch etwas anderes gelernt: „Mir wurde bewusst, dass man sich im Leben wenden, also orientieren muss. Man muss den Kopf und die Augen öffnen und alle Scheuklappen ablegen.“ Das heiße aber keineswegs, die Werte und Traditionen der eigenen Heimat aus den Augen zu verlieren: „Ich werde meine Heimat und besonders den Ort, wo meine Wiege stand, nie vergessen.“ Nach weiteren Arbeitserfahrungen in Meran sowie auch in Davos, Arosa und Bad Ragaz in der Schweiz fasste Alfred als 20-Jähriger den Entschluss, nach Genf zu ziehen, um seine Französischkenntnisse zu verbessern.
Französisch lernen in Genf
Er arbeitete eineinhalb Jahre lang im „Inter Continental Hotel“ in Genf. Ende 1965 zog es ihn nach Guernsey. Es ist dies die zweitgrößte der britischen Kanalinseln, die zwischen Frankreich und England liegen. Die Vogtei „Bailiwick of Guernsey“ ist zwar direkt der britischen Krone unterstellt, gehört aber weder zum Vereinigten Königreich noch zur EU. Wohl aber ist die Insel, die nach wie vor als Steuerparadies gilt, Bestandteil der Europäischen Zollunion. Die Vogtei hat ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Alfred hat auf Guernsey dauerhaft Fuß gefasst. Zusammen mit seiner Frau Wendy, die vor 11 Jahren viel zu früh gestorben ist, führte „Fred“, wie er in seiner neuen Heimat genannt wird, lange Zeit ein großes Hotel. Obwohl er nie Heimweh gehabt habe, ließ Alfred die Kontakte zu seinen Verwandten und Freunde in der alten Heimat nie abbrechen.
„Heimweh hatte ich nie“
Im Gegenteil: Er kam und kommt nach wie vor regelmäßig zu Besuch. Außerdem sind seine Türen in Guernsey seit jeher für Verwandte und Freunde aus dem Vinschgau offen. So kam vor rund 40 Jahren auch Werner Schuster aus Schlanders bei ihm in Guernsey an, um als Kellner zu arbeiten, „doch Alfred schickte mich in die Küche,“ erinnert sich Werner Schuster. Zugute gekommen sei ihm seine Konditor-Ausbildung. Nach rund einem Jahr bekam Werner Schuster aber Post vom Staat. Es war die Einberufung zum Militärdienst. Alfred und Wendy haben später in Guernsey ein Restaurant gekauft und es über etliche Jahre in Eigenregie erfolgreich geführt. Fleiß und Ehrgeiz sind laut Alfred lobenswerte Tugenden und die meisten Südtiroler seien in diesem Sinne noch immer sehr tugendhaft. „Ehrgeiz ist wichtig und richtig, Arroganz aber nicht.“
Das letzte Hemd hat keine Taschen
Auch materielle Werte stuft Alfred nicht allzu hoch ein: „Das letzte Hemd hat keine Taschen.“ Das Restaurant wurde schon vor vielen Jahren verkauft. Alfred: „Ich fühlte, dass die Zeit gekommen war, mit dem Arbeiten kürzer zu treten.“ Wichtig im Leben sei das richtige „Timing“: „Du musst wissen, wann was zu tun oder zu lassen ist.“ Sein einziger Sohn Nigel (47 Jahre) ist Diplomgeometer und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern im Londoner Stadtteil Hampton. Aus London stammt auch Berry, die zweite Lebenspartnerin von Alfred. Was dieser den jungen Menschen von heute mit auf den Weg geben möchte, fasst er so zusammen: „Öffnet den Kopf, schaut über den Tellerrand hinaus, lernt Sprachen, seht euch die Welt an, gebt niemals auf und vergesst nicht eure Wurzeln.“ Eine Art „Schlüssel“ für ein erfolgreiches und zufriedenes Leben sieht Alfred Wallnöfer im Respekt: „Respekt muss man sich aber verdienen, nicht verlangen.“