Im Bild links Lucius Tamm (links) mit dem Moderator Markus Lobis
Eva Prantl, die Vorsitzende der Umweltschutzgruppe Vinschgau.

Obstwirtschaft wohin?

Lucius Tamm: Apfelproduzenten stehen vor großen Herausforderungen. „Chemisch-synthetische Pestizide sind massiv zu reduzieren.“

Publiziert in 12 / 2017 - Erschienen am 5. April 2017

Schlanders - Dass es durchaus möglich ist, auch über Themen wie Pestizide, Monokultur, Pflanzenschutz und Apfelanbau-Systeme sachlich und ohne Emotionen zu diskutieren, zeigte sich am 30. März im voll besetzten Saal des Kulturhauses in Schlanders. Es war die Umweltschutzgruppe Vinschgau, die den Agrarwissenschaftler ­Lucius Tamm vom Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz zu einem Vortrags- und Diskussionsabend eingeladen hatte. Tamm stellte einleitend fest, dass die Apfelbauern im Vinschgau eine Riesenleistung erbringen. Er sei durch das ganze Tal gefahren: „Ihr habt eine unglaublich schöne Landschaft und tragt eine Riesenverantwortung.“ Tamm findet es gut, „wenn mit der Landwirtschaft Geld verdient wird und Arbeitsplätze geschaffen werden.“

Pestizide stellen ein großes Gesundheitsrisiko dar

Ausgehend von Erhebungen in der Schweiz, wo vor allem in Obstbaugebieten über 100 Pestizide in Fließgewässern nachgewiesen wurden, sowie von wissenschaftlichen Studien in den USA und anderen Ländern, sei es laut Tamm allerdings unbestritten, dass speziell chemisch-synthetische Pestizide ein großes Gesundheitsrisiko darstellen. Vor allem Pestizid-Cocktails geben Anlass zur Sorge, „weil niemand weiß, wie sie wirken.“ Grundsätzlich hielt der Agrarwissenschaftler fest, dass die Umwelt weder mit Pestiziden, noch mit anderen Chemikalien belastet werden sollte.

Große Unterschiede zwischen Bio und IP

Bei den Vergleichen, die Tamm zwischen konventionellem, ­integriertem und biologischem Anbau sowie weiteren, neuartigen Anbau-Systemen anstellte, zeigte sich, dass viele Dinge oft viel komplizierter und vielschichtiger sind als allgemein angenommen. Unbestritten sei aber, dass Pflanzenschutzmittel, die im Bio-Anbau eingesetzt werden, fast ausnahmslos schnell abbaubar sind, nicht in die Pflanzen eindringen und kaum Rückstände hinterlassen. Zum Kupfer meinte Tamm, dass die Bauern in der Schweiz damit sorgfältig umgehen. Eine weitaus größere Kupfer-Menge werde in Futtermitteln (Schweine) eingesetzt. Die schädlichen Auswirkungen von Kupfer auf die Umwelt sei überschätzt worden. „Trotzdem muss Kupfer weiter reduziert werden“, so Tamm.

Neue Strategien

Auch auf Anbaumethoden, bei denen auf Pestizide verzichtet wird und die zum Teil noch in der Ex­perimentierphase sind, ging Tamm ein. Bei der „Low Residue Produktion“, bei der nur während der ersten Vegetationsphase herkömmlicher Pflanzenschutz betrieben wird, habe sich gezeigt, dass Blattkrankheiten und Schädlinge zwar in den Griff zu bekommen sind, die Lagerkrankheiten aber zunehmen. Was die resistenten Sorten betrifft, „kann man damit im Integrierten Anbau zwar ein paar Probleme lösen, aber bei weitem nicht alle.“ Viel mehr Potential liege diesbezüglich im Bio-Anbau. Auch auf Systeme, die den Einbau von Biodiversitäts-­Elementen vorsehen, ging Tamm ein, im Besonderen auf die Errichtung von Blühstreifen. Ein Versuch, Äpfel ohne Pflanzenschutz zu produzieren, habe gezeigt, dass die Artenvielfalt von Pflanzen, Vögeln und Insekten zunimmt und das Schädlingsniveau erstaunlich tief gehalten werden kann, der Krankheitsbefall aber ist sehr hoch. Außerdem können neue Krankheiten auftreten. Grundsätzlich hielt Tamm fest, dass eine erfolgreiche Apfelproduktion ohne Pflanzenschutz so gut wie nicht möglich ist. Der Aspekt der Produktionskosten, der Erntemengen und der Erlöse für die Produzenten sei immer mit zu berücksichtigen. Die Herausforderungen, denen sich die Apfelproduzenten stellen müssen, sind laut Tamm groß und vielfältig, aber sie sind zu schaffen. Als erste Herausforderung nannte er eine massive Reduktion von chemisch-synthetischen Pestiziden. Auch in Gärten, Nachbarzellen und Naturflächen muss der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln vermindert werden: „Die Mitbeglückung des Nachbarn ist ein Unding.“ Auch der Klimawandel, „der bereits jetzt passiert“, die Kontrolle der Hauptkrankheiten und Schädlinge sowie die Wirtschaftlichkeit für den Landwirtschaftssektor und der Schutz des Tourismus gehören zu den Herausforderungen.

Wie kombinieren wir Landwirtschaft und Wohnen?

Außerdem seien Antworten auf folgende Frage zu finden: Wie kombinieren wir Landwirtschaft und Wohnen? Tamm ist überzeugt, dass es letztendlich nur betriebsübergreifende Lösungen geben kann: „Es braucht ein Denken in Landschaftsräumen, nicht in Parzellen.“ Ökologische Leistungen müssten anerkannt und entschädigt werden. Der Integrierte Anbau muss sich gewaltig weiterentwickeln, um den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren und die biologische Vielfalt zu fördern. Auch Bio ist noch lange nicht zu Ende entwickelt.

Viele Themen angesprochen

Bei der von Markus Lobis moderierten Diskussion wurden viele Themen angesprochen. Die ­Palette reichte vom Einsatz homöopa­thischer Mittel im Pflanzenschutz und dem Bienensterben bis hin zur Volksinitiative „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Bedauert wurde, dass im Vinschgau die Wertschätzung den Bauern gegenüber zu wünschen übrig lasse. Auch auf den Umstand, dass die Landwirtschaft in Südtirol stark auf den Export ausgerichtet ist, wurde verwiesen. Oft gefallen ist das Wort Monokultur. Dazu meinte Tamm: „Es gibt im Vinschgau faktisch eine Apfelmonokultur auf sehr engem Raum. Die Frage ist, ob die Gesellschaft bereit ist, dieser Monokultur weiterhin zuzustimmen.“ Auf die Frage, was er unternehmen würde, meinte der Referent: „Vielleicht sollte man die Talschaft ökologisch aufwerten, auch mit Elementen der Differenzierung.“ Auch ästhetische Landschaftsveränderungen kann sich Tamm vorstellen. Ein Diskussionsteilnehmer bedauerte, „dass es bei der heutigen Diskussion nur um den Bauer auf dem Land geht“ und gab zu bedenken: „Der Mensch lebt nicht vom Apfel allein.“

„Bio bleibt vorerst Nische“

Die Landesräte Arnold Schuler und Richard Theiner sowie VI.P-Obmann Thomas Oberhofer lobten die Bemühungen der Umweltschutzgruppe für eine sachliche Diskussion. Die Vorsitzende Eva Prantl hatte vorausgeschickt, dass die Umweltschutzgruppe seit jeher versuche, das Thema mit Fachvorträgen sachlich anzugehen: „Wir wollen aufklären und informieren, damit die Landwirtschaft ökologischer wird.“ Laut Schuler hat sich in Südtirol und speziell im Vinschgau in punkto Bio bereits bisher sehr viel getan. Trotzdem werde Bio bis auf weiteres eine Nische bleiben. Das hänge in erster Linie mit dem Konsumverhalten zusammen. Fast 10% der Südtiroler Äpfel werden biologisch erzeugt, im Vinschgau sind es ca. 15,6%. Mit Tamm stimmten Schuler und Theiner auch darin überein, dass Veränderungen und weitere Entwicklungen in Richtung ökologische Landwirtschaft notwendig sind. Weder beim Integrierten Anbau noch in der Bio-Produktion sei das Ende erreicht. Was die Landwirtschaft laut Schuler aber nicht brauche, seien Einflüsse von außen: „Wir wollen nicht von außen getrieben werden.“ Er nannte als Beispiel die Gemeinde Mals. Verurteilt hat Schuler auch bestimmte mediale Darstellungen, bei denen die Landwirtschaft so gezeigt wird, „als wären wir in den 60er Jahren stehen geblieben.“ Oberhofer erinnerte an die bisherigen Anstrengungen der Obstbauern für eine möglichst naturnahe ­Produktion und kündigte an, dass die VI.P demnächst eine Kommunikationsoffensive starten wird: „Wir werden die Nachhaltigkeit zum großen Thema machen, die ökologische ebenso, wie die wirtschaftliche und soziale.“ In der Kommunikation seitens der Obstwirtschaft der nichtbäuerlichen Bevölkerung gegenüber gebe es Nachholdbedarf, räumte Oberhofer ein.

Josef Laner

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