Nicht wegschauen
Wie können Kinder und Jugendliche von psychisch kranken Eltern und die betroffenen Familien unterstützt werden?
Goldrain - Ging es bei der Tagung „Offener Dialog“ im Dezember 2021 in der BASIS in Schlanders um neue Methoden zur Bewältigung psychischer Krisen, stand bei einer weiteren Tagung, die am 12. April im Bildungshaus Schloss Goldrain stattfand, das Thema „Kinder von psychisch kranken Eltern im Vinschgau. Wie können wir Familien unterstützen?“ im Mittelpunkt. Auch diese Tagung, zu der die Sozialdienste der Bezirksgemeinschaft Vinschgau eingeladen hatten, war ein Teil des Interreg-Projekts „Horizont - Psychische Gesundheit in der Terra Raetica“. Den ganzen Tag über befassten sich rund 40 Mitarbeitende aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich, aus Schule und Kindergarten sowie Vertreterinnen und Vertreter weiterer öffentlicher Dienste und von Selbsthilfegruppen mit dem Thema, wie man Kinder und Jugendliche von psychisch erkrankten Eltern und die betroffenen Familien unterstützen kann. Vier Schwerpunkte standen im Fokus: Zusammenarbeit und Netzwerk, Kinder und Jugendliche, Eltern und Sozialraum. Bei der abschließenden Präsentation der Arbeitsergebnisse stellte sich unter anderem heraus, dass ein Bedarf nach Unterstützungsmaßnahmen in diesem Bereich klar gegeben ist. Für betroffene Kinder brauche es je nach Alter professionelle und niederschwellige Unterstützungsangebote. Auch die betroffenen Familien brauchen für bestimmte Zeiten eine fachliche Betreuung, Hilfe und Begleitung, und zwar vor Ort zuhause, und nicht von Schreibtischen aus. Angeregt wurden auch Aufklärungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen auf vielen Ebenen: Vereine, Schulwelt, Verbände, Gemeinden, Dörfer. Zur Rolle der Hausärzte hieß es, „dass sie die Schlüsselfiguren sind und auch bleiben sollen.“ Die Hausärzte „sind für die psychische Gesundheit zuständig und werden dafür bezahlt.“ Auch Hausärzte müssten „gute Schuhe“ haben und nicht nur von den Schreibtischen aus arbeiten. Die Netzwerke seien derzeit noch nicht so, wie sie sein sollten. Mehrfach geäußert wurde auch eine bessere finanzielle Unterstützung seitens der öffentlichen Hand. Im Vergleich zu großen Summen, wie sie z.B. für Bauten oder Straßen ausgegeben werden, falle das Budget für den Bereich psychische Gesundheit viel zu mager aus. „Wir werden an den Themen, die heute aufs Tapet gekommen sind, weiterarbeiten. Die Form des Netzwerkes ist noch nicht ganz klar,“ resümierte Karin Tschurtschenthaler, die Direktorin der Sozialdienste Vinschgau. In der Schublade landen sollen die vorgebrachten Ideen, Vorschläge und Anregungen nicht. Für Roselinde Gunsch, die im Ausschuss der Bezirksgemeinschaft Vinschgau für die Sozialdienste und die Zusammenarbeit mit dem Sanitätsbetrieb zuständig ist, hat die Tagung gezeigt, „dass der Bedarf da ist und dass Handlungsbedarf besteht.“ Auch bei diesem Thema „müssen wir mehr hinschauen und weniger wegschauen.“ Dass es im Bereich der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen psychisch kranker Eltern spezielle Angebote braucht, unterstrich auch Verena Perwanger, Primaria des Psychiatrischen Dienstes Meran: „Unser Augenmerk richtet sich primär auf die Patientinnen und Patienten.“ Um auch betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien gezielt helfen zu können, sollte das Netzwerk weiter ausgebaut werden. Bei der dritten und letzten Tagung im Rahmen von „Horizont - Psychische Gesundheit in der Terra Raetica“, die im Herbst stattfinden wird, steht ein große Tabu-Thema auf dem Programm: psychische Erkrankung und Sexualität.