Lernen von Poschiavo
Gemeinsame Fahrt ins Bio-Tal. Schuler: „Kann als Modell für den Obervinschgau dienen.“
Poschiavo - Rund 94 Prozent der Agrarflächen in der Gemeinde Poschiavo, die im Süden des Kantons Graubünden liegt, werden biologisch bewirtschaftet. Das abgeschiedene, rund 15 Kilometer südlich des Berninapasses gelegene, ca. 25 Kilometer lange Tal, in dem rund 3.500 Menschen leben, hat sich nicht nur in der Schweiz, sondern weit darüber hinaus als wirtschaftlich erfolgreiche Bio-Region etabliert. Schon 2016 hatte die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA Schweiz das Projekt „100 % Valposchiavo“ ausgezeichnet, weil das Tal damit „auf innovative Art und Weise einen dauerhaften Mehrwert für die nachhaltige Entwicklung in Berggebieten erzielt.“
„100 % Valposchiavo“
Um sich ein konkretes Bild davon zu machen, wie die biologische und nachhaltige Landwirtschaft im Val Poschiavo (rätoromanisch Puschlav) funktioniert, wurde am 28. Februar eine Busreise in das Bio-Tal organisiert. Mit dabei waren der Malser Bürgermeister Ulrich Veith, der Vizebürgermeister Josef Thurner, der Landwirtschafts-Referent Günther Wallnöfer, Landesrat Arnold Schuler mit seinem persönlichen Referenten Peter Möltner, Vertreter des Bauerbundes mit Bezirksobmann Raimund Prugger an der Spitze sowie Vertreter des Promotorenkomitees für eine pestizidfreie Gemeinde Mals, der Bürgerinitiative „Adam & Epfl“, der Initiative „Hollawint“, der Organisation PAN (Pestizid-Aktions-Netzwerk) sowie mehrere Bio-Bauern.
Fast alle Betriebe wirtschaften biologisch
Zum Auftakt wurden die 31 Gäste theoretisch in das Projekt „100 % Valposchiavo“ und die Initiativen rund um die biologische Landwirtschaft eingeführt. Ganz im Süden des Tals nicht unweit der Grenze zu Italien wurde ein Betrieb besichtigt, der Urlaub auf dem Bauernhof anbietet und zugleich eine Vielfalt von Beeren anbaut. Dieser Betrieb, einer der sehr wenigen, die derzeit noch konventionell wirtschaften, stellt die Anbauweise derzeit auf Bio um. Besucht wurde auch ein bio-zertifizierter Betrieb, wo nicht nur verschiedenste Kräuter angebaut werden, sondern auch Viehwirtschaft betrieben wird, und zwar in Form von Muttertierhaltung. Bio-Fleisch dieses Betriebes konnten die Gäste zu Mittag in einem Gastbetrieb genießen, wo fast ausschließlich Produkte aus der Region auf den Tisch kommen. Besichtigt wurde u.a. auch ein Geschäft, wo regionale Bio-Produkte angeboten werden.
„Alle waren begeistert“
Ulrich Veith gab sich in einem Nachgespräch mit dem der Vinschger sehr begeistert: „Es ist erstaunlich, wie es gelungen ist, das Tal zu fast 100 Prozent zu einer Bio-Region umzuwandeln. Wir waren alle begeistert.“ Poschiavo sei ein Beispiel dafür, „dass sich auch ein abgelegenes Tal nachhaltig und wirtschaftlich entwickeln kann, wenn man sich gemeinsam auf den Weg macht.“ Zugute gekommen sei dem Val Poschiavo auch die volle Unterstützung der Bioregion seitens des Kantons Graubünden. Zusätzlich zur Landwirtschaft seien in Poschiavo auch die Handwerker, die Gastronomiebetriebe, der Handel und andere Sparten mit auf den Weg genommen worden. Auch die Tourismusbranche habe Aufwind bekommen, nicht zuletzt auch aufgrund des starken medialen Interesses an der Bioregion. Trittbrettfahrer werden laut Veith in Poschiavo nicht geduldet: „Es gibt strenge Kontrollen. Wenn sich ein Betrieb nicht an die Vorgaben und Vorschriften hält, wird er ausgeschlossen.“
„Ein Modell, das funktionieren kann“
Landesrat Arnold Schuler, den die Coronavirus-Krise zur vorzeitigen Abreise zwang, wertet das Val Poschiavo durchaus als Modell, das funktionieren kann. Er weist aber auch darauf hin, dass die Initiative in Poschiavo anders geboren sei: „Es gab schon vorher Biobetriebe. Das Projekt ist von der Bevölkerung ausgegangen und nicht umgekehrt. Es gab ein Zusammenspiel und einen Zusammenhalt, und keine Zwänge oder verpflichtende Vorgaben.“ Es hätten sich keine Fronten gebildet, „sondern man setzte von Anfang an auf Überzeugungsarbeit. Von den insgesamt rund 50 Bauern bzw. landwirtschaftlichen Betrieben bewirtschaften derzeit 4 Obstbaubetriebe ihre Flächen noch konventionell, wobei man allerdings hofft, dass auch sie auf Bio umstellen.“ Gezwungen aber würden sie dazu nicht. Insgesamt gesehen wertet Schuler das Modell Poschiavo als sehr interessant. Es zeige sich, dass eine Bio-Region wirtschaftlich erfolgreich arbeiten können. Wichtig sei es, „dass alle mitgenommen werden.“ Auf diese Art kann eine Bioregion durchaus funktionieren, „wobei die Bio-Produkte insgesamt gesehen aber immer noch eine Nische in der Produktion und auch auf dem Markt darstellen.“
Gesprächsbereit für Bioregion Obervinschgau
Was die Schaffung einer Bioregion Obervinschgau angeht, zeigt sich Schuler weiterhin offen und gesprächsbereit. Ulrich Veith hofft, „dass Schuler die Schaffung einer Bioregion Obervinschgau ernst nimmt und dass auch konkrete Schritte gesetzt werden.“ Folgegespräche mit Schuler seien demnächst geplant. Nicht anfreunden kann sich Veith mit der Vorstellung, dass es der freien Entscheidung der Landwirte überlassen werden soll, auf den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel zu verzichten oder nicht. Detail am Rande: Die Verordnung der Gemeinde Mals über die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln hat das Verwaltungsgericht Ende 2019 für nichtig erklärt. Die Frist, dagegen Berufung beim Staatsrat einzubringen, ist noch nicht abgelaufen.