Kommentar - Vereinsleben: der Kitt bröckelt
Vinschgau - „Viele haben sich an den Diwan gewöhnt, an das Handy und den Fernseher. Die Pandemie hat sie in eine Komfortzone gedrängt, die sie nur mehr ungern verlassen werden.“ So fasste kürzlich ein Schützenhauptmann die derzeitige Stimmung in seiner Kompanie zusammen. Es dürfte schwer werden, den Vereinsgeist nach über einem Jahr wieder auf Vordermann zu bringen „und die Leute aus der Komfortzone herauszuholen.“ Die Pandemie knabbert nicht nur an der Substanz von Schützenkompanien, sondern rüttelt auch an den Grundfesten unzähliger weiterer Vereine. Musikkapellen sind ebenso betroffen wie Chöre, Theaterbühnen, Sport- und Freizeitvereine. Neben allen anderen Auswirkungen von Covid-19 auf die körperliche und seelische Gesundheit der Menschen sowie auf die Wirtschaft bringt die Pandemie auch das Vereinsleben mitunter gehörig aus den Fugen. Gefährdet ist der Kitt der Gesellschaft, wie man die Vereine oft bezeichnet, nicht nur wegen fehlender Einnahmen aus Veranstaltungen (man denke zum Beispiel nur daran, dass die traditionellen Frühjahrskonzerte der Kapellen bereits zum zweiten Mal ausfallen), sondern auch deshalb, weil das wegbricht, was einen Verein überhaupt erst ausmacht: das Zusammensein, das Teilen gemeinsamer Interessen, das gemeinsame Leid, die gemeinsame Freude. Dieses Zusammensein, das virtuell - wenn überhaupt - nur sehr eingeschränkt möglich ist, geht oft über das, wofür man sich eigentlich trifft, hinaus. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich vor etlichen Jahrzehnten für ein paar Monate bei der Musikkapelle war. Von den Proben sind mir nur die Worte des Kapellmeisters geblieben, der mir sagte, dass ich überhaupt kein „Musi-Kear“ hätte. Von dem aber, was wir manchmal nach den Proben unternahmen, könnte ich heute noch Bände schreiben. Vielleicht ist die derzeitige Krise aber auch eine Chance, den Vereinsgeist auf allen Ebenen neu zu wecken.