Hinschauen und Zuhören
Meran/Vinschgau - Konkrete Daten gibt es noch nicht, aber dass die Zahl der Suizide nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie gestiegen ist, steht fest. Auch Depressionen, Existenzängste und Fälle von Vereinsamung nehmen zu. Welche Hilfen es gibt, um gegen diese Entwicklungen anzusteuern und was wir alle in unserem Umfeld tun können und sollen, war kürzlich Thema eines Online-Abends mitder Psychologin Irene Volgger, der Leiterin der Caritas Hospizbewegung im Bezirk Meran-Burggrafenamt. Der Abend bildete den Auftakt der letzten Reihe der vom Jugenddienst Meran organisierten Online-Themenabende „Red mor amol driber …“. Rund 60 Interessierte hatten sich zugeschaltet. Irene Volgger ging nicht nur auf das Thema Suizid ein, sondern lenkte die Aufmerksamkeit auch auf eine Vielzahl anderer Themen bzw. Probleme, die sich während der Corona-Krise zum Teil verschärft haben. Zugenommen haben etwa die Depressionen. Diese und andere psychische Leiden werden auch heutzutage teilweise noch immer nicht als Krankheiten angesehen. Dabei sei erwiesen, dass 50 bis 70% der Menschen, die Suizid begehen oder einen Suizidversuch unternehmen, an Depressionen leiden. „Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass wir im Umgang mit suizidgefährdeten Menschen alle wichtig sind, im Erkennen ebenso wie im Handeln“, sagte Volggerdie Psychologin.-. Wir alle seien demnach aufgerufen, hinzuschauen, zuzuhören, aufeinander zuzugehen. Kaltes Stillschweigen hingegen sei ebenso der falsche Weg wie das Bagatellisieren: „Die Depression ist eine ernst zu nehmende Krankheit, die zum Tod führen kann.“ Auch Angehörige und enge Freunde von Suizidopfern brauchen oft Hilfe. Laut Volgger sei wissenschaftlich belegt, dass bei jedem Suizid zwischen 7 und 10 Personen intensiv betroffen seien. Nicht selten erschwert werde dier Trauerprozesshase iinfolge von Tabus, Schamgefühlen, direkten und indirekten Schuldzuweisungen sowie Stigmatisierungen: „Ein Suizid wird in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen als ein ‚normaler’ Tod. Das kann die Angehörigen und engen Freunde der Opfer stark belasten.“ Bedauerlich sei auch, „dass die Person, die Suizid begeht, nur mehr auf diese letzte Tat der Verzweiflung reduziert wird und das Leben, das diese Person vorher hatte, ausgeblendet wird.“ Ausdrücklich hingewiesen hat Volgger auch darauf, dass es bei der Unterstützung von gefährdeten Personen auch Grenzen gibt: „Wenn man merkt, dass man nicht imstande ist, zu helfen, braucht es den Mut, professionelle Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen.“ Zusätzlich zum Thema Suizid ging die Referentin noch auf eine Reihe anderer Problematiken ein, die sich Hand in Hand mit der Corona-Krise bzw. den damit verbundenen Einschränkungen verschärft haben. Immer stärker zu spüren sei etwa das Phänomen der Vereinsamung: „Besonders betroffen sind Menschen, die allein leben.“ Nicht wenige ältere Menschen hätten Angst, an Covid-19 zu erkranken oder andere anzustecken. Aber auch auf junge Menschen kann es sich negativ auswirken, „wenn sie über Monate keine direkten sozialen Kontakte pflegen können.“ Es gebe auch Schülerinnen und Schüler, die sich einfach ausklinken, aus dem Fernunterricht ebenso wie aus den Sozialen Medien. Erschwerend hinzu komme der Leistungsdruck, „der vielen schon vor der Corona-Zeit zu schaffen gemacht hat.“ Ältere Menschen seien diesem Druck insofern ausgesetzt, „als dass sie sich irgendwie nutzlos und nicht mehr gebraucht fühlen, wenn sie nicht mehr arbeiten.“ Bestimmte Überforderungen seien bei allen Altersgruppen festzustellen. „Wir leben derzeit alle in einer schweren Situation und sollten schauen, den Druck auf allen Ebenen etwas herunterzufahren“, mahnte Volgger. Vor allem in Zeiten wie diesen sei es notwendig, „dass wir eine Sensibilität für einander entwickeln, dass wir achtsam miteinander umgehen und einfach etwas mehr aufeinander schauen.“ Auch auf Fragen aus dem Chat gibt die Referentin ein. Bezüglich Suizid sagte sie u.a., dass bei den Gesprächen nach einem Suizid und auch in der medialen Berichterstattung nicht das „Wie“ in den Vordergrund gerückt werden soll: „Wie es geschah, ist nicht wichtig.“ Eingeräumt hat sie, „dass wir einen Suizid nicht immer verhindern können.“ Wegschauen oder irgendwie kleinreden sollten wir das Thema Suizid aber keinesfalls, „im Gegenteil, wir müssen den Mut haben, unser Gegenüber offen darauf anzusprechen.“ Und auch über Hilfsangebote soll informiert werden. Konkrete und unmittelbare Hilfsangebote sind u.a. auf der Homepage www.suizid-praevention.it zusammengefasst. Katharina Weger vom Jugenddienst Meran wies abschließend auf weitere Online-Themenabende hin. Am 24. Februar geht es um Selbstverletzung, am 3. März um sexuelle Vielfalt und am 10. März um Abhängigkeiten. Weitere Infos zu „Red mor amol driber ...“ gibt es auf einer eigenen Homepage (www.infopoint.bz).