Der Kirchturm von Alt-Graun ragt wie ein Mahnmal aus dem Stausee. Allein in Graun wurden im Zuge des Stauseeprojekts etwa 70 Familien vertrieben, über 100 Häuser zerstört und knapp 400 Hektar fruchtbaren Kulturbodens zerstört.

„Hinausgewässert“

Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ lässt die letzten Zeitzeugen von Graun und Reschen zu Wort kommen. 

Publiziert in 12 / 2018 - Erschienen am 3. April 2018

Graun/Meran - Jeder kennt ihn, den versunkenen Kirchturm im Reschensee. Seine Geschichte können aber immer weniger Leute erzählen. Georg Lembergh und Hansjörg Stecher begeben sich auf Spurensuche und lassen in ihrem Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ die letzten Zeitzeugen von Graun und Reschen zu Wort kommen. Am Donnerstag, 12. April 2018 feiert der Film, produziert von Albolina, um 20.30 Uhr seine Premiere im Ariston-Kino in Meran. Es war im August 1949, als der Elektrokonzern Montecatini das erste Mal die Schleusen der neu errichteten Staumauer geschlossen hat. Das Staubecken, in dem das Dorf Graun und viele Häuser von Reschen liegen, wird probeweise und ohne Vorwarnung geflutet. Innerhalb weniger Tage stehen Häuser und Ställe, Wiesen und Felder unter Wasser, obwohl die meisten Dorfbewohner nach wie vor in ihren Häusern wohnen und immer noch keine neue Heimat gefunden haben. Das letzte Kapitel in der Geschichte von Alt-Graun hat begonnen …

Menschliche Tragödie

Von der Weltöffentlichkeit unbemerkt, spielte sich Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre in Graun und am Reschen eine menschliche Tragödie ab. Fast über Nacht wird das Graun durch ein von staatlicher Willkür und Profitdenken geprägtes Stauseeprojekt vollständig unter Wasser gesetzt. Vom blühenden Dorf bleibt nur mehr ein Trümmerhaufen übrig und die Einwohner müssen ohnmächtig zusehen, wie ihre Heimat samt Wiesen und Feldern im neuen Reschenstausee versinkt. Allein in Graun werden etwa 70 Familien vertrieben, über 100 Häuser zerstört und knapp 400 Hektar fruchtbaren Kulturbodens zerstört. Die Dorfgemeinschaft wird durch diesen rücksichtslosen Akt brutal auseinandergerissen und ein jahrhundertealtes soziales Gefüge findet ein jähes Ende. Nur mehr der romanische Kirchturm von Alt-Graun ragt weithin sichtbar, einem Mahnmal gleich, aus der riesigen Wasserwüste. Heute, fast 70 Jahre später, steht das neue Graun malerisch über dem Seeufer. Trotz der Postkartenidylle wollen die Wunden der Alten aber nur langsam heilen. Der See ist für sie noch immer Sinnbild für erlittenes Unrecht. Oft fließen Tränen, wenn sie vom alten Dorf erzählen, und nie würden sie mit der „Hubertus“, dem Ausflugsschiff, „über ihre alte Heimat“ fahren, wie es der vertriebene Grauner Paul Warger in Taufers i. M. auf den Punkt bringt. 

„Sie werden uns doch nicht …“

Theresia Theiner aus Graun erinnert sich im Film: „Der Vater sagte immer: ‚Sie werden uns doch nicht von Daheim verjagen können!’ Aber es ist alles Tatsache geworden. Sie mussten die Leute mit Gewalt vertreiben! Sie haben den See aufstauen müssen, damit die Leute gehen. Sonst wäre niemand gegangen! Dann haben sie den See eingetrieben und dann hast du gehen müssen!“. In berührenden Einzelporträts spüren Georg Lembergh und Hansjörg Stecher den Fragen nach Heimat und Heimatverlust nach, dokumentieren den schwierigen Neubeginn und beleuchten die hochdramatischen Umstände der Seestauung. Der Spannungsbogen zieht sich bis in die Gegenwart, denn mit der jungen Generation bricht am See eine neue Zeit an. Am Ufer des Stausees aufgewachsen, nutzen die Jungen mit neuem Selbstbewusstsein das schwierige Erbe für ihre Zwecke, als Erholungsraum, Tourismuskapital oder als Abenteuerspielplatz. Der Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ wird auch im Rahmen des Bolzano Film Festivals Bozen gezeigt: am 11. April um 20 Uhr im Forum Brixen, am 13. April um 17.30 Uhr und am 14. April um 14 Uhr im Filmclub Bozen.

Redaktion

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