Die Trockenrasen im Vinschgau (im Bild die Laaser Leiten) und in der Terra Raetica waren das Thema einer hochkarätigen Facxhtagung im Kulturhaus in Schlanders.
Die Fachtagung war gut besucht.
Die Verbuschung von Trockenrasen am Vinschger Sonnenberg nimmt stetig zu.
Andreas Hilpold
Georg Pircher
Hanspeter Staffler
Gerhard Tarmann
Joachim Mulser
Joachim Winkler
Thomas Wilhalm

Die Steppe lebt

Fachtagung über Trockenrasen im Vinschgau und in der Terra Raetica. Die Verbuschung ist eines der größten Probleme. 

Publiziert in 9 / 2022 - Erschienen am 10. Mai 2022

Schlanders - Die Trockenrasen im Vinschgau und in der Terra Raetica haben aufgrund ihrer einzigartartigen Fauna und Flora einen besonderen naturkundlichen Wert. Die Geschichte der Trockenrasen, speziell jener am trockenen Vinschger Sonnenberg, neueste Forschungserkenntnisse und Studien sowie mögliche Gefahrenpotentiale für den Weiterbestand dieser einzigartigen Lebensräume standen im Mittelpunkt einer gutbesuchten Fachtagung, die am 6. Mai im Kulturhaus in Schlanders stattgefunden hat. Renommierte Expertinnen und Experten aus Südtirol, Österreich und der Schweiz hatten sich zur ganztätigen Tagung eingefunden. Was sich wie ein roter Faden durch viele der insgesamt rund 20 Referate zog, war die Sorge um die zunehmende Verbuschung von Trockenrasen und das Gefahrenpotential, das von den Monokulturen in der Talsohle ausgeht.

„Sensibilität steigern“

Bürgermeister Dieter Pinggera, Andreas Tappeiner, der Vorsitzende der Terra Raetica, Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer, David Gruber, Direktor des Naturmuseums Südtirol, und Andreas Hilpold von Eurac Research, der das Biodiversitätsmonitoring Südtirol koordiniert, stimmten in ihren Grußworten darin überein, dass die Tagung vor allem dazu dienen soll, die Sensibilität für diese besonders wertvollen Lebensräume zu steigern. Zur Eröffnung referierte Professor Jürgen Dengler (ZHAW Zürich) über das globale Vorkommen von Trockenrasen und deren Bedeutung. Dengler arbeitet im Forscher- und Naturschützer-Netzwerk „Eurasian Dry Grassland Group (EDGG)“ mit. Der Vegetationskundler Hanspeter Staffler, der an der Universität für Bodenkultur Wien studiert hat, beleuchtete die Kulturgeschichte und Vegetationsentwicklung des Vinschger Sonnenbergs in den vergangenen 10.000 Jahren. Im Mittelalter habe es am Sonnenberg noch ausgedehnte Waldflächen gegeben. Als der „Hunger“ des Menschen nach Holz und Grasland wuchs, kam es zu Entwaldungen. In den 1960er Jahren setzten Aufforstungsarbeiten ein, angestoßen von den Medizinern Heinrich Flora aus Mals und Heinrich Vögele aus Schlanders. Ziel war es, die „Krebsschäden“ am Sonnenberg zu beheben. Staffler gab zu bedenken, dass die Trockenrasen dort, wo nicht mehr beweidet wird, zunehmend verbuschen und somit in einigen Jahrzehnten verschwinden könnten. Auf das Problem der Verbuschung ging auch der Amtsdirektor Georg Pircher vom Forstinspektorat Schlanders ein, der über Maßnahmen des Forstdienstes am Sonnenberg informierte. Aufgeforstet wird auf Trockenrasen schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Man sei aber seit den 1990er Jahre dabei, die seinerzeit aufgeforsteten, rund 940 Hektar umfassenden Schwarzföhrenforste schrittweise in laubholzreiche Mischwälder umzustrukturieren. Auch über Weideverbesserungen, die Errichtung von Weidekoppeln und andere Maßnahmen gegen die Verbuschung informierte Pircher.

Seltene Pflanzen und Tiere

Mit einem geschichtlichen Abriss der botanischen Erforschung der Vinschger Trockenrasen wartete Thomas Wilhalm vom Naturmuseum Südtirol auf. In die Welt der Schmetterlingsfauna am Vinschger Sonnenberg führte Gerhard Tarmann (Tiroler Landesmuseen Ferdinandeum Innsbruck) ein. Laut Tarmann setzt die Abdrift der in der Talsohle verwendeten Pflanzenschutzmittel auch der Schmetterlingsfauna zu. Ähnlich äußerte sich auch der Biologe Joachim Winkler, der die zum Teil einzigartige Vogelwelt des Sonnenbergs vorstellte. „Auch Vögel leiden unter den Veränderungen“, mahnte Winkler. Maßnahmen gegen die Verbuschung von Trockenrasen seien ebenso notwendig wie eine Reduzierung des Spritzmitteleinsatzes im Tal und eine Ökologisierung der Landwirtschaft. Über die Erhebung, den Schutz und das Management der Trockenrasen in Südtirol referierte Joachim Mulser vom Landesamt für Natur. Die Themen weiterer Fachreferate reichten vom Mikroklima von Trockenweiden in Matsch und der Diversität der Bodenorganismen in den Trockenweiden des Vinschgaus bis hin zu Trockenrasenerhebungen im Rahmen des Biodiversitätsmonitorings Südtirol, Langzeitveränderungen der inneralpinen Trockenvegetation im Vinschgau und zu Landnutzungs- und Klimaeffekten auf die Trockenvegetation im Vinschgau von der Vergangenheit bis in die Zukunft. Außerdem wurden die Evolution und der Naturschutzwert europäischer Steppenorganismen, die Trockenrasen im Unterengadin, Oberinntal und in der Val Müstair sowie die Trockenrasen im Naturpark Kaunergrat beleuchtet.

„Isoliertes inneralpines Steppengebiet“

Die Tagung hat u.a. gezeigt, dass der Vinschger Sonnenberg mit seinen steilen, sonnenexponierten Hängen und den geringen Niederschlagsmengen ein isoliertes inneralpines Steppengebiet ist. Trotz der vergleichsweise geringen Fläche ist er mit ähnlichen Tier- und Pflanzenarten ausgestattet wie der große asiatische Steppengürtel. Andreas Hilpold: „Wir haben in unseren Studien gesehen, dass die Tier- und Pflanzenarten dieser alpinen Steppeninseln aber trotz ihrer Ähnlichkeit nicht nur Ableger von den zentralasiatischen Steppen sind, sondern genetisch ganz eigenständige Populationen entwickelt haben, die seit hunderttausenden von Jahren isoliert sind.“ Bei einigen der untersuchten Arten werde es in Zukunft nötig werden, die inneralpinen und westeuropäischen Populationen als eigene Arten zu beschreiben. „Das verdeutlicht den essentiellen Wert unserer alpinen Trockenrasengebiete für die Artenvielfalt Eurasiens. Denn wenn diese kleinflächigen Gebiete verschwinden, verschwinden ihre speziellen Arten und Unterarten von der globalen Bildfläche“, schreibt Ulrike Tappeiner, die Leiterin des Instituts für Alpine Umwelt von Eurac Research. Die Expertinnen und Experten sensibilisierten bei der Tagung für den wertvollen Lebensraum, da nicht unter Schutz stehende Trockenrasengebiete zunehmend verbuschen. Andreas Hilpold: „Ihre Existenz ist eng mit der jahrhundertealten traditionellen Bewirtschaftung verbunden; eine sanfte Beweidung wäre wichtig, um diese Gebiete zu erhalten.“

Josef Laner

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