Der Demenz davonlaufen
Vortragsabend mit Primar Christian Wenter in Kastelbell. Lob für Vereinigung „Demenzfreundlicher Vinschgau“.
Kastelbell-Tschars - „Wer regelmäßig joggt oder sonst aktiv Sport betreibt, hat große Chancen, nicht oder viel später an einer Demenz zu erkranken“. Dies war eine der guten Botschaften, die Primar Christian Wenter vergangene Woche im Gemeindesaal von Kastelbell-Tschars im Rahmen des Referats „Demenz vorbeugen“ überbrachte. Eingeladen hatte die Vereinigung „Demenzfreundlicher Vinschgau“ in Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung Kastelbell-Tschars. Christian Wenter, Primar an der Memory Clinic in Meran, lobte die Vereinigung „Demenzfreundlicher Vinschgau“ als eine Initiative mit Vorbildcharakter für ganz Südtirol. Heinrich Fliri (KVW) und Daniel Alber, Sozialreferent der Gemeinde Kastelbell-Tschars, dankten dem Referenten für seine Bereitschaft, immer wieder in den Vinschgau zu kommen, und aus seinem großen Erfahrungs- und Wissensschatz viele Informationen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Demenz an das interessierte Publikum weiterzugeben.
Kein Durchbruch in der kausalen Therapie
In Südtirol leben zwischen 6.000 und 6.500 Menschen mit fortschreitender Demenz, und diese Menschen müssen über Jahre beaufsichtigt, begleitet und gepflegt werden. Bisher glaubte man, die Alzheimer-Erkrankung beginne erst bei der ersten Schwierigkeit und Vergesslichkeit. Aber die vorklinische Phase hat bereits viele Jahre früher begonnen, und bis zu den ersten Symptomen ist es ein weiter Weg: So bilden sich im Gehirn anfänglich Eiweiß-Ablagerungen, die dazu führen, dass die Nervenfortsätze geschädigt werden und schließlich Nervenzellen absterben. Dieser Prozess kann bis zu 30 Jahre dauern! Wohl in keinem anderen Wissenschaftsbereich wird derzeit mehr geforscht als im Bereich Degeneration des Gehirns, seinen Ursachen und Therapien. Und dank dieser Forschung kann die Diagnose immer früher gestellt und die Lebensqualität von betroffenen Menschen deutlich verbessert werden. „Aber kausale Therapie wird es in den nächsten acht bis zehn Jahren nicht geben“, so Primar Wenter.
Stoppt Demenz, bevor sie beginnt!
Es heißt also, dem jahrelangen Prozess der Degeneration entgegenzuwirken! Es gibt Risikofaktoren, die die Degeneration des Gehirns beeinflussen, aber es gibt auch Schutzfaktoren für die Gehirngesundheit, und jeder Mensch kann etwas dazu beitragen, damit das Gehirn gesund bleibt. „Das Alter ist der größte Risikofaktor“, so Primar Christian Wenter, „und ab dem 70. bis 75. Lebensjahr nehmen die Demenzerkrankungen exponentiell zu. Auch eine genetische Veranlagung ist ein naturgegebener, nicht modifizierbarer Faktor, mit dem wir leben müssen. Dennoch gibt es viele andere Risikofaktoren, die reduziert werden können, um die Gefahr einer Demenzerkrankung für Jahre zu verschieben.
Bildung als Schutzfaktor für das Gehirn
In den ersten 25 bis 30 Jahren muss das Gehirn der jungen Menschen intensiv arbeiten. Je mehr Kopfarbeit das Gehirn in den ersten Lebensjahrzehnten geleistet hat, umso mehr hat es dank der Neuroplastizität eine große funktionelle Reserve. Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, sich während des gesamten Lebens eines Menschen zu verändern und zu wachsen. Wie ein Muskel wachsen Bereiche in unserem Gehirn umso stärker, je mehr wir sie benutzen. Ausreichender Schlaf und eine hohe Schlafqualität sind ebenfalls sehr wichtig für das Gehirn, das sich regelmäßig und gut erholen muss. Fehlender Schlaf kann krank machen und wer wenig schläft, wird schneller dement.
Kopfbälle schaden dem Gehirn
Ein Schädel-Hirn-Traumata kann eine Demenz als Spätfolge haben. Im Jugendfußball bis zum 16. Lebensjahr darf beispielsweise in den USA seit vier Jahren nicht mehr Kopfball gespielt werden und auch in Europa fordern Mediziner das Kopfballverbot, denn Kopfbälle und Schläge auf den Kopf erhöhen das Risiko an Demenz zu erkranken erheblich. Deshalb ist das Tragen eines Helmes beim Ski- bzw. Radfahren immens wichtig. Menschen, die schwerhörig sind und kein Hörgerät tragen, haben ein 69 Prozent höheres Risiko an Demenz zu er erkranken. „Diesen Zusammenhang darf man nicht ignorieren“, betonte Primar Wenter. Auch das Zigarettenrauchen und der Feinstaub in der verschmutzten Luft fördern die Demenzerkrankung, ebenso die soziale Isolation und Vereinsamung. Ein ganz großer Risikofaktor ist laut Primar Christian Wenter der Alkoholkonsum. Fast alle Gewebe werden durch Alkohol beeinträchtigt, ganz besonders jedoch das zentrale Nervensystem. „20 bis 30 Prozent aller jungen Männer, die bei uns Demenzpatienten sind, sind alkoholabhängig“, bestätigte der Referent.
Aktivität trainiert das Gehirn
Wer mindestens 150 Minuten in der Woche joggt, schwimmt, Rad fährt, zügig geht oder tanzt, kann der Demenz ein Schnippchen schlagen. Sport trainiert nicht nur den Körper, sondern verbessert auch die Gehirnleistung. Regelmäßige Muskelarbeit löst die Ausschüttung des Nervenwachstumsfaktors aus, was zur eingangs erwähnten Neuroplastizität führt. Ob auch die Ernährungsgewohnheiten der Menschen einen Einfluss auf die Demenzerkrankung haben, kann wissenschaftlich nicht belegt werden. „Durch bewusste Gewohnheiten haben wir sehr vieles selbst in der Hand, und es ist nie zu spät!“, mahnte Primar Wenter. Zufrieden konnte er bestätigen, dass die Anzahl der Demenzerkrankungen derzeit drastisch sinke. „Wir beobachten dieses Phänomen seit Jahren, und es zeigt uns, dass die verschiedenen Formen der Prävention wirken“. Abschließend erinnerte Heinrich Fliri an den nächsten Infoabend der Vereinigung „Demenzfreundlicher Vinschgau“ am 25. Mai in Graun und dankte der Bibliothek für den bereitgestellten Büchertisch mit Lektüre zum Thema Demenzerkrankung.