Florian Zerzer, Roland Psenner, Rebecca Lundin, Peter Pramstaller, Thomas Widmann, Vera Amon und Dieter Pinggera

CHRIS-Studie im Vinschgau

Die zweite Phase startet, 13.000 nehmen teil. 

Publiziert in 41 / 2021 - Erschienen am 7. Dezember 2021

Schlanders - So langsam kehrt - nach einer pandemiebedingten Studienunterbrechung - wieder Leben in die Räume des CHRIS-Zentrums im Krankenhaus Schlanders ein. Für über 13.000 Vinschgerinnen und Vinschger, die von 2011 bis 2018 an der CHRIS-Studie teilgenommen haben, ist es wieder Zeit, die Untersuchungen zu wiederholen. Mit dieser zweiten Phase wird die Bevölkerungsstudie von Eurac Research und Südtiroler Sanitätsbetrieb zu einer prospektiven Langzeitstudie: Sie wird weiterhin Daten zur Gesundheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sammeln und sie der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft und dem lokalen Sanitätsbetrieb zur Verfügung stellen. Am 2. Dezember traf die Arbeitsgruppe des Instituts für Biomedizin von Eurac Research mit der Spitze des Sanitätsbetriebs zusammen, um die ersten zehn Jahre der Studie Revue passieren zu lassen, ihre Wiederaufnahme zu feiern und Zukunftsperspektiven zu diskutieren.

Breite Beteiligung der Bevölkerung

Schlanders war die erste Gemeinde, deren Bevölkerung an der Studie teilnahm. Es folgten Laas, Martell und die weiteren Gemeinden bis Graun. Die CHRIS-Studie läuft im Vinschgau seit mehr als zehn Jahren und hat es geschafft, mehr als 13.000 erwachsene Teilnehmerinnen und Teilnehmer - fast die Hälfte der Bevölkerung des Tals - klinisch, epidemiologisch, labordiagnostisch und genetisch zu charakterisieren. In diesen Jahren hat das CHRIS-Team Informationen über den Lebensstil und den Gesundheitszustand der einzelnen Personen sowie Blut-, Urin- und DNA-Proben gesammelt. Von Anfang an standen die Bürgermeister, die Hausärztinnen und Hausärzte sowie die Spitze des Sanitätsbetriebs hinter dem Projekt. Gemeinsam mit dem CHRIS-Team des Instituts für Biomedizin von Eurac Research spornten sie dazu an, teilzunehmen an diesem wichtigen Forschungsvorhaben. Und die Vinschgauer Bevölkerung folgte dem Aufruf. Ihre breite Beteiligung ist einer der Erfolgsfaktoren des Projekts. Die beteiligten Menschen erkannten CHRIS als ein wertvolles Instrument zur Beobachtung ihrer Gesundheit an. Dank des kostenlosen Screenings im Rahmen der Studie erhielten sie Informationen über ihren Gesundheitszustand und konnten sich auf Anraten ihres Hausarztes bei Eigenheiten untersuchen lassen, die zwar asymptomatisch waren, aber dennoch auf ein potentielles Risiko oder auf bestimmte Krankheiten hinwiesen.

Forschung im Land stärken

„Die CHRIS-Studie ist zu einem wichtigen Modell für uns geworden, auf das wir mit Interesse schauen, um die Forschung im Land zu stärken, denn dadurch können wir nicht zuletzt die Qualität der Patientenversorgung weiter ausbauen und uns am neuesten Stand der Wissenschaft orientieren. Es liegt uns daher sehr daran, die Synergie zwischen Eurac Research und Sanitätsbetrieb noch weiter auszubauen mit dem Ziel, das Gesundheitswesen im Land kontinuierlich zu optimieren“, unterstrich Gesundheitslandesrat Thomas Widmann während des Treffens zwischen Eurac Research und Sanitätsbetrieb. In die gleiche Kerbe schlug auch der Generaldirektor des Sanitätsbetriebs, Florian Zerzer: „Auf der Grundlage dieses Beispiels und in Zusammenarbeit mit Eurac Research könnten weitere Studien mit der Bevölkerung in den verschiedenen Landesteilen durchgeführt werden.“ Die CHRIS-Studie hat auch einen engen Bezug zur internationalen Forschung. Die Zusammenarbeit mit dem lokalen Sanitätsbetrieb und die Beteiligung an der internationalen Forschung sind die beiden Ebenen, die das Forscherteam auch in Zukunft weiterverfolgt. „Beide Ebenen sind miteinander verknüpft: Dank der Daten, die wir hier auf lokaler Ebene sammeln, können wir uns an internationalen wissenschaftlichen Konsortien beteiligen – und die Ergebnisse dieser umfangreichen Studien kommen als neue Erkenntnisse zu uns zurück“, erklärte Peter Pramstaller, Leiter des Instituts für Biomedizin von Eurac Research. „Italienweit ist die CHRIS-Studie eine einzigartige Studie, weil sie uns die Möglichkeit gibt, die Wechselwirkungen zwischen Genetik, Umwelt und Lebensstil besser zu verstehen und ihre Auswirkungen auf unsere Gesundheit zu untersuchen. Diese Informationen ermöglichen uns einen Einblick in die Biologie des Menschen und die Mechanismen, die den Ausbruch oder das Fortschreiten häufiger chronischer Krankheiten beeinflussen“, schloss Pramstaller.

Was die CHRIS-Studie so besonders macht

Die CHRIS-Studie ist eine Kohortenstudie: Sie untersucht den Gesundheitszustand einer bestimmten Anzahl von Personen über einen längeren Zeitraum hinweg. Die 13.393 Menschen, die teilnehmen, sind repräsentativ für die Allgemeinbevölkerung. Dies ist besonders, da viele Studien darauf basieren, dass sie eine bestimmte Krankheit untersuchen und sich demnach auf Menschen beschränken, die an ihr leiden. An der CHRIS-Studie nehmen zudem viele Familien teil, die dauerhaft im Tal wohnen. Dadurch können die Forschungsteams genealogische Informationen rekonstruieren und den Gesundheitszustand mehrerer Generationen derselben Familie beobachten. Von jeder Person, die teilnimmt, werden Daten gesammelt: Informationen zur Krankengeschichte und zum Lebensstil, klinische Parameter, Biomarker aus Blut- und Urintests. Ergänzt wird das Bild noch durch die Zusammenarbeit mit dem Sanitätsbetrieb: Mit Einwilligung der Betroffenen wird die CHRIS-Datenbank in Zukunft die Informationen aus der Studie mit jenen in den Krankenakten des Sanitätsbetriebs zusammenführen können.
Die neue Phase der Studie sieht vor, dass alle Teilnehmer die Untersuchungen der ersten Phase wiederholen und dies alle sieben bis zehn Jahre erneut tun. Ziel ist es, das Gesamtbild mit den gesammelten Informationen zu erweitern und die Entwicklung der Gesundheit im Laufe der Zeit zu beobachten. Diese prospektive Struktur der Studie ist im Vergleich zu den meisten Bevölkerungsstudien einzigartig und wird durch die Zusammenarbeit zwischen Bürgern, Ärzten und Forschern ermöglicht, die auf einem im Laufe der Zeit gewachsenen Vertrauensverhältnis beruht.

Zehn Jahre Forschung

Um die gesammelten biologischen Daten und Proben aufzubewahren, hat Eurac Research eine Biobank in den Krankenhäusern von Meran und Bozen eingerichtet. Es handelt sich nicht nur um einen physischen Ort, an dem mehr als eine Million Proben aufbewahrt werden, sondern auch um eine dynamische Datenbank, die Informationen aus Proben und instrumentellen Messungen (wie Blutwerte, Blutdruck und Elektrokardiogramm) mit Informationen aus Interviews über Gewohnheiten, Lebensstil und Krankengeschichte verknüpft. Sie enthält auch die genetischen Informationen aller Teilnehmer. 
Eine solche Datenbank ermöglicht genetische Studien, die für die Frühdiagnose, die Präzisionsmedizin und für neue Therapien von großer Bedeutung sind: So können beispielsweise Gene identifiziert werden, die auf eine Veranlagung zur Entwicklung einer Krankheit hindeuten, oder Gene, die die Krankheitsentwicklung beeinflussen können. Darauf aufbauend können molekulare Ansätze für gezielte medikamentöse Behandlungen entwickelt werden. Viele Studien, in die die CHRIS-Daten und Daten aus ähnlichen Studien in der ganzen Welt mit eingeflossen sind, haben bereits relevante Ergebnisse geliefert: Hunderte von genetischen Varianten wurden katalogisiert, die mit der Nierenfunktion, der Schilddrüsenfunktion, der Herzgesundheit, der Fettleibigkeit, dem Glukosestoffwechsel und Diabetes zusammenhängen.

„Dynamische informierte Einwilligung“

Die gemeinsame Nutzung biologischer Daten bringt auch neue Herausforderungen im ethisch-rechtlichen Bereich mit sich: In der CHRIS-Studie werden die Daten nach strengsten Richtlinien genutzt; es wurde zudem eine „dynamische informierte Einwilligung“ entwickelt, die große Beachtung seitens europäischer Studien fand. Dieses System ermöglicht den Teilnehmern eine viel aktivere Kontrolle über die Verwendung ihrer Daten im Vergleich zu vielen anderen wissenschaftlichen Studien. In den vergangenen Jahren wurden die Studienprotokolle stets an die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft weitergegeben, um Forscher zu unterstützen, die an der Durchführung ähnlicher Studien interessiert sind. 

Die Studie zu Covid-19

In der akuten Phase der Pandemie starteten die Forscherteams von Eurac Research mit der CHRIS-Kohorte eine Studie, die sich mit der Covid-19-Pandemie befasste. Die aktive Mitarbeit der Talgemeinden und die breite Beteiligung der Bevölkerung ermöglichten die Studie. Sie half dabei, den Verlauf der Infektionen im Tal zu verfolgen. Die CHRIS Covid-19 Studie sammelte Daten zu Infektionen, Symptomen und zum Gesundheitszustand vor und nach der Impfung oder Krankheit. In Zukunft können diese Ergebnisse mit genetischen, gesundheitlichen und umweltbedingten Informationen zusammengeführt werden, um ihren Einfluss auf das Auftreten und den Schweregrad der Krankheit zu untersuchen. Als Teil des weltweit größten Forschungskonsortiums für Genetik und Covid-19 (COVID-19 Host Genomics Initiative) trugen die Daten der CHRIS-Studie dazu bei, mehrere Orte im Genom zu identifizieren, die mit der Schwere der Krankheit in Verbindung stehen.

Redaktion

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